Thunderforce hat geschrieben: ↑20.10.2022 08:29
27 Jahre, 10 Alben, 5 Sänger.
Das sind die blanken Zahlen zu Arena. Mir fällt spontan kaum eine Band ein, die in ihrer Laufbahn drei Sänger hatte (Maiden, Threshold), aber fünf ist schon außergewöhnlich. Nagut, Black Sabbath – aber die hatten auch mehr als zehn Alben. *g*
Egal, als Fan dabei bin ich seit „The Visitor“, live miterlebt habe ich also drei Sängerwechsel und live im Sinne von Konzertlaufbahn immerhin zwei.
Ich habe keine Ahnung, wie oft ich Arena in meinem Leben live gesehen habe, aber es war ziemlich oft und sie dürften in der Top 3 der am häufigsten von mir gesehenen Bands sein, vielleicht sogar auf Platz 1.
Die meisten Gigs von ihnen habe ich in der Essener Zeche Carl gesehen, gestern dürfte das siebte mal gewesen sein, wenn setlist.fm nichts ausgelassen hat. Und wieder mal war es soweit, ein neuer Sänger stand am Mikro. Der Unterschied zu allen anderen Sängerwechseln davor war: Den hier kannte ich schon, denn es ist Damian Wilson, der ehemalige Threshold-Sänger, den ich mit ebenjenen auch schon x-fach gesehen und abgefeiert habe, außerdem bei diversen Arjen-Lucassen-Konzerten. Noch nie war er dabei nicht legendär und hat einfach sämtliche anderen klassischen Rock- und Metalsänger mit links und innerhalb von zwei, drei Liedern komplett in die Tasche gesteckt. Ja, alle. Bis auf John Bush vielleicht, der liefert ebenfalls immer und überall wo ich ihn sehe eine Jahrhundertshow ab.
Noch dazu ist er (also Wilson jetzt *g*)auch als Frontmann einer der besten, die es gibt. - Als er 2020 oder wann das war als neuer Arena-Sänger angekündigt wurde, fand ich das zwar natürlich spannend, aber hatte auch meine Zweifel. Passt dieses Energiebündel zu dem doch eher gesetzteren Material von Arena?
Was war ich also gespannt. Immerhin ist seine Stimme sehr markant, unterscheidet sich schon ziemlich von denen von John Carson, Paul Wrightson, Rob Sowden und Paul Manzi, den bisherigen Arena-Vokalisten. Während Carson und Wrightson am ehesten in Fish-Gefilden wilderten (sofern der neben seiner tollen Stimme auch technisch gut singen könnte *g*), war Sowden mit dunklerer Stimmfärbung und mehr Drama am Start (die Arena-Konzerte mit ihm waren immer etwas theatralischer als mit den anderen, mehr Aufführung als Rockshow), Manzi hingegen war einfach ein klassischer Rocksänger mit viel Power.
Wilson singt höher als all seine Vorgänger und klingt einfach eigenständiger. Auf der neuen Platte funktioniert das sehr gut, aber ich hatte echt meine Zweifel, ob Wilson die alten Sachen so rüberbringen kann, dass es mich mitreißt, speziell bei den Rob Sowden-Sachen hatte ich Bedenken.
Diese waren aber unbegründet, wie sich herausstellte.
Da die Tour zur aktuellen Platte mit der coronabedingt verschobenen Tour zum 25-jährigen Bandjubiläum zusammengelegt wurde, lag der Fokus gar nicht so sehr auf dem aktuellen Album, lediglich drei Lieder wurden von dem gespielt. Dazu drei von „The Seventh Degree of Separation“, fünf von „The Visitor“ und dann jeweils eines von jedem anderen Album.
