Allgemeiner Politik/Zeitgeschehen-Thread, Teil 3

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NegatroN
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Re: Allgemeiner Politik/Zeitgeschehen-Thread, Teil 3

Beitrag von NegatroN »

Ziemlich schlauer Text über die Proteste der Letzten Generation:

https://uebermedien.de/79076/warum-die- ... tig-macht/
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David Lee Hasselhoff
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Re: Allgemeiner Politik/Zeitgeschehen-Thread, Teil 3

Beitrag von David Lee Hasselhoff »

Der Artikel spricht mir aus der Seele. Braver Protest wird nicht gehört. Scheppern muss es, stören muss es.
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tafkasc
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Re: Allgemeiner Politik/Zeitgeschehen-Thread, Teil 3

Beitrag von tafkasc »

NegatroN hat geschrieben: 30.11.2022 00:17 Ziemlich schlauer Text über die Proteste der Letzten Generation:

https://uebermedien.de/79076/warum-die- ... tig-macht/
Die gefühlt relativ breite Ablehnung der aktuellen Protestaktionen gerade hier in DE hat mich auch irgendwie überrascht. Die Zitate von Hochglanzmoderatoren und Geriatriekanzlern sind entlarvend und archetypisch. Aber die nachfolgende Argumentation ist einseitig und manipulativ. Die historische Einordnung ist unpassend. Die beschriebenen Mechanismen leuchten mir nicht ein bzw. sind sehr stark feedbackabhängig. Und die Erwartung naher sozialer Kipppunkte entspricht nicht meiner Wahrnehmung der sozialen Realität.

.. Der Kommentar war hier eigentlich zu Ende. Aber irgendwie kann ich nicht erwarten, dass das nachvollziehbar ist. Deshalb kommt jetzt noch eine lange Fußnote, die etwas hastig zusammengetippert wurde. Sry dafür.

Der Konflikt, um den es bei der Klimakrise geht, kennt keine klaren Frontverläufe. Da geht es nicht darum, sich klar gegen Rassismus oder Sexismus zu positionieren. Auch nicht gegen den kleinen Rassisten oder Sexisten in uns selbst. Es geht um einen Konflikt, den wir praktisch alle auch mit und in uns selbst haben, wenn wir etwas mögen und präferieren, was andere (vlt irgendwann auch uns selbst oder unsere liebsten) etwas kostet. Wir “sehen” auch das Unrecht des unterdrückten Gegenübers dabei nicht direkt und die Kausalität ist über tausend Ecken (was gerade ein Kennzeichen vieler moralischer/normativer Fragestellungen im Spannungsbereich von Konsequentialismus und Deontologie ist, die schwer entscheidbar sind).

Diese Kostenkalkulationen ist einfach verdammt schwer und IMO auch durch normative Konzepte kaum zu fassen. Die ganze “Jedes Zehntelgrad zählt”-Argumentation beruht letztendlich auf der impliziten Annahme überbordender Kosten auch durch geringe Erwärmungen. Aber auch dieses Basiskonzept bricht irgendwann zusammen, genauso wie die Arbeiterklasse, wenn es sie quantitativ kaum nocht gibt. “Alle gegenwärtigen Kosten sind berechtigt wegen jedes Hundertstelgrades” - mit Sicherheit nicht (Kosten sind immer Opportunitätskosten: https://stumblingandmumbling.typepad.co ... money.html).

Mir sind auch die Bögen zu weit gespannt. Die wissenschaftlich belegten Szenarien sind Szenarien. Und die Gewalt des Systems ist letztendlich auch die Gewalt, die irgendwelche generationenübergreifenden Gerechtigkeitsanforderungen des BVerfG - zusammen und im Einklang mit dem kompletten normativen Gesamtsternenhimmel, den wir sowieso schon haben - durchsetzen soll und die dann im Zweifel auch deutlich konkreter wird.

