Sportswashing

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monochrom
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Sportswashing

Beitrag von monochrom »

Zum Einlesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Sportswashing

Hier meine These: Dieses Konzept ist Schmarrn, entweder einfach komplett, oder vielleicht von den Autokratien so gewollt, aber im Ergebnis wird das Gewollte nicht erreicht.
Warum glaube ich das? Nun, ich kenne niemanden, der nach einer Sportveranstaltung in einem bekloppten Land jemals ungefähr folgendes gedacht hätte "Oh wie toll diese Leute da über Hürden springen, jetzt will ich gleich nach China. Wo so super über Hürden gesprungen wird, gefällt es mir, und sicher werden dort auch die Menschenrechte toll geachtet." Oder: "Hmm, in diesem schlimmen Rechtenichtbeachterstaat fahren die Leute aber äußerst gewandt mit Autos auf Rundkursen, dass Land mag ich deshalb ab jetzt mehr."

Das mag ein wenig an meiner Blase liegen. Nach gängiger linker Weltsicht gibt es da draußen sicher dumme bzw uninformierte Menschenschichten, die sich erfolgreich von einem Regime blenden lassen, wenn es diesem nur gelingt irgendwelche Weitschmeiss- oder Jodelwettbewerbe auszurichten. Persönlich glaube ich ja, dass an dieser Weltsicht so ziemlich alles hakt, aber es mag so sein. Und dann gibt es natürlich noch die schrecklichen Leute, die manche oder viele Menschenrechtsverletzungen egal bis super finden (Juhuu, endlich rutschen mit gekrümmten Stöcken bewaffnete Leute auch auf dem Eis eines Staates herum, der Homosexuelle so sehr hasst wie ich!) - aber sind die in diesem Zusammenhang ein Problem? Die sind doch vorher schon Scheisse, da braucht es doch kein Sportswashing für.

Nein, ich denke in Wirklichkeit fällt so gut wie niemand auf dieses seltsame Konzept namens Sportswashing herein. Womit dann das gesamte Konzept eigentlich weg kann. Vielleicht glauben ja diese autokratischen Staaten an die Kraft dieses Konzepts, könnte man überlegen? "Hmm, wenn wir Leute aus aller Welt bei uns total schnell schwimmen lassen, übersehen die Leute sicher wie grauenvoll wir unsere Frauen behandeln." Klingt nicht überzeugend, aber Autokratien sind ja oft gerade in ihrer Spitze komplett weltfremd. Denn weltfremd ist es, zumindest in den globalen Medien wird auf die Autokratie, die gerade bei sich irgendwelche Leibesübungsfeste veranstaltet, eigentlich nur eingedroschen. Bzw haben wir folgendes Bild: In den aufgeklärten Ländern wird das jeweilige Veranstalterland noch viel mehr verachtet, in den egaligen ist man apathisch, und die anderen Autokratien feiern das Event entweder, oder sie verdammen es, je nachdem wie die jeweiligen Anführer sich gerade so finden. Aber da ist nirgendwo ein Imagegewinn in Sicht, eher sogar ein Imageschaden.
Was mich zu meinem letzten Punkt bringt: Ich denke, dass es diesen Ländern nicht um Imagegewinn im Ausland geht. Es geht ihnen um Machtdemonstration ("Wir können das", bzw "Wir können uns das leisten", bzw "Wir können mit viel Bestechung an so ein Event rankommen, und ihr tollen nichtautokratischen Länder müsst dass dann aushalten, Haha"), und um einen Imagewinn im Inneren. Diese beiden Dinge kann man nämlich sehr wohl erreichen, wenn man sich die Veranstaltungsrechte für irgendsoeine Wetttauziehmeisterschaft sichert. Wobei der zweite Punkt natürlich unsicher ist, schließlich weiß man nie genau was die Menschen in Autokratien in echt denken, die müssen ja, wenn sie gefragt werden, so etwas sagen wie: "Es erfüllt mich mit Stolz, dass die Tellerbalanciermeisterschaften dieses Jahr in meinem Land stattfinden, dieses beweist dass ich in einem Superland lebe in dem ganz sicher keine ethnische Minorität in einer entfernten Wüstengegend drangsaliert wird."

