NegatroN hat geschrieben: ↑01.12.2021 12:39
Die Playlist macht wie kaum eine andere bislang deutlich, wie subjektiv Musikwahrnehmung ist. Wenn ich nur die Songs ohne den Titel der Playlist gehört hätte, wäre ich nicht drauf gekommen, dass es hier um die traurigsten Songs aller Zeiten geht. Da ist schon viel melancholisches dabei und auch ein paar Nummer, bei denen ich den Titel nachvollziehen kann. Aber über die gesamte Playlist hinweg ist Traurigkeit bei mir nicht die dominante Wahrnehmung.
Stimmt.
Bei meinem Beispiel (Steven Wilson) ist es auch der Kontext wichtig. Der Song selber ist eigentlich nicht vordergründig traurig, aber der Kontext und die Lyrics sorgen dann dafür, dass ich jedesmal fast zusammenbreche, wenn das läuft.
Musikalisch ist zumindest der Chorus eigentlich sogar eher leichtfüßig-beschwingt, was es eigentlich dann aber in Zusammenhang mit dem Text nochmal trauriger macht.
Es geht ja um Joyce Carol Vincent, eine real exististente Person, die über zwei Jahre lang tot in ihrer Wohnung lag und offenbar von niemandem vermisst wurde. Erst dann wurde sie gefunden.
Und es war eine junge Frau, die Freunde, Familie etc hatte.
Steven Wilson hat ja dann eine fiktive Geschichte dazu erfunden, von der das Album handelt.
in "Happy Returns", dem letztem Song des Albums, schreibt sie einen Brief an ihren Bruder, der erst das übliche Geplänkel enthält, dann zunehmend melancholisch wird, am Ende wird es beinahe unstrukturiert, innerhalb von zwei Zeilen erwähnt sie, dass sie ihre Rechnungen nicht bezahlen kann, sie fragt, ob seine Kinder die Tante vermissen und dass sie schon Weihnachtsgeschenke für sie gekauft hat.
Am Schluss dann "I'm feeling kinda drowsy now, so I'll finish this tomorrow." - Was sie dann aber halt nie tut, weil sie stirbt und sich aber keiner um sie sorgt oder sie vermisst.
Es gab zu dem Album auch einen fiktiven Blog von der Frau, den sie über (scheinbar natürlich nur) Jahre verfasst hatte und aus dem hervorging, dass sie mehr und mehr dem Wahnsinn verfiel, das geht dann am Ende schon in die Richtung, dass sie Kontakt zu Aliens hatte und Angst hat, entführt zu werden. Wobei aber eben klar wird, dass sie in Wirklichkeit einfach nur einsam ist und sich einen zusammenspinnt.
Dieser ganze Kontext, zusammen mit dem gegen Ende fast wirr wirkenden Text von "Happy Returns", diesem Gitarrensolo, während dem sie in meiner Vorstellung stirbt, dann nochmal dieser fast poppige Chorus und dann das Outro mit diesem Chor, das so unendlich beruhigend und friedvoll wirkt, bricht mir komplett das Genick.
Vordergründig ist ein Song wie "The Raven that Refused to Sing" viel trauriger, aber bei "Happy Returns" ist es einfach das Gesamtbild.
Vielleicht gibt noch mehr so Beispiele, aber natürlich hängt es auch sehr an der eigenen Wahrnehmung von Musik, klar.