MOVING PICTURES (1981)
1. Tom Sawyer (4:34)
2. Red Barchetta (6:10)
3. YYZ (4:26)
4. Limelight (4:20)
5. The Camera Eye (11:01)
6. Witch Hunt (4:46)
7. Vital Signs (4:46)
TOTAL PLAYING TIME: 40:00
Cover
Das ist es nun also. Vermutlich DAS Konsensalbum im RUSH-Universum. Oftmals als der Klassiker schlechthin angesehen, enthält es mit 'Tom Sawyer', 'YYZ' und 'Limelight' drei der wohl bekanntesten Bandsongs überhaupt und ist zudem (für mich, auch wenn Ploppi das bereits dem Vorgänger attestiert hat) wohl der Beginn der besten Bandphase. Eigentlich ist es total verrückt wie frisch das Album klingt, einerseits weil es bereits das achte Album der Band war, aber natürlich auch weil es bereits 35 Jahre auf dem Buckel hat. Wo "Permanent Waves" für mich noch etwas von einem Übergangswerk hatte, hat das Trio sich auf "Moving Pictures" fest in seinem neuen Stil gefunden und eins der wenigen Dinge, die noch an die 70er-Phase gemahnen ist der letzte richtige Longtrack der Bandgeschichte. Viel mehr gibt es hier zu den Änderungen kaum zu sagen, da ja vieles an Wandel bereits auf dem Album zuvor stattgefunden hatte und für "Moving Pictures" quasi verfeinert wurde. Daher einfach noch ein paar Randdaten nun.
Zunächst mal darf man festhalten, dass "Moving Pictures" bis heute das erfolgreichste RUSH-Album darstellt. Produziert wurde es einmal mehr von Terry Brown. Das wohl Spannendste (außer der Musik, ihr Schrottvögel *g*) ist aber sicherlich das Coverartwork von Hugh Syme. Besagter Mann hat ja eh diverse Großartigkeiten geschaffen, neben RUSH unter anderem auch für Fates Warning, aber hier zeigt sich auch ganz klar wieder der eigenwillige Humor der Band. Der Titel ist im Artwork dreifach umgesetzt. Erstens tragen Umzugshelfer Gemälde durch die Walachei (moving wegen Umziehen, ist klar, ne?), zweitens sind die Umstehenden sichtlich bewegt (moving wie bewegend, ne?) und auf der Rückseite ist dann erkennbar, dass es sich um ein Filmset handelt (ich hör jetzt mit diesen Erklärungen auf
). Meiner Meinung nach gleichermaßen kreativ wie albern und großartig, ich bin Fan. Letztlich sind das ja aber alles nur Gimmicks, kommen wir zum wirklich Wichtigen.
Die Songs:
TOM SAWYER
Ein Opener nach Maß, klare Sache. Wird oft als RUSH-Signature-Song bezeichnet und dürfte wohl auch ihr bekanntester Track sein. Er ist definitiv charakteristisch für diese Bandphase, rhythmisch leicht vertrackt, alles wirkt unglaublich fließend und die Synthesizer stehen quasi gleichberechtigt neben den anderen Instrumenten. Auf mich wirkt der Song (vor allem durch die Synthesizer) immer irgendwie schwebend. Bis heute kenne ich nichts, was stilistisch so richtig mit dem vergleichbar wäre, was die Band hier auffährt, das gilt zwar für weite Teile des Albums (bzw. der Bandgeschichte *g*), lässt sich aber an 'Tom Sawyer' wunderbar festmachen. Das wie mit links mal eben eingebundene Quasi-Drumsolo nach ungefähr zweieinhalb Minuten zeigt auf wunderbarste Weise wie man seine technischen Fähigkeiten zeigen kann, gerne auch sehr extrovertiert, aber eben doch songdienlich. Daran scheitern am Ende des Tages eben doch die meisten Bands. Interessanterweise ist der Opener für mich nicht mal ein überragendes Highlight auf dem Album (derer gibt es für mich drei), aber natürlich trotzdem ganz großartig. Klar, RUSH klingen bereits hier deutlich kommerzieller als zuvor, aber wen soll das stören, wenn so perfektes Songwriting dabei rumkommt?
