Schmendrick hat geschrieben: ↑02.07.2022 18:52
Apparition hat geschrieben: ↑02.07.2022 16:15
Ich glaube, ich werde es heute Abend mal wagen, in den neuen Argento zu gehen. Man ist dann ja doch irgendwo Fan und den Kritiken zufolge ist er wohl immerhin wieder ansehbar.
Ist er nicht!
Herr Argento hat so tolle Filme gemacht, jetzt wird es Zeit für den verdienten Ruhestand.
Ich fand ihn gar nicht so schlecht.
Gemessen an dem, was man erwarten konnte - also nix - ist das ein anständiger Film geworden, finde ich. Er wirkt zwar die ganze Zeit, als wäre er von einem Filmstudenten im vorletzten Semester, aber das trifft auf die meisten Giallos ja auch zu. *g* Das lustige ist, ich bin gar nicht sicher ob Argento das einfach nicht besser kann oder ob das gewollt ist. Alles an diesem Film ist so retro, dass ich mir auch vorstellen könnte, dass die leichte Holprigkeit auch Absicht sein könnte.
Im Prinzip ist das ein Film von vor 50 Jahren, fast ohne jede Modernisierung, die man heute erwarten könnte. Selbst der Soundtrack (geil!) klingt wie von Anfang der Achtziger. Bei den paar Splatterszenen musste ich tatsächlich grinsen. Das sieht so dermaßen nach "früher" aus, dass es einfach ein Fest ist. Hatte fast was von Fulci, finde ich. Das ist so out, dass es schon wieder frisch ist. *g*
Zwei Sachen haben mich sogar positiv überrascht: Erstens gibt es tatsächlich eine Geschichte, die den Namen verdient und einigermaßen ohne Löcher auskommt (gab's zuletzt vielleicht in Vier Fliegen auf grauem Samt), zweitens gibt es vielleicht zum ersten Mal überhaupt Figuren, die nicht nur Schablonen sind und mit denen man tatsächlich mitfühlt, weil sie einem einfach sympathisch sind. Dass die Hauptfigur auch noch Prostituierte ist und man ihr in ihrem Alltag recht nahe kommt, gab es bei Argento so noch nie. Vor 40 Jahren wäre sie höchstens Projektionsfläche für ein paar Altherrenfantasien gewesen.
Jetzt hat das Ding schon ein paar Längen, weil Teile davon dann doch eher Sozialdrama sind als Thriller, und das kann man ihm tatsächlich vorwerfen, weil er manchmal nicht so recht weiß, wo er mit dem Film eigentlich hin will, aber gerade zum Ende fand ich ihn dann doch richtig spannend und dar nicht mal so vorhersehbar. Lustigerweise macht gerade die Holprigkeit in Spiel und Handlung die Flucht der beiden wieder realistisch. Bis auf den Blödsinn mit dem Schlangennest, sowas glaubt 2022 kein Mensch mehr, aber ich verbuche das mal als Rückgriff auf alte Tugenden.
Was an Argento ab Profondo Rosso ja immer so geil war, sind die bombastischen Bildkompositionen. Die gibt's hier im Prinzip gar nicht, was ich schade fand - bis auf eine einzige Szene kurz vor Schluss, wo mir dann doch wieder der Mund offen stand. Ich schätze, er wollte einfach einen klassischen Giallo machen ohne sich um irgendwelche Neuerungen seit 1973 zu scheren und hat diese Einstellung mit dem Wald, der Wiese und dem Sternenhimmel einfach als Selbstreferenz eingefügt.
Ich tu mir deswegen schwer damit, zu sagen, dass er's nicht mehr kann. Da sind zu viele nette Details, die nach Absicht aussehen, als dass ich denken würde, er stolpert da einfach so durch.
Ich hab das einfach als nettes Abschiedsgeschenk an die paar verbliebenen Fans verbucht (im Kino waren außer mir nur noch vier Jungs, die aussahen, als hätten sie sich verirrt), denn einen weiteren Film wird's vermutlich nicht geben. Und genauso sieht der Film ja auch aus. Dafür fand ich ihn tatsächlich gut, aber natürlich Welten von den Klasssikern entfernt.
Mit Fanbonus 7,5/10. Leute, die einfach einen Horrorfilm sehen wollen, werden aber bitter enttäuscht werden, weil er einfach keine Erwartung erfüllt, die man an einen modernen Horrorfilm hat.