Auch diese Bedingungsargumentation ist da nicht einfach nur zwingend. Natürlich kann man fordern, dass irgendwelche Bedingungen für zukünftige Generationen bzw. deren Freiheiten zu sichern sind. Aber die Unsicherheit hinsichtlich ihrer Effizienz und Effektivität, die alle diese Sicherungsmaßnahmen begleitet, steht in andauernder und direkter Konkurrenz zu ihren gegenwärtigen Eingriffen in konkrete Individualrechte. Wir schaffen es noch nicht mal unsere sozialen Sicherungssysteme für die nächsten paar Jahrzehnte sauber und nachhaltig aufzustellen. Aber wir stecken Idioten in Erzwingungshaft, die Wert darauf legen ihre GEZ-Gebühren nicht zu bezahlen. Es ist auch gedanklich nicht komplett spannungsfrei die Freiheiten künftiger Generationen schützen zu wollen und gleichzeitig darauf zu hoffen, dass diese zahlenmäßig nicht allzu groß werden.

Das funktioniert alles nicht nur in eine Richtung, ist alles bei Weitem nicht so logisch und zwingend wie es klingt und das wird nicht zu einem irgendwie gearteten sozialen Kippen führen und schon gar nicht in irgendeine klar definierbare Richtung. Wir werden die Klimakrise in einer Mischung aus Migration, Technologie und Anpassung irgendwie durchstehen oder eben nicht. Was wir dabei nicht haben werden, ist irgendeine Art von Kontrolle. Deshalb und weil wir eine endliche Spezies aus krummem Holz mit einer Sehnsucht nach Unendlichkeit und Universalien sind, bleiben wir Groß- und Altmeister der Verdrängung.

Diese eschatologische Grundstimmung irritiert mich auch generell etwas, aber es gibt schlimmeres. Ich glaube, wir werden vor diesem Hintergrund von faktischen und normativen Zielkonflikten in absehbarer Zukunft keinen klaren Konsens in der Gesellschaft zu einer bestimmten Politiklinie haben. Im Gegenteil: Wir haben da einen ganz breiten und multidimensionalen Dissens (oder mehrere davon). Wir werden vlt und hoffentlich weiterhin das Glück haben, dass einiges funktioniert richtig gut funktioniert, wie z.B. die Fotovoltaik. Eine Randiterpretation dieses Texte wäre sogar (mich macht die nicht heiß, andere aber schon -> keine Kipppunkte), dass er einen Versuch darstellt weitergehendem Extremismus Boden und Hoffnung zu bereiten (Ich lese gerade “Die Farbe Rot” von Gerd Koenen, der Text klingelt da enorm auf diversen Ebenen). Wie gesagt .. Dissens.

All Hail Grüner Wasserstoff !

PS
Klingeling: https://www.zeit.de/politik/deutschland ... rwanderung
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metalbart
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Re: Allgemeiner Politik/Zeitgeschehen-Thread, Teil 3

Beitrag von metalbart »

alles andere als einen schleichenden Prozess kann ich mir auch nicht vorstellen. Dazu bräuchte es einen weltweiten Konsens, der die Kosten bei den stärksten Wettbewerbsteilnehmern ansiedelt und die schwächsten grenzenloss olidarisch unterstützt.
Das wird nicht passieren ud deswegen wird es zuerst Tuvalu irgendwann nur noch digital geben, bevor es besser wird.
Aber ich lasse mich gerne positiv überraschen.
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NegatroN
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Re: Allgemeiner Politik/Zeitgeschehen-Thread, Teil 3

Beitrag von NegatroN »

