Russisch im Dialog: Klimax der Lust und (k)altes Ejakulat ®

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Rivers
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Re: Russisch im Dialog: Klimax der Lust und (k)altes Ejakulat ®

Beitrag von Rivers »

Janeck hat geschrieben: 24.04.2025 15:38 Und mit diesen letzten Zeilen und dem famosen Man-Size-Video als grandioser Abspann werfe ich nochmal ein tiefverbeugtes Dankeschön in die Runde – fürs Mitlesen, fürs Kommentieren zwischen Kopfschütteln und Stirnrunzeln, fürs Hochziehen der Augenbrauen und für all die liebevoll verdrehten Augen. Und danke für dieses Forum, in dem ich meinen musikalischen Senf so hemmungslos ausbreiten durfte.
Vielen Dank Dir. War immer was Spannendes dabei. :prost:
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Hyronimus
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Re: Russisch im Dialog: Klimax der Lust und (k)altes Ejakulat ®

Beitrag von Hyronimus »

Auch von mir vielen Dank für den Thread! Hat sehr viel Spaß gemacht, hier mitzulesen und meine Mediathek ist für die nächsten Jahre gut gefüllt :)
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Janeck
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Re: Russisch im Dialog: Klimax der Lust und (k)altes Ejakulat ®

Beitrag von Janeck »