Das ganze Konzept kann also in die Tonne, dahin wird es aber wohl nicht wandern, weil es vielen Linken die Gelegenheit gibt, mit dem Finger auf Leute zu zeigen, weil die sich fehlverhalten. Und wenn es die glücklich macht, ist dieses dumme Konzept dann halt doch für was gut.
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Rotstift
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Re: Sportswashing

Beitrag von Rotstift »

Und was ist diese Machtdemonstartion nach innen anderes als Sportswashing?
Anders als du bin ich tatsächlich der Meinung, dass solche Ereignisse natürlich keinen überzeugten Linken bekehren werden, aber sie tragen mMn sehr wohl zu einer gewissen Normalisierung solcher Länder bei. Der von dir sehr richtig festgestellte Imagegewinn der Regime nach innen kommt noch dazu.
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Re: Sportswashing

Beitrag von costa »

Rotstift hat geschrieben: 26.11.2022 11:56 Und was ist diese Machtdemonstartion nach innen anderes als Sportswashing?
Anders als du bin ich tatsächlich der Meinung, dass solche Ereignisse natürlich keinen überzeugten Linken bekehren werden, aber sie tragen mMn sehr wohl zu einer gewissen Normalisierung solcher Länder bei. Der von dir sehr richtig festgestellte Imagegewinn der Regime nach innen kommt noch dazu.
Das seh ich auch so. Ich bezweifle, dass viele Leute jetzt bewusst sagen "Ganz schön geiles Land, das.", aber da werden ganz klar Hemmschwellen gesenkt und "Werte", die man schon längst ad acta gelegt haben sollte, diffundieren zurück in die Mitte von Gesellschaften, die eigentlich einen Schritt weiter sind. "Normalisierung" halt, das ist IMO schon das Stichwort.
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Re: Sportswashing

Beitrag von NegatroN »

Rotstift hat geschrieben: 26.11.2022 11:56 Und was ist diese Machtdemonstartion nach innen anderes als Sportswashing?
Anders als du bin ich tatsächlich der Meinung, dass solche Ereignisse natürlich keinen überzeugten Linken bekehren werden, aber sie tragen mMn sehr wohl zu einer gewissen Normalisierung solcher Länder bei. Der von dir sehr richtig festgestellte Imagegewinn der Regime nach innen kommt noch dazu.
Das denke ich auch. Die eine Ebene ist die Erzählung nach innen. Wo es keine persönlichen Rechte und Freiheiten gibt, wird der Stolz ja gern aus der Nation und der nationalistischen Erzählung gezogen. Da tragen große Sportveranstaltungen definitiv dazu bei.
Die andere Ebene ist die internationale Wahrnehmung. Da funktioniert das ziemlich sicher nicht so direkt in dem Sinne, dass jetzt alle ein Land wie Qatar toll finden. Aber dass es auf subtiler Ebene was mit der Wahrnehmung des Landes als einen "normalen" Player macht (und zwar sowohl bei den einfachen Menschen wie aber auch bei Entscheidungsträgern aus Wirtschaft und Politik), das denke ich schon.
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Re: Sportswashing

Beitrag von costa »