Ich glaube nicht, dass diese sehr ökonomische genaue Kostenbetrachtung da sinnvoll ist, weil einfach zu viele Unbekannte drin sind. Was aber trotz aller Unbekannten sehr klar ist, ist die Richtung, in die es gehen muss. Wir zerstören in Rekordgeschwindigkeit die Biosphäre. Möglicherweise bis zu einem Punkt, der für die gesamte Spezies existenzbedrohend sein kann. Wie wir da im Detail am sinnvollsten dagegen vorgehen, mag streitbar sein. Vor allem unter einer Kosten-Nutzen-Rechnung. Aber es geht hier eben nicht nur um Kosten, sondern um ganz reales Leid, Tod und eben potenziell auch das Überleben der Spezies. Von dem her mag es sein, dass ein "zu viel" oder ein "so viel wie möglich" keine optimale Kosten-Nutzen-Rechnung hat. Die ganz konkreten Risiken eines "zu wenig" sind aber um ein Vielfaches höher.
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Re: Allgemeiner Politik/Zeitgeschehen-Thread, Teil 3

Beitrag von metalbart »

NegatroN hat geschrieben: 03.12.2022 10:40 Ich glaube nicht, dass diese sehr ökonomische genaue Kostenbetrachtung da sinnvoll ist, weil einfach zu viele Unbekannte drin sind. Was aber trotz aller Unbekannten sehr klar ist, ist die Richtung, in die es gehen muss. Wir zerstören in Rekordgeschwindigkeit die Biosphäre. Möglicherweise bis zu einem Punkt, der für die gesamte Spezies existenzbedrohend sein kann. Wie wir da im Detail am sinnvollsten dagegen vorgehen, mag streitbar sein. Vor allem unter einer Kosten-Nutzen-Rechnung. Aber es geht hier eben nicht nur um Kosten, sondern um ganz reales Leid, Tod und eben potenziell auch das Überleben der Spezies. Von dem her mag es sein, dass ein "zu viel" oder ein "so viel wie möglich" keine optimale Kosten-Nutzen-Rechnung hat. Die ganz konkreten Risiken eines "zu wenig" sind aber um ein Vielfaches höher.
Ja, ich glaube das ist den meisten auch bewusst auf der individuellen Ebene. Das was du ansprichst, ist aber so umfassend,das viele (ich und du inklusive) an vielen Stellen ausblenden.
Deswegen muss es auf die staatliche Ebeneund da ohne Kompromisse verhandelt werden. Und natürlich geht es da um viel Geld, ohne deutliche Reduzierung unseres Lebensstils wird es nicht gehen.
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infected
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Re: Allgemeiner Politik/Zeitgeschehen-Thread, Teil 3

Beitrag von infected »

Übermedien hat ein Best of des von Talkshows immer noch gerne als 'Experten' herangezogenen Erich Vad mit Aussagen zum Ukraine Krieg zusammengestellt:
Brigadegeneral a. D. - Und für Fehleinschätzungen zum Ukraine-Krieg befragen wir jetzt wieder Erich Vad
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Re: Allgemeiner Politik/Zeitgeschehen-Thread, Teil 3

Beitrag von Wishmonster »

infected hat geschrieben: 06.12.2022 08:45 Übermedien hat ein Best of des von Talkshows immer noch gerne als 'Experten' herangezogenen Erich Vad mit Aussagen zum Ukraine Krieg zusammengestellt:
Brigadegeneral a. D. - Und für Fehleinschätzungen zum Ukraine-Krieg befragen wir jetzt wieder Erich Vad
Bei so jemanden fragt man sich schon, wie der auf solche "Analysen" kommt. Er gehört ja zu denen, die es nüchtern betrachtet eigentlich richtig einordnen könnten. Da würde mich schon interessieren, ob da irgendwelche Kanäle in Richtung Moskau bestehen, oder was so jemanden zu solchen Aussagen treibt. Immerhin handelt es sich um einen ehemaligen Berater Merkels, der sicherlich auch beim außenpolitischen Verhältnis mit Moskau seine Meinungen und Schätzungen hat einfließen lassen.
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monochrom
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Re: Allgemeiner Politik/Zeitgeschehen-Thread, Teil 3

Beitrag von monochrom »

