Boahh, dass ist aber auch ein Totschlagargument. Zwischen einem subjektivem Standpunkt, den jeder Autor automatisch hat und eine tendenziösen Berichterstattung liegen schon noch ein paar Abstufungen.Schnabelrock hat geschrieben:Nicht tendenziöse Berichterstattung gibt es nicht. Bereits die Auswahl dessen, was ich berichte und weglasse, ist selektiv. Das gilt selbst für den deutschen Wetterdienst, der chronisch nationale Tendenzen hat
Sicher sind manche Medien neutraler als andere, neutral sind sie aber nicht und können das auch nicht. Die Idee, dass ein Mensch in seiner absolut perfekten Subjektivität irgendetwas Komplexes in einer komplexen Welt als "neutral" erkennen könnte, ist ohnehin Unfug. Die Einschätzung als "objektiv" vom subjektiven Standpunkt aus ist paradox, solange es nicht um reine Fakten geht (und selbst deren Auswahl ist tendenzbehaftet, s. o.).
Zudem sollen und wollen viele Medien auch gar nicht untendenziös sein, sondern einen bestimmten Platz im Spektrum besetzen. Das ist doch auch völlig okay.
Am ehesten kommt man an die "Wahrheit", indem man viel aufnimmt, auch viel Tendenzielles. Und abwägt. Und auch das wird nur die Wahrheit-in-Anführungszeichen sein.
Der Vorwurf, es würde tendenziös berichtet ist Dummenschenquatsch.
Ich sehe es immer als Problem, wenn angeblicher Journalismus damit anfängt, Berichterstattung zu emotionalisieren. Und nichts anderes machen diese menschelnden Artikel, die das große Weltgeschehen anhand von Einzelschicksalen erlebbar machen wollen. Weil das schon von vorn herein sehr selektiv geschieht und anscheinend stellt ja auch niemand groß Fragen, wenn das ganze dann noch die ohnehin vorherrschende Meinung bestätigt. Das ist dann auch nichts anderes als Facebook-Posts bestimmter Gruppen, die sich Einzelfälle herauspicken, um ihre Weltsicht unters Volk zu bringen - nur ergreifender schöner geschrieben.
Da ist meines Erachtens vor allem mal ein bisschen Selbstreflexion in der Branche selbst gefragt, die Preise jahrelang an solche Artikel verteilt hat, anstatt die zu ehren, die wirklich trockene Fakten zu Tage gefördert haben, die vielleicht nicht gut klingen, keine Poesie versprühen und auch eigentlich Niemandem in den Kram passen. Wenn man das tatsächlich angeht, dann müsste eigentlich dieser Juan Morano einen Preis bekommen, der dem Spuk von Relotius mit klassischen Journalisten-Handwerk eine Ende gemacht hat.