NegatroN hat geschrieben: 26.11.2022 12:06
Rotstift hat geschrieben: 26.11.2022 11:56 Und was ist diese Machtdemonstartion nach innen anderes als Sportswashing?
Anders als du bin ich tatsächlich der Meinung, dass solche Ereignisse natürlich keinen überzeugten Linken bekehren werden, aber sie tragen mMn sehr wohl zu einer gewissen Normalisierung solcher Länder bei. Der von dir sehr richtig festgestellte Imagegewinn der Regime nach innen kommt noch dazu.
Das denke ich auch. Die eine Ebene ist die Erzählung nach innen. Wo es keine persönlichen Rechte und Freiheiten gibt, wird der Stolz ja gern aus der Nation und der nationalistischen Erzählung gezogen. Da tragen große Sportveranstaltungen definitiv dazu bei.
Die andere Ebene ist die internationale Wahrnehmung. Da funktioniert das ziemlich sicher nicht so direkt in dem Sinne, dass jetzt alle ein Land wie Qatar toll finden. Aber dass es auf subtiler Ebene was mit der Wahrnehmung des Landes als einen "normalen" Player macht (und zwar sowohl bei den einfachen Menschen wie aber auch bei Entscheidungsträgern aus Wirtschaft und Politik), das denke ich schon.
Das kommt nicht ständig vor, aber das ist tatsächlich exakt, was ich meinte. Ich habs aber nicht formuliert bekommen. *g*
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Re: Sportswashing

Beitrag von MetalEschi »

In meinem Umfeld funktioniert es teils auf einer anderen Ebene. Tatsächlich werden nicht die Gesetze, Umstände und Regeln des autokratischen Landes in Frage gestellt, sondern das angeblich doppelmoralische Forderung der "freien Welt" (mangels besseren Ausdrucks), man erwarte doch hierzulange auch, dass man sich an die Regeln und Gesetze halte, also sollten "wir" diese Forderung den Autokratien auch zugestehen. Ich nehme da nicht unbedingt ein "Tollfinden" der Umstände wahr, aber durchaus öfter mal ein "das ist bei denen halt so, und bei uns ist es anders". Eine Verharmlosung also. Denn welche Regeln und Einschränkungen der Grundrechte das nun sind, die man bei uns als Gast aus einem autokratischen Land so erdulden muss, kann mir dann auch keiner sagen. Warum bedinungungslose Partnerschaften (egal mit wem) und die Tatsache, sich öffentlich mit jedem Partner zeigen zu dürfen, freie Meinungsäußerung, faire Arbeitsbedingungen und Frauenrechte überhaupt noch irgendwo nicht mehrheitsfähig sein sollen, ist selten Teil der Diskussion, und wenn dann geht es kaum über ein "naja, weil die halt ganz gut damit leben" hinaus. Oder "bei uns ist halt auch nicht alles toll, fangen wir doch da an."
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Re: Sportswashing

Beitrag von monochrom »

NegatroN hat geschrieben: 26.11.2022 12:06
Rotstift hat geschrieben: 26.11.2022 11:56 Und was ist diese Machtdemonstartion nach innen anderes als Sportswashing?
Anders als du bin ich tatsächlich der Meinung, dass solche Ereignisse natürlich keinen überzeugten Linken bekehren werden, aber sie tragen mMn sehr wohl zu einer gewissen Normalisierung solcher Länder bei. Der von dir sehr richtig festgestellte Imagegewinn der Regime nach innen kommt noch dazu.
Das denke ich auch. Die eine Ebene ist die Erzählung nach innen. Wo es keine persönlichen Rechte und Freiheiten gibt, wird der Stolz ja gern aus der Nation und der nationalistischen Erzählung gezogen. Da tragen große Sportveranstaltungen definitiv dazu bei.
Die andere Ebene ist die internationale Wahrnehmung. Da funktioniert das ziemlich sicher nicht so direkt in dem Sinne, dass jetzt alle ein Land wie Qatar toll finden. Aber dass es auf subtiler Ebene was mit der Wahrnehmung des Landes als einen "normalen" Player macht (und zwar sowohl bei den einfachen Menschen wie aber auch bei Entscheidungsträgern aus Wirtschaft und Politik), das denke ich schon.
Den ersten Punkt habe ich ja in meinem langen Text erwähnt. Kein Widerspruch von hier.