RED BARCHETTA
Meisterhighlight Nummer 1 für mich. Ein ruhiges Gitarrenintro und wenn dann der Bass einsteigt fall ich schon beinahe hintenüber. Aber nein, sobald Neil auch einsetzt und sich diese subtile, ruhige Melodieführung die Ehre gibt, da will ich am Stock gehen. Die Strophe bleibt ruhig und verträumt, daran schließt sich ein etwas rifflastigerer Part an (allerdings härtetechnisch weit hinter diversen 70er-Klamotten…eigentlich härtetechnisch sogar eher im Minusbereich) und nach zwei Minuten nimmt man dann die eingangs erwähnte Melodieführung wieder auf, diesmal noch mit völlig gegenläufigen aber nicht minder fantastischen Gesangslinien dazu. Überhaupt reiht sich hier Ohrwurmpart an Ohrwurmpart, ohne dass man sich als Hörer groß Gedanken machen müsste, was Strophe, Refrain oder sonst was ist. Das ist für mich eh eine der größten Unglaublichkeiten der 80er-RUSH. Man ist songdienlich, eingängig, schüttelt sich die Melodien wie andere Leute Arme aus den Ärmeln (allerdings wäre die Band dann mindestens ein Oktopus – pro Song!) und dennoch denkt man sich bei einem Song wie diesem nicht „Aha – Chorus!“. Höhere Songwritingsphären, definitiv.
YYZ
Für ein Instrumental ist 'YYZ' schon geradezu lächerlich berühmt. Vor allem für ein so Abgefahrenes. Bekanntermaßen basiert der Song ja auf einem Morsecode (zumindest das Intro, nämlich eben auf Y-Y-Z, dem Code des Flughafens Toronto) und erinnert besonders zu Beginn noch extrem an die 70er-Progphase. Der Song beginnt deutlich härter und rifflastiger als man das vom Rest des Albums sagen kann, dennoch bleibt auch hier genug Raum für Melodien. Nicht jedoch bevor nicht spielerisch aufs Derbste vom Leder gezogen wird – natürlich von allen drei Beteiligten. Auch hier schaffen RUSH mal wieder den Spagat bei aller Verkopftheit (die wissen schon zu 100% was sie hier machen) irgendwie luftig, wenn auch vielleicht nicht spontan zu klingen. Vor allem klingt der Song als hätte die Band schier unbeschreiblichen Spaß. Nach Alex‘ ausführlichem Solo kommt dann wieder ein schwebender Part wie sich durch das ganze Album ziehen und die oftmals von Synthies definiert werden. Ich könnte jetzt zum dritten Mal damit schließen, wie super das Songwriting einfach ist, wie unfassbar durchdacht, ausgetüftelt und unglaublich das alles ist, aber wird ja langweilig.
Rand-Info: Der Song wurde für den Grammy als Best Rock Instrumental nominiert. Man verlor gegen The Police. Nun ja.
LIMELIGHT
Ebenfalls irre bekannt und Meisterhighlight Nummer 2. Dieser Song war das erste, was ich von RUSH gehört habe und ich war sofort so begeistert, dass das Album her musste. Dass ich den zunächst auch nur diesen Song mochte, bevor ich über Songs von anderen Alben auch den Rest kapierte – jugendlicher Leichtsinn. *g* Aber was ist so magisch an 'Limelight'? Zunächst Mal der völlige Größenwahn einen Song in einer so krummen Taktart (ich mag jetzt nicht nachzählen) so zu schreiben, dass er trotzdem unglaublich eingängig bleibt. Was die Band hier an Melodien vom Stapel lässt, hat anderen Bands für ganze Karrieren gereicht. Und wenn im Chorus die Zeile "Those who wish to be…" ertönt, kann ich auch quasi nicht mehr an mich halten. Das ist für mich beinahe so perfekt wie Musik nur sein kann. Gleiches gilt für den Übergang hinaus aus Alex‘ bewegendem Solo, wenn dann plötzlich die Arpeggien leise wieder beginnen, klingelt bei mir einfach irgendwas. Musik kann mich kaum tiefer treffen, wenn ich das höre (und das gilt für einiges von RUSH) will ich manchmal glauben, dass eben doch alles nicht so verkehrt sein kann. Hoffentlich.
