Engelskrieger74 hat geschrieben: ↑10.04.2020 20:00
Wow, somst schreibe ich ja nicht viele Sätze über Alben, aber in diesem Fall muss ich es tun - aus Gründen der Relevanz..
Ich habe die neue CD jetzt 3x gehört, zuletzt eben sehr intensiv bei einem einsamen Waldspaziergang, was natürlich eine gute Kulisse für die Musik ist.
Die stilistischen Veränderungen sind enorm, so radikal hätte ich das der Band gar nicht zugetraut. Natürlich waren die Elemente alle schon zuvor vorhanden, aber sie werden völlig anders gemischt. Bei CD2 ist die Überaschung dann vollkommen.
Also, was ist anders? Zunächst einmal ist das Human:Nature sehr progessiv ausgefallen (ich wiederhole mich jetzt nur noch einmal: Das ist nicht völlig neu für Nightwish, aber der Sprung und die Entwicklung sind gewaltig). Es dominieren über weite Strecken progressiv verspielte, verträumte Melodien, die mich etwas an Within Tempoations "Mother Earth" erinnern (mir fällt gerade auch die Parallelität des Titels auf), bevor WT dann musikalisch eher belanglos wurde. Was Floor da an Melodien singt, erinnert mich zudem oft auch an Kate Bush. Unerwartet!
Die zweitwichtigste Zutat schein der Folk zu sein - in unterschiedlichen Facetten. Hier hat Troy deutlich mehr Spielraum erhalten.
Und die Heavyness bzw. der Bombast? Ist nach wie vor vorhanden, aber doch irgendwie sparsamer eingesetzt. man versuchtauch in der Intensität nicht Ghost Love Score oder ähnliches zu toppen, siehe z.B. "Shoemaker", das ja am Ende dennoch explodiert, aber irgendwie auf eine "zartere" Weise.
Ein Überhammer wie "Harvest" ist nach folkrock-gefälligem Einstieg nach 2,5 Minuten auch förmlich am Explodieren und verschießt Feuerwerk und Glückshormone, aber das geschieht ohne viel Metal-Bombast. Vermutlich der eingängigste Song des Albums.
Ob einem diese Entwicklung gefällt, muss natürlich jeder selbst entscheiden. Es gibt kaum noch gefällige Geradeaus-Lieder, alles wirkt komplexer, kompositorisch anspruchsvoller. Das ist auf jeden Fall die Entwicklung. Mir gefällt es aber,w enn sich eine BAnd nicht wiederholt, sondern neue Wege geht.
Und dann toppen Nightwish nochmal alles mit dem 30-Minuten-Song auf CD2. Hier ist definitiv nichts so, wie man es aufgrund anderer Longtracks erwarten konnte. Kein Metal, keine Gitarren/Bässe, kein Gesang (einige Chöre und Spoken Words) und vor allen Dingen auch hier überaschend wenig Nightwish-Bombast. Es dominieren verträumte Piano-Passagen, düster Streicher, Pipes, Harfenklänge. Alles atmosphärisch. Diese Musik beschreibt LAndschaften. Live spielen kann man das als BAnd definitiv nicht. Ich würde das als moderne Klassik bezeichnen. Das kann ein Orchester zwischen Smetanas "Moldau" und Maurice Ravels "Bolero" aufführen. Im Metal-Bereich passt es am ehesten zum letzten Blind Guardian Output, weil da keine Band spielt, sondern "nur" ein Orchester. Wobei eigentlich passt dieser Vergleich auch nicht, weil BG viel Bombast und Hansi als Sänger haben. Floor macht hier nur ein paar Oooos und Aaaas. Also bleiben wir bei "Moldau" und "Bolero".
Ist das nun ("große") Kunst oder kann das weg? Da werden die Meinungen auseinander gehen. Nicht jeder Metaller gehört sicherlich in diese Zielgruppe. Viele werden aber auch Neuem aufgeschlossen gegenüber stehen. Wer es nicht mag, hat mit den anderen 50-Minuten auch genug zu tun. Auch hier muss man sich einarbeiten.
Erster Eindruck: Weiterentwicklung? Definitiv! Ist das bereits ein gediegenes "Alterswerk"? Vielleicht! Ich bin unerwartet positiv überascht, eigentlich gerade schlichtweg begeistert. Ich gehe Morgen wieder in den Wald und schmuse mit den Bäumen.