Bei dem zweiten Punkt würde ich entschieden widersprechen. Die meisten Menschen hatten keinen Schimmer, wie Arbeit in den Golfstaaten funktioniert. Das Wissen darum, dass die (körperliche) Arbeit dort komplett gruselig organisiert ist, hat sich sicherlich stark verbreitet. Das Image von Katar in der Welt dürfte sich in den westlichen (und einigen anderen) Ländern deutlich verschlechtert haben. Auch Politiker und Wirtschaftsleute dürften eher vorsichtiger mit diesem Land umgehen, weil sie ahnen, dass Katar für einige Zeit mit "ziemlich gruselig" besetzt ist. Und den anderen Staaten war es vorher alles egal, und ist es jetzt immer noch.

Ich gehe nochmal zurück zu dem Wikipedia-Artikel, und dort zum ersten Satz: "Als Sportswashing (Wortzusammensetzung aus Sport und Whitewashing) werden Bestrebungen bezeichnet, das Ansehen des eigenen Landes durch die Veranstaltung von Sport-Events und deren positiven Reputation in den Medien zu verbessern." Das sehe ich komplett nicht gegeben, und ich weiß wirklich nicht, wann das jemals funktioniert haben soll.
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Re: Sportswashing

Beitrag von monochrom »

MetalEschi hat geschrieben: 26.11.2022 12:25 In meinem Umfeld funktioniert es teils auf einer anderen Ebene. Tatsächlich werden nicht die Gesetze, Umstände und Regeln des autokratischen Landes in Frage gestellt, sondern das angeblich doppelmoralische Forderung der "freien Welt" (mangels besseren Ausdrucks), man erwarte doch hierzulange auch, dass man sich an die Regeln und Gesetze halte, also sollten "wir" diese Forderung den Autokratien auch zugestehen. Ich nehme da nicht unbedingt ein "Tollfinden" der Umstände wahr, aber durchaus öfter mal ein "das ist bei denen halt so, und bei uns ist es anders". Eine Verharmlosung also. Denn welche Regeln und Einschränkungen der Grundrechte das nun sind, die man bei uns als Gast aus einem autokratischen Land so erdulden muss, kann mir dann auch keiner sagen. Warum bedinungungslose Partnerschaften (egal mit wem) und die Tatsache, sich öffentlich mit jedem Partner zeigen zu dürfen, freie Meinungsäußerung, faire Arbeitsbedingungen und Frauenrechte überhaupt noch mehrheitsfähig sein sollen, ist selten Teil der Diskussion, und wenn dann geht es kaum über ein "naja, weil die halt ganz gut damit leben" hinaus. Oder "bei uns ist halt auch nicht alles toll, fangen wir doch da an."
Aber diese ziemlich doofe, alles relativierende Haltung, ist ja schon vorher da, und verändert sich durch das Sportereignis einfach garnicht.
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Re: Sportswashing

Beitrag von NegatroN »

monochrom hat geschrieben: 26.11.2022 12:27Bei dem zweiten Punkt würde ich entschieden widersprechen. Die meisten Menschen hatten keinen Schimmer, wie Arbeit in den Golfstaaten funktioniert. Das Wissen darum, dass die (körperliche) Arbeit dort komplett gruselig organisiert ist, hat sich sicherlich stark verbreitet. Das Image von Katar in der Welt dürfte sich in den westlichen (und einigen anderen) Ländern deutlich verschlechtert haben. Auch Politiker und Wirtschaftsleute dürften eher vorsichtiger mit diesem Land umgehen, weil sie ahnen, dass Katar für einige Zeit mit "ziemlich gruselig" besetzt ist. Und den anderen Staaten war es vorher alles egal, und ist es jetzt immer noch.
Auf Deutschland mag das zutreffen. Aber anderswo? Ich hab zu den Spielen jetzt ein paar Berichte zu Portugal und Spanien gelesen. Das ist die ganze Kritik an Qatar so gut wie gar kein Theme, weder in den Medien noch bei den Fans. Da geht es nur um den Fußball.
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Re: Sportswashing