Textlich ist man natürlich von Shakespeare inspiriert (eher was einzelne Phrasen angeht), letztlich beschäftigt sich Neil damit, wie kompliziert es ist mit Erfolg und vor allem Ruhm und Berühmtheit umzugehen. Lyrisch auf einem, wie ich finde, extrem interessanten Niveau.
THE CAMERA EYE
Das wäre dann der letzte RUSH-Song mit einer Länge über 10 Minuten. Von den Schwierigkeiten, die die Band in ihrer Anfangszeit noch hatte, Songparts schlüssig zu verbinden, ist hier genau nichts mehr zu spüren. 'The Camera Eye' baut sich langsam auf, es strahlt eine morgendliche Atmosphäre aus, man spürt ein Gefühl als hätte man grade alle Zeit der Welt. Allerdings versucht die Band hier die Atmosphäre von New York City (erste Hälfte) und London (zweite Hälfte) textlich wie musikalisch einzufangen. Nur wusste ich das bis eben auch nicht. *g* Wenn man das allerdings weiß, kann man zumindest ansatzweise nachvollziehen, was die Band vorhatte und ich gebe offen zu, dass das dem Stück grade eine neue Ebene hinzufügt. (Bevor jetzt ein RUSH-Experte mir auf den Deckel gibt: Dass Geddy da von einer „mass of New Yorkers“ singt fällt mir natürlich nicht erst jetzt auf.) Obwohl 'The Camera Eye' ja die Tradition der Longtracks zu Ende bringt, erinnert er kaum an seine Vorgänger aus den 70ern, sondern ist wirklich völlig klar im neuen Bandsound verankert. Der Wandel von New York zu London kommt, wenn ich ihn richtig verorte, erstaunlich spät. Dass er mir, bevor ich eben über das Konzept gelesen habe, zwar durchaus als Übergang aber nie als Bruch auffiel, unterstreicht nur noch mal wie weit RUSH sich was ihr Songwriting angeht im Vergleich zu den frühen 70er-Alben weiterentwickelt hatten. Vielleicht ist aufgefallen, dass ich hier nicht in ganz so große Jubelarien verfalle wie bei anderen Songs. Das liegt vor allem daran, dass ich nicht permanent mit Superlativen um mich werfen will. Natürlich ist auch hier das Niveau schwindelerregend hoch und in meiner Welt für andere Bands nur schwer zu erreichen. Das steht außer Frage.
WITCH HUNT
Der Song beginnt ziemlich düster, die Leichtigkeit der vorhergehenden Songs wirkt komplett abwesend. Tatsächlich hat das langsam heranschleichende Intro etwas sehr Fieses und als nach etwas über einer Minute Alex sein erstes Riff raushaut, geht dieser Eindruck kaum verloren. Keine helle Melodie, keine aufbauende Gesangslinie – da wirkt der einsetzende Chorus nach anderthalb Minuten beinahe erlösend, obwohl auch dieser die vorige Leichtigkeit keinesfalls zurückbringt. Nach über zwei Minuten kommt der Song zwar etwas in Fluss, dennoch bleibt da eine beinahe erdrückende Schwere, nicht nur untypisch für "Moving Pictures", sondern für RUSH im Allgemeinen. Das finde ich seit jeher faszinierend, es fällt beim Hören des Albums klar auf wie sehr der Song atmosphärisch heraussticht, er wirkt unheimlich zynisch, dennoch fällt er stilistisch nicht so sehr aus dem Rahmen, dass er wie ein Fremdkörper wirken würde. Mir drängt sich bereits seit Längerem bei dem Song ein etwas konstruierter Vergleich auf, den ich aber nach wie vor passend finde. Mercyful Fate wird ja gerne nachgesagt quasi Black Metal zu spielen, wobei sie die stilistischen Anforderungen nicht erfüllen, aber die richtige Atmosphäre erzeugen. Dieses Gedankenspiel funktioniert für mich insoweit auch, dass es 'Witch Hunt' beinahe zum Metalsong werden lässt. Für "Moving Pictures" ist der Song fast schon lächerlich uneingängig – doch es lohnt sich.