Wire - 154
1979


"154" ist das Album, auf das Wire wohl schon immer hingearbeitet haben – ein Meisterwerk der Post Punk-Bewegung, das eine kühle, abweisende Schönheit in Klang und Konzept entfaltet und als eines der visionärsten Alben dieser Ära gilt. Für viele mögen die kantige Energie von "Pink Flag" oder die Experimentierfreude von "Chairs Missing" die prägenden Meilensteine sein, doch "154" veredelt alle ungeschliffenen Ideen seiner Vorgänger und präsentiert sich in einem makellos gegossenen, erschreckend klaren Klangbild. Die Songs wirken wie ein kaltes, reflektierendes Prisma, das die inneren Spannungen und das kreative Unbehagen der Band in einer unterkühlten, metallischen und gleichzeitig zutiefst melancholischen Atmosphäre einfängt. Dieses Album ist nicht bloß der dritte Streich einer einst als Amateur-Provokation gestarteten Band; es ist eine glasklare, schillernde Antithese zur ursprünglich wilden, ungebändigten Punk-Bewegung, die 1979 in Wires Händen zu einem ganz neuen Ausdruck reift.
Wires Entwicklung ist auf "154" nicht nur hör-, sondern spürbar. Die "Dilettanten" von "Pink Flag", die als primitive Punk-Splitter mit krachenden Rhythmen und sägenden Gitarren begannen, sind nun zu architektonischen Meistern gereift, die eine klangliche Welt entworfen haben, in der jedes Element gezielt platziert ist. Mit "154" heben sich Wire endgültig von ihren Anfängen und der Punk-Szene ab und schaffen ein kaleidoskopisches Werk voller Widersprüche und Dissonanzen, das die Ästhetik des Post Punk neu definiert. Der Opener 'I Should Have Known Better' begrüßt einen nicht mit der erwarteten punkigen Rohheit, sondern mit flächigen, ambienhaften Keyboard-Sounds und Colin Newmans vokaler Melancholie, die durch eine gefühlte Glaswand dringt. Dieser Song eröffnet eine kalte, zerbrechliche Welt, die wie aus Stahl und Glas geschmiedet scheint – und doch ist sie so unaufhaltsam eindringlich. Die kantigen Gitarrenriffs, die früher so charakteristisch für Wire waren, haben sich hier in hypnotische, mechanische Strukturen verwandelt, die durch Synthesizer ergänzt werden und eine leblose, futuristische Ästhetik erzeugen. Und gleich danach schmettert 'Two People In A Room' wie ein vertrauter Ankerpunkt zurück zur Unmittelbarkeit, nur um einen umso deutlicher in die entseelte, künstlich wirkende Soundlandschaft zurückzuwerfen, die dem Album seine einzigartige Stimmung verleiht.
Das Album lebt von Kontrasten und extremen Facetten. Die Pop-Anklänge sind messerscharf und minimalistisch. Songs wie 'The 15th' erscheinen als perfekte Fusion von Post Punk und düsterem Pop, die mit frostiger Mechanik und surrealer Distanz ein futuristisches Gefühl erzeugen. "154" entfaltet sich in seltsamer Kühle, die dennoch emotional überwältigt – wie eine Post Punk-Oper, in der die Gitarren niemals in den Vordergrund drängen, sondern atmosphärisch im Hintergrund pulsieren und treiben. Die einst unverkennbar schroffen Riffs der Band wurden hier durch flächige, synkopierte Sounds ersetzt, die fast unmerklich eine Spannung erzeugen, die Songs wie 'A Touching Display' und 'A Mutual Friend' zu hypnotischen Klangexperimenten verdichtet. In diesen Songs scheinen Wire eine Vision von Anti-Utopie zu entfalten: eine bedrückende Welt, die in all ihrer Kühle niemals aufhört, eine dunkle, beinahe schön-schaurige Poesie auszustrahlen.
Man merkt, dass die Band sich klanglich nicht mehr mit spielerischen, spontanen Ideen abgibt – alles an "154" wirkt durchdacht und kalkuliert, wie ein sorgfältig geplantes, wenn auch beängstigendes Monument. Elektronische und akustische Elemente bilden eine perfekte Symbiose, die den Fluss der Platte zu keinem Zeitpunkt stört. "154" entfaltet seine Klanglandschaften wie eine bleierne, stille Apokalypse. Die Atmosphäre des Albums ist so dicht und allumfassend, dass sie physisch spürbar wird. "154" klingt, als wäre es in einem Raum erschaffen worden, dessen Wände aus kaltem, unnachgiebigem Stahl bestehen, in dem die Zeit stillsteht und nur die Musik selbst als Lebenszeichen existiert. Diese sterile, kalte Eleganz verleiht dem Album seine Zeitlosigkeit und macht es auf monumentale Weise bemerkenswert.
Die düstere Krönung des Albums ist 'A Touching Display'. In diesem fast siebenminütigen Epos steigert sich die Band in eine Vertonung der dunklen Zukunftsvisionen, die dem Album innewohnen. Die hypnotische Wiederholung und der dröhnende, fast erdrückende Sound erzeugen eine beklemmende Atmosphäre, die einen Blick in eine apokalyptische, entfremdete Welt eröffnet. Die Idee einer "berührenden Inszenierung" verwandelt sich in eine verzerrte Zukunftsvision, die tief in das Unbehagen der Post Punk-Ära greift und gleichzeitig einen Vorgriff auf die kommende Gothic-Ästhetik darstellt.
Wer die frühen Jahre der Post Punk-Bewegung verstehen möchte, findet in "154" ein unverzichtbares Kapitel. Es zeigt eine Band, die entschlossen ist, ihre Grenzen bis zum Äußersten auszuloten, und dabei ein Werk schafft, das in seiner visionären Kraft selbst heute noch erschüttert und fasziniert. "154" fängt Wires evolutionäre Reise zur künstlerischen Reife ein und zählt somit zu den wichtigsten Platten des Post Punk. Es ist sperrig, geschickt, einnehmend und unbarmherzig in seiner Detailverliebtheit. Hier sind Punk und Post Punk nicht nur musikalische Richtungen, sondern ein Raum – ein Ort, an dem Schönheit und Kälte aufeinandertreffen und eine neue, unbekannte Schwere erzeugen. Mit "154" haben Wire ein Album geschaffen, das die Bewegung nicht nur weiterentwickelte, sondern das Genre in eine neue, bisher unentdeckte Dimension führte.