Sprich: Wilson musste sich neben seinem eigenen Kram mal eben Material von vier anderen Sängern draufpacken, was man ja auch erstmal machen muss. Und: Er ownte es *g*
Los ging es erwartungsgemäß mit „Time Capsule“, dem Opener der aktuellen Platte, doch direkt danach ließ man das neue Album erstmal außer acht und begab sich in die Vergangenheit, es folgten diverse Lieder aus der Manzi- und der Sowden-Phase. Herausragend hier das balladeske „How Did It Come To This?“ bei dem sich die Band zurücknahm und Wilson den Teppich ausbreitete, auf dem dieser dann glänzte und für meterweise Gänsehaut sorgte. Und: „The Butterfly Man“! Einer ihrer besten Songs, ewig nicht mehr live gehört. Wilson versang sich am Anfang beim Text, das wurde geschickt überspielt, in dem er einfach nochmal anfing und so einfach das Intro länger war, dann fiel im Mittelteil auch noch das Mikro aus, und es musste schnell ein neues her, aber auch das konnte der Performance nichts anhaben. Und es waren tatsächlich speziell die tief gesungenen, ruhigen Passagen, die Wilson entgegen meiner Erwartung komplett großartig rüberbrachte, erneut Gänsehaut. Nie klang dieser Song düsterer und finsterer.
Wilson entschuldigte sich nach dem Song sogar noch für den Technik-Fuckup, bezeichnete „The Butterfly Man“ als seinen Arena-Lieblingssong und wollte erklären, was genau passiert war, wurde aber von Gitarrist John Mitchell mit einem herausgebellten „Es ist kaputt!“ unterbrochen. *g*
Überhaupt, John Mitchell. Optisch ist ihm die Coronazeit nicht so gut bekommen, er hat mich inzwischen figurtechnisch überholt und wandert langsam Richtung Steve Rothery *g* - Aber ich habe ihn schon seit Jahren nicht mehr so gutgelaunt gesehen, er war nur am grinsen, lachen und rumfeixen. Das gilt für alle, nur Clive Nolan wirkte ungewohnt in sich gekehrt und zuerst fast grummelig aber nach einer längeren Ansage seinerseits über die Großartigkeit von deutschen Weihnachtsmärkten (Clive kommt jedes Jahr aus England rüber und besucht Weihnachtsmärkte in Deutschland, der Himmel weiß, warum – nun hat er wohl tatsächlich vor, einen Weihnachtsmarkt nach deutschem Vorbild auf seinem Grundstück aufzubauen für die Leute in der Stadt, in der er wohnt *lol* - einen Glühwein-Stand hatte er bereits letztes Jahr in seinem Garten und davon Bilder auf Twitter geteilt *g* ) taute auch er endlich auf.
Nach einem weiteren neuen Song ging es dann mit dem obligatorischen „A Crack in the Ice“ erstmals zurück in die 90er und zum Visitor-Album, DEM Bandklassiker. Die Sachen von Paul Wrightson brachte Damian natürlich ebenfalls super rüber, das war allerdings dann auch schon erwartungsgemäß eigentlich. Davon ab sind diese Songs ohnehin derart gut, dass sie vermutlich nichtmal Mille kaputtsingen könnte. Trotzdem muss man erwähnen, WIE sehr Damian Songs wie „ A State of Grace“ oder später „The Visitor“ zu seinen eigenen machte.
Es gibt so ein paar Songs, die spielen Arena immer und die jeweiligen Sänger haben den Song dann jeweils übernommen und machen Sachen eben anders als ihre Vorgänger. „Don‘t Forget to Breathe“, der Vampirsong, ist das beste Beispiel. Bei dem „And now you‘re mine!“-Break in der Mitte haben Sowden, Manzi und nun Wilson komplett verschiedene Dinge gemacht. Sowden wirkte immer wie so ein fancy Vampir, ein bisschen wie Gary Oldman in „Dracula“ von 1992, an den Stellen, wo er nicht alt ist *g*. Manzi sprach den Satz mit ganz tiefer Stimme, aber laut und deutlich. Und Wilson? Kauert sich vors Schlagzeug, atmet schwer und keuchend und murmelt dann kaum verständlich diesen Satz ins Mikro, mit rasselndem Atem, es klang beinahe psychotisch. Geil. Und megaspannend, wie die drei Sänger diesen Song, der im Original nicht von ihnen gesungen wird, übernommen und jeweils was eigenes draus gemacht haben.