VITAL SIGNS
Wir kommen zum letzten Song, Meisterhighlight Nummer 3 und vermutlich mein Lieblingsstück des Albums. Auch hier fehlt die positive Atmosphäre eines Stückes wie 'Red Barchetta' komplett und das trotz der offensichtlichen Reggae-Einflüsse. Es ist der neben 'Witch Hunt' am wenigsten eingängige Songs des Albums (das sehe zumindest ich so, tatsächlich wurde er als dritte Single ausgekoppelt), glänzt aber mit magischen Melodien. Diese haben sich jedoch zumindest mir erst sehr spät erschlossen. Erneut erweckt die Band hier eine sehr eigenartige Atmosphäre, bedrückt, wenn auch keinesfalls so schwer wie das Stück zuvor, etwas anklagend, teilweise beinahe verzweifelt und dennoch phasenweise hoffnungsvoll. Hab ich noch von keiner anderen Band so gehört, ich weiß ja selbst nicht mal, wie ich es zu begreifen habe. Aber was stellt 'Vital Signs' jetzt in meinen Augen über den Rest des Albums? Die Antwort findet sich nach etwa drei Minuten. Nach dem zweiten Refrain fährt die Band beinahe komplett nach unten um nach und nach alles wieder aufzubauen und sich in ein Finale zu steigern wie ich es selten gehört habe. Der Synthesizer läuft subtil durch, Geddy singt wieder vereinzelte Zeilen und plötzlich, von jetzt auf gleich, wird Neils Drumming intensiver, der Song scheint sich beinahe erschöpft nach vorne zu schleppen, mit letzter Kraft, aber gewinnt immer mehr an Energie während Geddys zuvor beinahe verzweifelt klingende Vocals nun so etwas wie einen letzten Kampf anzuführen scheinen. Dieses Finale wird mich eines Tages völlig in den nervlichen Ruin treiben. Für mich ohne Wenn und Aber einer der fünf besten RUSH-Songs und ein perfektes Finale für ein perfektes Album.
Perfektes Album? Ja, definitiv. Es ist nicht mein RUSH-Favorit, aber ohne Zweifel in den Top 3. Das Album ist rundum stimmig, da ist nichts zu viel, nichts zu wenig, jedes Gitarrenfiepen sitzt genau so wie jeder Drumbeat und jeder Synthesizerton. Dennoch wirkt das Album weniger klinisch als einige der Folgealben (woran ich mich aber natürlich auch nicht störe). RUSH haben sich allerspätestens mit "Moving Pictures" nicht nur zu einer der eigenständigsten Bands aller Zeiten gemacht, sondern auch gleichzeitig unsterblich. Wenn ich mal
versuche hier irgendwas objektiv zu betrachten, dann würde ich wohl sagen, dass das hier das beste Album der Band ist, generell eins der wichtigsten Rockmusikwerke aller Zeiten und eigentlich gehört es in jede Sammlung. Eigentlich.
3 Tips zum Antesten (großartigerweise hat Youtube ohne Unblocker ausgerechnet von 'Vital Signs' wieder keine Studioversion):
Tom Sawyer
Red Barchetta
Limelight