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costa
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Re: Russisch im Dialog: Klimax der Lust und (k)altes Ejakulat ®

Beitrag von costa »

Das Album ist so sensationell gut.
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PetePetePete
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Re: Russisch im Dialog: Klimax der Lust und (k)altes Ejakulat ®

Beitrag von PetePetePete »

Ich bin eher ein Pink Flag-Guy, aber 154 ist trotzdem schon echt bombig.
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Janeck
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Re: Russisch im Dialog: Klimax der Lust und (k)altes Ejakulat ®

Beitrag von Janeck »

Cradle of Filth - Dusk... and Her Embrace
1996


Nach dem noch schwerlich kategorisierbaren, rohen Debüt "The Principle of Evil Made Flesh", mit dem Cradle of Filth 1994 als blutgetränkter, theatralischer Sonderfall zwischen Black Metal und Gothic ihre Geburtsstunde feierten, legte die britische Band 1996 mit "Dusk... and Her Embrace" ein Werk vor, das nicht weniger als die sinistre Perfektion ihres Stils darstellt. Ein opulentes, barockes Meisterstück zwischen viktorianischem Schauerroman, nekrophiler Poesie und okkultem Black Metal; so detailverliebt, so konsequent, so makellos in seiner klanglichen und konzeptuellen Ausformung, dass es in seiner Art bis heute unantastbar scheint.
Doch konnte dieser Stil überhaupt noch weiter verfeinert werden? War "Dusk... and Her Embrace" nicht bereits das maximal Verdichtete, das kunstvoll Ausformulierte eines Genres, das ohnehin schon am Abgrund entlang tänzelte? Cradle of Filth schienen diese Fragen mit einem leidenschaftlichen "Ja, aber anders" zu beantworten. Zwar blieben spätere Alben wie "Cruelty and the Beast" oder "Midian" dem Grundton treu; setzten aber neue, andere Akzente – professioneller, experimenteller und natürlich viel zugänglicher.
Doch "Dusk... and Her Embrace" bleibt in seiner Form so geschlossen, so hermetisch, dass man kaum an ihm rühren kann, ohne seine zerbrechliche Schönheit und seine albtraumhafte Eleganz zu beschädigen. "Dusk... and Her Embrace" ist ein Album, das in seinen überladenen, fast übernatürlich wirkenden Klanggewändern badet und dennoch nie ins Lächerliche kippt – vielleicht, weil es sich seiner eigenen Überhöhung so bewusst ist.
Dabei beginnt alles ganz unscheinbar: die elegische Eröffnungs-Ouvertüre 'Humana Inspired to Nightmare', ein schwermütiger Vorhang aus orchestraler Dramatik, der sich langsam hebt, um das zu offenbaren, was danach folgt: das monumentale 'Heaven Torn Asunder', eine rasende, messerscharf komponierte Black Metal-Hymne mit rasend schnellen Blastbeats, infernalischen Gitarrenläufen und Dani Filths hysterischem, geiferndem Kreischgesang – irgendwo zwischen dämonischem Kind, verrücktem Aristokraten und leidendem Tier –, der "Dusk... and Her Embrace" seinen Stempel aufdrückt.