Ein weiteres Beispiel ist „Crying for Help VII“, seit Anbeginn der Zeit der Stadion-Migröhler und die letzte Zugabe, den fand ich mit Manzi immer am allerbesten, aber auch hier hat Wilson seinen Stempel draufgedrückt, das Publikum noch mehr integriert als seine Vorgänger das gemacht haben und (wie den kompletten Abend über) nebenbei noch wie ein Gott gesungen.
Der Mann ist in der Form seines Lebens. Ich habe ihn wirklich oft mit Threshold gesehen, und auch von Threshold gab es Legendengigs (ebenfalls Zeche Carl Ende der 2000er kurz nach dem Ausstieg von Mac, dann 2014 im Hypothalamus Rheine, das waren so die beiden herausragendsten) wo ich gedacht habe, dass Damian auch ohne jede Schwierigkeit ein Fußballstadion in der Hand hätte und das habe ich gestern auch wieder gedacht. Es ist unfassbar, wie gut der ist.
Und wenn er nach dem letzten regulären Song „The Visitor“ dann nassgeschwitzt und strahlend ins Publikum guckt und sagt „Good night to every single one of you!“ dann sieht man ihm an, dass er das in dem Moment genauso meint und es von Herzen kommt.
Erste Zugabe dann „Solomon“, ich hatte es gehofft. An sich ist der fast auch obligatorisch, aber offenbar haben sie den bei der Tour bisher nur ein paar mal gespielt, er geht ja immerhin auch eine Viertelstunde. Überraschenderweise konnte Wilson das natürlich auch, auch wenn ich sagen muss, dass ich den Song einmal mit Rob Sowden gesehen habe und der das an dem Abend derart göttlich gemacht hat, dass es für alle Zeiten unerreicht bleiben wird. Dafür blieb Damian den kompletten, nicht gerade kurzen Instrumentalpart auf der Bühne und hatte Spaß, lachte und feierte sich, die Band und das Publikum.
Und, wie für ihn typisch, nachdem die Band nach der letzten Zugabe von der Bühne war, dauerte es keine 20 Sekunden, bis Wilson wieder rauskam, von der Bühne ins Publikum stieg und mit den Fans redete, Fotos mit sich machen ließ usw. Nochmal 2 Minuten später ging das ganze am Merchstand weiter. Ich hab da noch lange angestanden (die Leute haben denen das durchaus amtlich bepreiste Zeug kiloweise aus den Händen gerissen) und er stand die ganze Zeit neben der Merchandise-Verkäuferin, unterschrieb geduldig CDs und hatte für jeden Zeit und ein paar Worte.
Merkt man, wie sehr ich den Kerl mag und verehre? Gut. *g*
Also, Willkommen, Damian. Alle (ehrlich gesagt dann doch auch eher kleinen) Zweifel ausgeräumt. Ich bin gespannt, wie lange er bleibt. Bei Arena weiß man das eben nie. An sich bin ich sicher, dass ich auch noch Sänger Nummer 6 erleben werde. Andererseits ist Mick Pointer inzwischen 66 und Clive Nolan immerhin 61, wenn die noch zehn Jahre machen, bin ich ja schon dankbar.
Setlist Essen:
1. Time Capsule
2. Rapture
3. Bedlam Fayre
4. How Did it Come to This?
5. The Butterfly Man
6. Paradise of Thieves
7. The Equation (The Science of Magic)
8. A Crack in the Ice
9. Salamander
10. A State of Grace
11. The Ghost Walks (instrumentale Version)
12. Life Goes on
13. Don‘t Forget to Breathe
14. The Tinder Box
15. The Visitor
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16. Solomon
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17. Enemy Without
18. Crying for Help VII