Wishmonster hat geschrieben: 06.12.2022 11:17
infected hat geschrieben: 06.12.2022 08:45 Übermedien hat ein Best of des von Talkshows immer noch gerne als 'Experten' herangezogenen Erich Vad mit Aussagen zum Ukraine Krieg zusammengestellt:
Brigadegeneral a. D. - Und für Fehleinschätzungen zum Ukraine-Krieg befragen wir jetzt wieder Erich Vad
Bei so jemanden fragt man sich schon, wie der auf solche "Analysen" kommt. Er gehört ja zu denen, die es nüchtern betrachtet eigentlich richtig einordnen könnten. Da würde mich schon interessieren, ob da irgendwelche Kanäle in Richtung Moskau bestehen, oder was so jemanden zu solchen Aussagen treibt. Immerhin handelt es sich um einen ehemaligen Berater Merkels, der sicherlich auch beim außenpolitischen Verhältnis mit Moskau seine Meinungen und Schätzungen hat einfließen lassen.
Vielleicht ist der aber auch einfach zu schlecht. Das ist doch typisch für deutsches Fernsehen, dass man immer wieder dieselben Köpfe in die Talk- und Kommentiershows einlädt, auch wenn die ein Jahrzehnt lang Bullshit von sich geben.

Wir haben den "Sicherheitshalber"-Podcast, den kann man super hören, die sind viel zurückhaltender in ihren Einschätzungen, und erklären einem mehr warum etwas so geschieht, wie es das tut. Und dann reden sie über mögliche Szenarien. Die vier aus dem Podcast kann man gerne viel mehr einladen.

Ansonsten stimmt schon, was Karl Schlögel sagt: Wir haben uns in Deutschland ewig nicht mehr Militär, Strategie, Taktik usw auseinandergesetzt, und deshalb bekommen wir jetzt auch den dementsprechend schlechten Journalismus. Es war ja komplett verpöhnt, sich für sowas zu interessieren, man galt bestenfalls als Sonderling, so anrüchig war das Thema. Und da war ich bis 2014 haargenau so, bis auf dieses obskure DIng, dass ich in jungen Jahren tatsächlich mal "Vom Kriege" von Clausewitz gelesen habe. Hervorragendes Buch übrigens, danach versteht man mehr von der Welt. Viele Leute, denen ich erzählt habe, dass ich das Buch gelesen habe, haben mich danach angeguckt wie eine Nazikakerlake. Ausnahmen waren vor allem Gespräche mit Nichtdeutschen.

Das war die Gemengelage zu diesem Thema. Und genauso blank sind jetzt halt auch die meisten Leute, die plötzlich dazu reden und schreiben sollen. Timothy Snyder hat gewusst, wie stark und in welchen Punkten verbessert sich das ukrainische Militär nach 2014 aufgestellt hat. In Deutschland scheint das so gut wie niemand gewusst zu haben, bzw hat es auch niemanden interessiert. Genausowenig wie Topographie des Landes, oder das Wetter und was es für Auswirkungen auf Militäraktionen hat. Auch nicht, wie die Ukraine allmählich im Donbass die Oberhand gewonnen hat. Und ich hab immer noch das Gefühl, dass das Grundsatzwissen zu diesem krieg miserabel ist.
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Re: Allgemeiner Politik/Zeitgeschehen-Thread, Teil 3

Beitrag von Wishmonster »