Filth deklamiert nicht nur; er spuckt, haucht, faucht seine Lyrik in die Welt – eine literarisch versierte Mischung aus viktorianischer Romantik, dekadenter Erotik und morbidem Schauer. Dass "Dusk... and Her Embrace" dennoch weit über den bloßen Schockeffekt hinausgeht, liegt an seiner außergewöhnlichen musikalischen Ausarbeitung. Die sensationellen Arrangements wirken wie aus einem Guss; jede Note, jedes Sample, jeder orchestrale Einschub sitzt – nichts wirkt überladen, obwohl alles überladen ist.
Besonders das titelgebende Stück 'Dusk and Her Embrace' ist ein Paradebeispiel für diese doppelbödige Eleganz: Von einem zarten Gitarrenmotiv getragen, entfaltet es sich zu einem hypnotischen Reigen, zu einem opulenten Totentanz, der bei Vollmond getanzt wird – aus Chören, Doublebass-Gewittern und hymnischer Melodik.
Auch das sakrale 'A Gothic Romance (Red Roses for the Devil's Whore)' bringt diese Ambivalenz auf den Punkt: Theatralisch, romantisch, düster – ein wilder Ritt durch die Abgründe viktorianischer Erotik, von Violinensamples und Choralgesängen untermalt, als würde man ein Lovecraft-Gedicht in die Kulisse eines Hammer-Horrorfilms projizieren. Es ist diese perfekt eingefangene ästhetische Geschlossenheit – man glaubt beim Hören förmlich den kalten Stein unter den nackten Füßen zu spüren; das schwere Parfüm verfallener Damen, das Rascheln zerfledderter Kleider im Kerzenschein.
Besonders hervorzuheben ist auch das für die damalige Zeit (meine Güte, fast dreißig Jahre her) fantastische Zusammenspiel zwischen Dani Filth und den weiblichen Stimmen, die immer wieder durch die Songs geistern – schaurig flüsternd, lockend, lachend –, sie verleihen den Songs eine Sinnlichkeit, die "Dusk... and Her Embrace" aus dem Rahmen des Gewöhnlichen heraushebt. So ist es auch kein Zufall, dass die stärksten Momente des Albums oft jene sind, in denen diese Stimmen in den Vordergrund treten – etwa im unvergesslichen 'Malice Through The Looking Glass', dessen Melancholie damals bei mir noch Tage nachgewirkt hat.
"Dusk... and Her Embrace" ist in seiner Gesamtheit zu genießen – als Werk, als Konzept, als düsteres Theaterstück in neun Akten. Jeder Song trägt zum Gesamtbild bei; doch erst im Zusammenhang offenbart sich die wahre Stärke des Albums: das Gefühl, in eine andere Welt eingetaucht zu sein. Cradle of Filth konnten dieses Level an klanglicher Kohärenz und atmosphärischer Dichte nie wieder wiederholen – zu sehr drifteten sie mal in Richtung bombastischem Horror-Metal, mal in pseudo-symphonische Gefilde, mal in fast schon parodistische Selbstzitate.
"Dusk... and Her Embrace" aber bleibt. Ein elegisches Kunstwerk, geätzt in die Nacht. Und neben "Bergtatt - Et eeventyr i 5 capitler" und "Anthems to the Welkin at Dusk" das am klügsten komponierte "Black" Metal-Album der Neunzigerjahre.
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infected
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Re: Russisch im Dialog: Klimax der Lust und (k)altes Ejakulat ®