Beitrag von MetalEschi »

monochrom hat geschrieben: 26.11.2022 12:29
MetalEschi hat geschrieben: 26.11.2022 12:25 In meinem Umfeld funktioniert es teils auf einer anderen Ebene. Tatsächlich werden nicht die Gesetze, Umstände und Regeln des autokratischen Landes in Frage gestellt, sondern das angeblich doppelmoralische Forderung der "freien Welt" (mangels besseren Ausdrucks), man erwarte doch hierzulange auch, dass man sich an die Regeln und Gesetze halte, also sollten "wir" diese Forderung den Autokratien auch zugestehen. Ich nehme da nicht unbedingt ein "Tollfinden" der Umstände wahr, aber durchaus öfter mal ein "das ist bei denen halt so, und bei uns ist es anders". Eine Verharmlosung also. Denn welche Regeln und Einschränkungen der Grundrechte das nun sind, die man bei uns als Gast aus einem autokratischen Land so erdulden muss, kann mir dann auch keiner sagen. Warum bedinungungslose Partnerschaften (egal mit wem) und die Tatsache, sich öffentlich mit jedem Partner zeigen zu dürfen, freie Meinungsäußerung, faire Arbeitsbedingungen und Frauenrechte überhaupt noch mehrheitsfähig sein sollen, ist selten Teil der Diskussion, und wenn dann geht es kaum über ein "naja, weil die halt ganz gut damit leben" hinaus. Oder "bei uns ist halt auch nicht alles toll, fangen wir doch da an."
Aber diese ziemlich doofe, alles relativierende Haltung, ist ja schon vorher da, und verändert sich durch das Sportereignis einfach garnicht.
Och, ich wüsste da schon ein paar vor Allem junge Menschen, die gerade dabei sind, sich ihre ersten fundierten Meinungen zur Weltpolitik zu bilden, die Katar wesentlich kritischer beäugen würden, wenn nicht ihr geliebter Ronaldo dort spielen würde und offenbar gar kein Problem damit hat. So schlimm kann es dann ja nicht sein.
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Re: Sportswashing

Beitrag von Rotstift »

Ich würde mono insofern zustimmen als dass es in Deutschland tatsächlich nicht funktioniert. An der Stelle sind auch mal die Bayern-Fans zu loben, die ihrem Verein zum Thema Katar schon länger einheizen. Mich würde aber schon interessieren wie es in anderen Ländern aussieht, denn zumindestens die FIFA denkt ja längst über Europa hinaus uns peilt ganz andere Märkte an.
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Re: Sportswashing

Beitrag von Rivers »

Schönes Thema. Spannend. Ich glaube nicht, dass das Konzept in die Tonne gehört, sondern dass es funktioniert. In alle Richtungen, um ehrlich zu sein.

Zum einen im Inneren, um Image aufzubauen. Aber da ist ja in Qatar kaum jemand, den man überzeugen muss. Die Arbeiter aus dem Ausland muss man nicht überzeugen, die sind eine völlig andere "Kaste". Ich folge da eher der Argumentation irgendwo im ÖR, dass das Land mehrere Dinge mit der WM erreichen möchte: a) Internationale Bedeutung, die auch internationale Sicherheit im nahen Osten bedeutet. Aber auch das Mitspracherecht bei den Konflikten. b) Womöglich auch Sicherheit, niemand wird Qatar angreifen. Ob es die Gefahr gibt, weiß ich nicht. Aber das Land ist so klein wie Hessen und so reich wie sonst wer. Da ist ja kein Militär an der Grenze, was Leute aufhält. Und c) die internationale Verflechtungen (Siemens, Deutsche Bank, Volkswagen) der Qatar Holding. Wenn das Öl ausgeht, wird das Land weiterhin bedeutend sein. Die WM hilft dabei in ganz großer Art.

Dass das Land menschenrechtlich irgendwo weit hinten liegt, mal außen vor. Die Moral ist erstmal unbedeutend, denn aus Sicht von Qatar ist das ja kein Problem und alles wohlfeil. Und das ist ja unser Maßstab, nicht deren Maßstab. Deshalb funktioniert das alles nicht. Aber ich denke daher auch nicht, dass Qatar Sportwashing macht um vorrangig das eigene Volk zu überzeugen. Da muss auch niemand überzeugt werden.