monochrom hat geschrieben: 06.12.2022 12:32
Wishmonster hat geschrieben: 06.12.2022 11:17
infected hat geschrieben: 06.12.2022 08:45 Übermedien hat ein Best of des von Talkshows immer noch gerne als 'Experten' herangezogenen Erich Vad mit Aussagen zum Ukraine Krieg zusammengestellt:
Brigadegeneral a. D. - Und für Fehleinschätzungen zum Ukraine-Krieg befragen wir jetzt wieder Erich Vad
Bei so jemanden fragt man sich schon, wie der auf solche "Analysen" kommt. Er gehört ja zu denen, die es nüchtern betrachtet eigentlich richtig einordnen könnten. Da würde mich schon interessieren, ob da irgendwelche Kanäle in Richtung Moskau bestehen, oder was so jemanden zu solchen Aussagen treibt. Immerhin handelt es sich um einen ehemaligen Berater Merkels, der sicherlich auch beim außenpolitischen Verhältnis mit Moskau seine Meinungen und Schätzungen hat einfließen lassen.
Vielleicht ist der aber auch einfach zu schlecht. Das ist doch typisch für deutsches Fernsehen, dass man immer wieder dieselben Köpfe in die Talk- und Kommentiershows einlädt, auch wenn die ein Jahrzehnt lang Bullshit von sich geben.
Wer immer wieder zu gesellschaftlich relevanten Dinge trotz offensichtlicher Ahnungslosigkeit eine öffentliche Plattform bekommt, ist nach wie vor erschreckend. Das stimmt. Vielleicht ist er echt "nur" ein ahnungsloser Trottel. :ka:
monochrom hat geschrieben: 06.12.2022 12:32 Wir haben den "Sicherheitshalber"-Podcast, den kann man super hören, die sind viel zurückhaltender in ihren Einschätzungen, und erklären einem mehr warum etwas so geschieht, wie es das tut. Und dann reden sie über mögliche Szenarien. Die vier aus dem Podcast kann man gerne viel mehr einladen.
Carlo Masala ist ja in Talkshows recht gefragt, wie ich seinem Twitter Account entnehmen kann, allerdings wohl auch recht oft verzweifelt. Den Podcast kann ich aber auch sehr empfehlen, ebenso sollte man den Leuten auf Twitter oder sonstwo folgen.
monochrom hat geschrieben: 06.12.2022 12:32 Ansonsten stimmt schon, was Karl Schlögel sagt: Wir haben uns in Deutschland ewig nicht mehr Militär, Strategie, Taktik usw auseinandergesetzt, und deshalb bekommen wir jetzt auch den dementsprechend schlechten Journalismus. Es war ja komplett verpöhnt, sich für sowas zu interessieren, man galt bestenfalls als Sonderling, so anrüchig war das Thema. Und da war ich bis 2014 haargenau so, bis auf dieses obskure DIng, dass ich in jungen Jahren tatsächlich mal "Vom Kriege" von Clausewitz gelesen habe. Hervorragendes Buch übrigens, danach versteht man mehr von der Welt. Viele Leute, denen ich erzählt habe, dass ich das Buch gelesen habe, haben mich danach angeguckt wie eine Nazikakerlake. Ausnahmen waren vor allem Gespräche mit Nichtdeutschen.

Das war die Gemengelage zu diesem Thema. Und genauso blank sind jetzt halt auch die meisten Leute, die plötzlich dazu reden und schreiben sollen. Timothy Snyder hat gewusst, wie stark und in welchen Punkten verbessert sich das ukrainische Militär nach 2014 aufgestellt hat. In Deutschland scheint das so gut wie niemand gewusst zu haben, bzw hat es auch niemanden interessiert. Genausowenig wie Topographie des Landes, oder das Wetter und was es für Auswirkungen auf Militäraktionen hat. Auch nicht, wie die Ukraine allmählich im Donbass die Oberhand gewonnen hat. Und ich hab immer noch das Gefühl, dass das Grundsatzwissen zu diesem krieg miserabel ist.
Timothy Snyder bin ich gerade am Lesen. Bloodlands habe ich durch, mit Black Earth gerade angefangen. Seine Artikel und Kommentare kenne ich nur zum Teil, aber da steckt immer wieder sehr viel interessantes und aufschlussreiches für mich drin. Das ist definitiv einer der Personen, der man mehr Gehör schenken sollte.
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Re: Allgemeiner Politik/Zeitgeschehen-Thread, Teil 3

Beitrag von monochrom »

hast du Bloodlands ausgehalten? Das hat mich komplett runtergezogen.
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Re: Allgemeiner Politik/Zeitgeschehen-Thread, Teil 3