Beitrag von infected »

<3
Spitzenalbum. Die Show auf der Tour zu diesem Album in Trier (Opeth waren da Vorband) unfassbar gut (wie auch der Auftritt auf der Hauptbühne des Dynamo Open Air schon etwas surreales an sich hatte nachdem ich die Band zwei Jahre vorher noch in einem kleinen Juz vor 100 Zuschauern auf einer Bühne aus Europaletten sah), das war für mich der Peak bei dieser Band. Das anschließende Album gefällt mir erst in der neuen Version, da der Sound im Original einfach grässlich war, Midian war auch noch gut, aber keines der Alben kam mehr an das Doppel Vempyre/Dusk... heran. Und danach war es das eh für mich mit der Band.
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Janeck
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Re: Russisch im Dialog: Klimax der Lust und (k)altes Ejakulat ®

Beitrag von Janeck »

infected hat geschrieben: 09.05.2025 19:13 <3
Spitzenalbum. Die Show auf der Tour zu diesem Album in Trier (Opeth waren da Vorband) unfassbar gut (wie auch der Auftritt auf der Hauptbühne des Dynamo Open Air schon etwas surreales an sich hatte nachdem ich die Band zwei Jahre vorher noch in einem kleinen Juz vor 100 Zuschauern auf einer Bühne aus Europaletten sah), das war für mich der Peak bei dieser Band. Das anschließende Album gefällt mir erst in der neuen Version, da der Sound im Original einfach grässlich war, Midian war auch noch gut, aber keines der Alben kam mehr an das Doppel Vempyre/Dusk... heran. Und danach war es das eh für mich mit der Band.
Die Vempire ist mir tatsächlich auch die liebste. Die Kürze und der etwas bessere Sound sind perfekt. Als Album aber definitiv die Dusk. Stimmt, was du schreibst. Die Cruelty war mir bereits schon too much und zu übertrieben, auch mit dem neuen Mix. Mit Midian habe ich die Band dann verloren. Ich habe mal in die neueren Alben reingehört, aber das war alles nichts für mich.
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MetalEschi
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Re: Russisch im Dialog: Klimax der Lust und (k)altes Ejakulat ®

Beitrag von MetalEschi »

Zu Midian-Zeiten haben mich CoF mit ihrem Huibu-das-Schlossgespenst-Metal mal für ein paar Jahre ganz gut abgeholt. Seit ein paar Jahren höre ich diese Art Muslk aber so gut wie gar nicht mehr. Das letzte Mal bewusst Kontakt zu der Band hatte ich, als Dani Filth mir im Vorprogramm von Behemoth mal beinahe dle Ohren kaputt gekreischt hat.
That being said ist Dusk... ähnlich wie Dimmu Borgir der Inbegriff von 90er-Nostalgie. Für mich hat extremer Metal damals eine sehr spezielle Ästhetik gehabt und objektiv gesehen fängt das Album diese ziemlich gut ein.
Sie lasen: Qualitätsposting von MetalEschi (c)2025
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Janeck
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Re: Russisch im Dialog: Klimax der Lust und (k)altes Ejakulat ®

Beitrag von Janeck »

Auch das stimmt. Aber dafür ist das Album schlicht zu gut, um es bloß als Nostalgie abzutun. Ich höre es zwar selten, aber immer, wenn es läuft, bin ich noch genauso beeindruckt von der grandiosen Gestaltung.
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David Lee Hasselhoff
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Re: Russisch im Dialog: Klimax der Lust und (k)altes Ejakulat ®

Beitrag von David Lee Hasselhoff »

Ist ja witzig. Hatte dieser Tage gerade beschlossen, diese Bildungslücke mal zu schließen. Erster Durchlauf heute auf dem Weg zur Grube: Wie oft werd ich mir das eigentlich anhören müssen, um da Irgendwas nachvollziehen zu können? Irre. Aber halt auch geil. Gut, dass ich das in den 90ern ignoriert habe, sonst hätt ich mich prompt noch mehr ins soziale Abseits gestellt. Gibt's ne Altersgrenze für Eyeliner? Bleibe am Ball.
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Janeck
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Re: Russisch im Dialog: Klimax der Lust und (k)altes Ejakulat ®

Beitrag von Janeck »

David Lee Hasselhoff hat geschrieben: 12.05.2025 09:30 Ist ja witzig. Hatte dieser Tage gerade beschlossen, diese Bildungslücke mal zu schließen. Erster Durchlauf heute auf dem Weg zur Grube: Wie oft werd ich mir das eigentlich anhören müssen, um da Irgendwas nachvollziehen zu können? Irre. Aber halt auch geil. Gut, dass ich das in den 90ern ignoriert habe, sonst hätt ich mich prompt noch mehr ins soziale Abseits gestellt. Gibt's ne Altersgrenze für Eyeliner? Bleibe am Ball.
Keine Ahnung - habe ich nie aufgetragen. Cradle of Filth waren in den Neunzigern nur unter vorgehaltener Hand zu bewundern, wenn man nicht negativ im Darkthrone-Shirt auffallen wollte. :D