Für die FIFA bdeutet das ganze wohl auch, Demokratie, Freiheit und fußballerische Moral in die Länder zu tragen. Ich bin überzeugt, dass die FIFA Leute das wirklich denken, um ihr Verhalten zu legitimieren. Den Ländern geht es nach einer WM besser, die Einflüsse der "Fans" schieben ein Land mehr in die Demokratie (sprich FIFA Sponsoren Kapitalismus) als in die Demagogie. Gut, Russland hat das Gegenteil gezeigt, aber das dauert wohl noch, bis die FIFA das einsieht.
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Re: Sportswashing

Beitrag von NegatroN »

Man muss da vermutlich auch zwischen kleinen und großen Ländern unterscheiden. Qatar verfolgt seit längerem die Strategie, überhaupt auf der Weltbühne wahrgenommen zu werden. Da ist die WM nur ein Puzzleteil davon. Das Land hat ja an und für sich keine weltpolitische Relevanz. Aber man versucht eben, durch Diplomatie und eben auch durch solche Veranstaltungen und andere Promotion an möglichst vielen Tischen zu sitzen. Das ist hier ganz gut beschrieben: https://www.tagesschau.de/ausland/asien ... k-101.html

Bei den großen Staaten ist es eher der Punkt, eine andere Seite in den Nachrichten zu zeigen. Hey, schaut mal, wir sind nicht der despotische Verbrecherstaat, als den eure Medien uns immer zeigen. Alles ganz normal hier, funktionierende Sportevents, lachende Gesichter, gute Stimmung. Das mag vielleicht bei der Mehrheit nicht verfangen. Aber wenn wir uns mal Russland anschauen, dann hat die jahrelange gezielte Propaganda ja schon einige Menschen erreicht. Es ist ja nicht so, als ob Russlandversteher nur eine kleine Anzahl von Freaks wären, die absolut keine Rolle spielen.

Von dem her muss man das glaube ich als Baustein betrachten. Nur über Sportswashing allein wird kein Pariah zum Helden. Aber es ist ein weiterer Teil, der an der kritischen Erzählung rüttelt. Das passt schon sehr gut zu den Bestrebungen, alle Kritik als Fake News abzutun.
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Re: Sportswashing

Beitrag von MetalEschi »

Rivers hat geschrieben: 26.11.2022 13:29 Für die FIFA bdeutet das ganze wohl auch, Demokratie, Freiheit und fußballerische Moral in die Länder zu tragen.
Für die FIFA bedeutet es, mehr Umsatz zu generieren durch eine größere Reichweite.
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Re: Sportswashing

Beitrag von Hyronimus »

Ich habe das die letzten Jahre in der Formel 1 verfolgt - da kommt es mir schon sehr nach System vor, dass auf der einen Seite die Kosten - ergo die Gewinne der FIA - und Auflagen so gesteigert werden, dass sich „normale“ Länder einen Grand Prix fast nicht mehr leisten können und immer mehr Slots im Rennkalender in den Nahen Osten, China und sonstige dubiose Staaten vergeben werden. Und über kurz oder lang führt das zu einer Normalisierung, weil man es halt hinnimmt, dass die Rennen nicht mehr nur auf europäischen Tradtionsstrecken stattfinden, sondern halt auch in der Wüste - Ausnahmen bestätigen im Zweifel die Regel, und auch da muss man schauen, wer die Rennen finanziert.

Verkauft wird das Ganze dann als „Erschließung neuer Märkte“. Was oft nur Business Speech für „es hat halt kaum noch ein demokratischer Staat Bock, sich den Auflagen von IOC und FIFA zu beugen“ ist, während sich genau diese Organisationen dann von Schurkenstaaten am Nasenring durch die Arena ziehen lassen, wenn Olympia und Fußball-WM dort stattfinden - siehe eingeschränkte Berichterstattung aus China, Russland und Katar oder auch das Nicht-Einhalten von Absprachen, aktuell z.B. der Bierverkauf in den Stadien.
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