Beitrag von Wishmonster »

monochrom hat geschrieben: 06.12.2022 13:14 hast du Bloodlands ausgehalten? Das hat mich komplett runtergezogen.
Ich habe es im Urlaub mit Blick auf die Adria gelesen, da hatte ich nen Ausgleich. Ist aber schon sehr harte Kost, das stimmt. Solche Details lernt man in der Schule oder bei Guido Knoop nicht.
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Re: Allgemeiner Politik/Zeitgeschehen-Thread, Teil 3

Beitrag von NegatroN »

monochrom hat geschrieben: 06.12.2022 12:32
Wishmonster hat geschrieben: 06.12.2022 11:17
infected hat geschrieben: 06.12.2022 08:45 Übermedien hat ein Best of des von Talkshows immer noch gerne als 'Experten' herangezogenen Erich Vad mit Aussagen zum Ukraine Krieg zusammengestellt:
Brigadegeneral a. D. - Und für Fehleinschätzungen zum Ukraine-Krieg befragen wir jetzt wieder Erich Vad
Bei so jemanden fragt man sich schon, wie der auf solche "Analysen" kommt. Er gehört ja zu denen, die es nüchtern betrachtet eigentlich richtig einordnen könnten. Da würde mich schon interessieren, ob da irgendwelche Kanäle in Richtung Moskau bestehen, oder was so jemanden zu solchen Aussagen treibt. Immerhin handelt es sich um einen ehemaligen Berater Merkels, der sicherlich auch beim außenpolitischen Verhältnis mit Moskau seine Meinungen und Schätzungen hat einfließen lassen.
Vielleicht ist der aber auch einfach zu schlecht. Das ist doch typisch für deutsches Fernsehen, dass man immer wieder dieselben Köpfe in die Talk- und Kommentiershows einlädt, auch wenn die ein Jahrzehnt lang Bullshit von sich geben.

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Ansonsten stimmt schon, was Karl Schlögel sagt: Wir haben uns in Deutschland ewig nicht mehr Militär, Strategie, Taktik usw auseinandergesetzt, und deshalb bekommen wir jetzt auch den dementsprechend schlechten Journalismus. Es war ja komplett verpöhnt, sich für sowas zu interessieren, man galt bestenfalls als Sonderling, so anrüchig war das Thema. Und da war ich bis 2014 haargenau so, bis auf dieses obskure DIng, dass ich in jungen Jahren tatsächlich mal "Vom Kriege" von Clausewitz gelesen habe. Hervorragendes Buch übrigens, danach versteht man mehr von der Welt. Viele Leute, denen ich erzählt habe, dass ich das Buch gelesen habe, haben mich danach angeguckt wie eine Nazikakerlake. Ausnahmen waren vor allem Gespräche mit Nichtdeutschen.

Das war die Gemengelage zu diesem Thema. Und genauso blank sind jetzt halt auch die meisten Leute, die plötzlich dazu reden und schreiben sollen. Timothy Snyder hat gewusst, wie stark und in welchen Punkten verbessert sich das ukrainische Militär nach 2014 aufgestellt hat. In Deutschland scheint das so gut wie niemand gewusst zu haben, bzw hat es auch niemanden interessiert. Genausowenig wie Topographie des Landes, oder das Wetter und was es für Auswirkungen auf Militäraktionen hat. Auch nicht, wie die Ukraine allmählich im Donbass die Oberhand gewonnen hat. Und ich hab immer noch das Gefühl, dass das Grundsatzwissen zu diesem krieg miserabel ist.
Aber auch wenn ich mich in der Vergangenheit nicht mit Militär beschäftigt habe, müsste ich als sorgfältiger Journalist mitbekommen, wenn mein Experte mit seinen Prognosen konstant falsch liegt.
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Re: Allgemeiner Politik/Zeitgeschehen-Thread, Teil 3

Beitrag von infected »