Schnapp dir noch die "Vempire" - schön kurz, straff, und in meinen Ohren ohnehin der beste Output der Band. Das Debüt kannst du liegen lassen; in die "Cruelty" könntest du zumindest mal reinhören (achte auf den neuen Remix - "...Remistressed" - , das 98er-Original klingt wie Eumel). Danach war für mich sowieso Schluss. Ja, klar ist das derb Neunziger - deshalb ja auch so geil. *g*
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costa
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Re: Russisch im Dialog: Klimax der Lust und (k)altes Ejakulat ®

Beitrag von costa »

Kenne die Band altersbedingt freilich nur als EMP-mäßige Lachnummer, vielleicht sind sie das aber gar nicht. Mehr als zwei Songs hab ich nie gehört. Dass das hier recht vernünftige Menschen abfeiern, spricht mich ja durchaus an, wenn ich dann aber was von Bombast und Orchester-Gedöns lese, ist der Ofen ungehört schon wieder aus. :D
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Re: Russisch im Dialog: Klimax der Lust und (k)altes Ejakulat ®

Beitrag von Janeck »

Nie im Lewee is des was fer dich, Gammelgott.
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Kaleun Thomsen
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Re: Russisch im Dialog: Klimax der Lust und (k)altes Ejakulat ®

Beitrag von Kaleun Thomsen »

Janeck hat geschrieben: 09.05.2025 18:16 Cradle of Filth - Dusk... and Her Embrace
1996