Wishmonster hat geschrieben: 06.12.2022 12:56
monochrom hat geschrieben: 06.12.2022 12:32
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infected hat geschrieben: 06.12.2022 08:45 Übermedien hat ein Best of des von Talkshows immer noch gerne als 'Experten' herangezogenen Erich Vad mit Aussagen zum Ukraine Krieg zusammengestellt:
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Wer immer wieder zu gesellschaftlich relevanten Dinge trotz offensichtlicher Ahnungslosigkeit eine öffentliche Plattform bekommt, ist nach wie vor erschreckend. Das stimmt. Vielleicht ist er echt "nur" ein ahnungsloser Trottel. :ka:
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Carlo Masala ist ja in Talkshows recht gefragt, wie ich seinem Twitter Account entnehmen kann, allerdings wohl auch recht oft verzweifelt. Den Podcast kann ich aber auch sehr empfehlen, ebenso sollte man den Leuten auf Twitter oder sonstwo folgen.
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Das war die Gemengelage zu diesem Thema. Und genauso blank sind jetzt halt auch die meisten Leute, die plötzlich dazu reden und schreiben sollen. Timothy Snyder hat gewusst, wie stark und in welchen Punkten verbessert sich das ukrainische Militär nach 2014 aufgestellt hat. In Deutschland scheint das so gut wie niemand gewusst zu haben, bzw hat es auch niemanden interessiert. Genausowenig wie Topographie des Landes, oder das Wetter und was es für Auswirkungen auf Militäraktionen hat. Auch nicht, wie die Ukraine allmählich im Donbass die Oberhand gewonnen hat. Und ich hab immer noch das Gefühl, dass das Grundsatzwissen zu diesem krieg miserabel ist.
Timothy Snyder bin ich gerade am Lesen. Bloodlands habe ich durch, mit Black Earth gerade angefangen. Seine Artikel und Kommentare kenne ich nur zum Teil, aber da steckt immer wieder sehr viel interessantes und aufschlussreiches für mich drin. Das ist definitiv einer der Personen, der man mehr Gehör schenken sollte.

Ich kann Timothy Snyders Substack auch nur empfehlen. Ansonsten hast du ja sein für mich wichtigstes Buch (Bloodlands) gelesen. Als ich das kurz nach der Veröffentlichung las war das für mich ein richtiger Augenöffner, der auch viele einzelne Bruchstücke, die ich bis dahin aus verschiedenen anderen Büchern aufgeschnappt hatte (u.a. Orlando Figes Buch zur russischen Revolution, Schlögls 'Terror und Traum' über die stalinistischen Säuberungen aber auch die üblichen Verdächtigen zur deutschen Geschichte) einem stimmigen Gesamtbild fügte und teilweise auch eine neue Bedeutung bekam.

Und Vad, nach dem was man bei den Diskussionen von Leuten wie Masala, loefflmann und maibaum sowie dem Umfeld anschaut, dann geht der Tenor schon dahin, dass der eigentlich nur in der Verwaltung tätig war, mit wenig praktischer Ahnung und auch ansonsten nicht wirklich positiv auffiel. Stattdessen viele offene Fragen zu seiner Person, seiner letzten Beförderung zum General als er in berlin tätig war, ohne die dafür eigentlich notwendigen Tätigkeiten absolviert zu haben, sein wohl recht plötzlicher, vorzeitiger Abgang aus Berlin 2013 bei dem bis heute außer gesichtswahrender Sprachregelungen keine Gründe bekannt wurden und auch Fragen zu mögliche Kunden seiner Unternehmensberatung.
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Re: Allgemeiner Politik/Zeitgeschehen-Thread, Teil 3

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Aber auch wenn ich mich in der Vergangenheit nicht mit Militär beschäftigt habe, müsste ich als sorgfältiger Journalist mitbekommen, wenn mein Experte mit seinen Prognosen konstant falsch liegt.
Klar. Der Typ gehört in den Expertenruhestand. Den ich mir vorstelle wie ein sehr altes Sanatorium mit etwas zu vielen Einläufen.
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