Nach dem noch schwerlich kategorisierbaren, rohen Debüt "The Principle of Evil Made Flesh", mit dem Cradle of Filth 1994 als blutgetränkter, theatralischer Sonderfall zwischen Black Metal und Gothic ihre Geburtsstunde feierten, legte die britische Band 1996 mit "Dusk... and Her Embrace" ein Werk vor, das nicht weniger als die sinistre Perfektion ihres Stils darstellt. Ein opulentes, barockes Meisterstück zwischen viktorianischem Schauerroman, nekrophiler Poesie und okkultem Black Metal; so detailverliebt, so konsequent, so makellos in seiner klanglichen und konzeptuellen Ausformung, dass es in seiner Art bis heute unantastbar scheint.
Doch konnte dieser Stil überhaupt noch weiter verfeinert werden? War "Dusk... and Her Embrace" nicht bereits das maximal Verdichtete, das kunstvoll Ausformulierte eines Genres, das ohnehin schon am Abgrund entlang tänzelte? Cradle of Filth schienen diese Fragen mit einem leidenschaftlichen "Ja, aber anders" zu beantworten. Zwar blieben spätere Alben wie "Cruelty and the Beast" oder "Midian" dem Grundton treu; setzten aber neue, andere Akzente – professioneller, experimenteller und natürlich viel zugänglicher.
Doch "Dusk... and Her Embrace" bleibt in seiner Form so geschlossen, so hermetisch, dass man kaum an ihm rühren kann, ohne seine zerbrechliche Schönheit und seine albtraumhafte Eleganz zu beschädigen. "Dusk... and Her Embrace" ist ein Album, das in seinen überladenen, fast übernatürlich wirkenden Klanggewändern badet und dennoch nie ins Lächerliche kippt – vielleicht, weil es sich seiner eigenen Überhöhung so bewusst ist.
Dabei beginnt alles ganz unscheinbar: die elegische Eröffnungs-Ouvertüre 'Humana Inspired to Nightmare', ein schwermütiger Vorhang aus orchestraler Dramatik, der sich langsam hebt, um das zu offenbaren, was danach folgt: das monumentale 'Heaven Torn Asunder', eine rasende, messerscharf komponierte Black Metal-Hymne mit rasend schnellen Blastbeats, infernalischen Gitarrenläufen und Dani Filths hysterischem, geiferndem Kreischgesang – irgendwo zwischen dämonischem Kind, verrücktem Aristokraten und leidendem Tier –, der "Dusk... and Her Embrace" seinen Stempel aufdrückt.
Filth deklamiert nicht nur; er spuckt, haucht, faucht seine Lyrik in die Welt – eine literarisch versierte Mischung aus viktorianischer Romantik, dekadenter Erotik und morbidem Schauer. Dass "Dusk... and Her Embrace" dennoch weit über den bloßen Schockeffekt hinausgeht, liegt an seiner außergewöhnlichen musikalischen Ausarbeitung. Die sensationellen Arrangements wirken wie aus einem Guss; jede Note, jedes Sample, jeder orchestrale Einschub sitzt – nichts wirkt überladen, obwohl alles überladen ist.
Besonders das titelgebende Stück 'Dusk and Her Embrace' ist ein Paradebeispiel für diese doppelbödige Eleganz: Von einem zarten Gitarrenmotiv getragen, entfaltet es sich zu einem hypnotischen Reigen, zu einem opulenten Totentanz, der bei Vollmond getanzt wird – aus Chören, Doublebass-Gewittern und hymnischer Melodik.
Auch das sakrale 'A Gothic Romance (Red Roses for the Devil's Whore)' bringt diese Ambivalenz auf den Punkt: Theatralisch, romantisch, düster – ein wilder Ritt durch die Abgründe viktorianischer Erotik, von Violinensamples und Choralgesängen untermalt, als würde man ein Lovecraft-Gedicht in die Kulisse eines Hammer-Horrorfilms projizieren. Es ist diese perfekt eingefangene ästhetische Geschlossenheit – man glaubt beim Hören förmlich den kalten Stein unter den nackten Füßen zu spüren; das schwere Parfüm verfallener Damen, das Rascheln zerfledderter Kleider im Kerzenschein.
Besonders hervorzuheben ist auch das für die damalige Zeit (meine Güte, fast dreißig Jahre her) fantastische Zusammenspiel zwischen Dani Filth und den weiblichen Stimmen, die immer wieder durch die Songs geistern – schaurig flüsternd, lockend, lachend –, sie verleihen den Songs eine Sinnlichkeit, die "Dusk... and Her Embrace" aus dem Rahmen des Gewöhnlichen heraushebt. So ist es auch kein Zufall, dass die stärksten Momente des Albums oft jene sind, in denen diese Stimmen in den Vordergrund treten – etwa im unvergesslichen 'Malice Through The Looking Glass', dessen Melancholie damals bei mir noch Tage nachgewirkt hat.
"Dusk... and Her Embrace" ist in seiner Gesamtheit zu genießen – als Werk, als Konzept, als düsteres Theaterstück in neun Akten. Jeder Song trägt zum Gesamtbild bei; doch erst im Zusammenhang offenbart sich die wahre Stärke des Albums: das Gefühl, in eine andere Welt eingetaucht zu sein. Cradle of Filth konnten dieses Level an klanglicher Kohärenz und atmosphärischer Dichte nie wieder wiederholen – zu sehr drifteten sie mal in Richtung bombastischem Horror-Metal, mal in pseudo-symphonische Gefilde, mal in fast schon parodistische Selbstzitate.
"Dusk... and Her Embrace" aber bleibt. Ein elegisches Kunstwerk, geätzt in die Nacht. Und neben "Bergtatt - Et eeventyr i 5 capitler" und "Anthems to the Welkin at Dusk" das am klügsten komponierte "Black" Metal-Album der Neunzigerjahre.
So sieht das aus. Absolutes Meisterwerk und kreativer, künstlerischer Peak der Band. Ist aber evtl. wirklich nur etwas für Leute, die schon in den 90ern im Kunstledermantel im "Weihnachtsbaumland Zörbig" oder ähnlichen Unorten der juvenilen Verzweiflung gepost haben.
Swingtime is good time, good time is better time!
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