Re: BAD RELIGION - "Age of Unreason" (3.5.19)
Verfasst: 15.05.2019 09:19
Was spricht denn gegen die Texte? Find die (bis auf den superflachen Candidate) ziemlich toll.
Nichts konkretes. Sie zünden nur einfach nicht so wie ich erwartet hatte.Deornoth hat geschrieben:Was spricht denn gegen die Texte? Find die (bis auf den superflachen Candidate) ziemlich toll.
Das ist alles richtig. Aber es gibt Künstler, deren Texte mich nicht nur bestätigt haben, sondern die einen inhaltlichen Aha-Effekt auf mich hatten. Jello Biafra kommt da ganz vorne, Bad Religion gehören aber auf alle Fälle auch dazu. Da bin ich dann enttäuscht, wenn das ausbleibt. Das ist nicht ganz fair, Bad Religion machen da ja nichts falsch und das Problem ist ja sehr viel mehr in meiner Wahrnehmung als in ihren Texten selber. Ich kann aber trotzdem nicht ändern, dass ich enttäuscht bin.Thunderforce hat geschrieben:Immerhin äußern sie sich überhaupt und beziehen Stellung. Das ist mehr als 95% aller anderen Bands tun.
Gurewitz hat sich dazu im Visions-Interview auch klar und eindeutig ausgdrückt.
Er hat den Eindruck, dass in den 90ern viel mehr Bands und Künstler Position bezogen haben (gegen Sachen, die weit weniger krank waren als die, die unter Trump abgehen).
Das vermisst er heute wohl völlig. Er meint, er hat den Eindruck, dass sogar viele Punkbands sich nicht trauen, den Mund aufzumachen, weil sie befürchten, Fans zu verprellen.
"Fuck those fans", sagt er weiter. "Ich mache keine Musik für Rassisten."
Als Beispiel nennt er auch den Nicht-Album-Song "The Kids are alt-right", für den BR wohl derbe Feuer bekommen haben, auch von Fans.
Ich finde die Lyrics großartig, die beziehen klar Stellung, zeigen Mißstände auf und die Band bezieht Position.
Man mag die Aspekte schon kennen, aber das ändert ja nichts daran, dass sie sagen, was sie meinen und dass sie Recht haben. Da vorher sehr lange Sendepause bei BR war ist es ja auch klar, dass manche Sachen in Debatten etc. schon erwähnt wurden.
Lösungen aufzuzeigen ist meiner Meinung nach nicht unbedingt der Job einer Rockband.
Das stimmt auf jeden Fall auch und ist vermutlich sogar der wichtigste Punkt.Apparition hat geschrieben:Was früher auch anders war (ohne die Texte jetzt gelesen zu haben): bis ende der Neunziger fanden viele Themen in den Medien fast gar nicht statt, zumindest im Vergleich zu heute. Dank Internet haben wir heute zu jedem Thema eine Flut von Artikeln mit sehr unterschiedlichen Positionen und sehr viel gründlicher und schneller durchleuchtet als früher. Man kann sich fragen, was eine Band da noch zusätzlich sagen soll. Vielleicht haben sich gar nicht die Texte verändert, sondern nur die Erwartungshaltung und der eigene Informationsstand.
Der Song war an sich allerdings auch richtig scheisse und aufgrund dessen hatte ich die neue Scheibe im Voraus schon abgeschrieben. Grundsätzlich hätte ich da insgesamt aber auch mehr Feuer aus der Punk-/Hardcoreszene erwartet, wobei neben Bad Religion auch Bands wie bspw. Propagandhi, Rise Against, Anti-Flag, Millencolin oder Twitching Tongues klar Stellung bezogen haben. Bei George W. Bush gab's mit Zeug wie der Punkvoter-Initiative, Rock against Bush, Not my president etc. gefühlt noch deutlich mehr Feuer.Thunderforce hat geschrieben:Als Beispiel nennt er auch den Nicht-Album-Song "The Kids are alt-right", für den BR wohl derbe Feuer bekommen haben, auch von Fans.
Ja, aber der Gegenwind bezog sich in dem Interview schon klar auf den Text des Songs.Defeated Hero hat geschrieben:Der Song war an sich allerdings auch richtig scheisse und aufgrund dessen hatte ich die neue Scheibe im Voraus schon abgeschrieben. Grundsätzlich hätte ich da insgesamt aber auch mehr Feuer aus der Punk-/Hardcoreszene erwartet, wobei neben Bad Religion auch Bands wie bspw. Propagandhi, Rise Against, Anti-Flag, Millencolin oder Twitching Tongues klar Stellung bezogen haben. Bei George W. Bush gab's mit Zeug wie der Punkvoter-Initiative, Rock against Bush, Not my president etc. gefühlt noch deutlich mehr Feuer.Thunderforce hat geschrieben:Als Beispiel nennt er auch den Nicht-Album-Song "The Kids are alt-right", für den BR wohl derbe Feuer bekommen haben, auch von Fans.
Edit: An dem, was Apparition sagt, ist sicherlich auch was dran.
Ja und nein. Trotz der anderen Informationsmöglichkeiten gibt es heute wie damals Denker und Texte, die durch ihre inhaltliche Schärfe und Tiefe herausragen und solche, die redundant oder belanglos sind. Damals haben aber vielleicht die mittelmäßigen besser gewirkt, weil man die Highlights vielleicht nicht mitbekommen hat.Apparition hat geschrieben:Was früher auch anders war (ohne die Texte jetzt gelesen zu haben): bis ende der Neunziger fanden viele Themen in den Medien fast gar nicht statt, zumindest im Vergleich zu heute. Dank Internet haben wir heute zu jedem Thema eine Flut von Artikeln mit sehr unterschiedlichen Positionen und sehr viel gründlicher und schneller durchleuchtet als früher. Man kann sich fragen, was eine Band da noch zusätzlich sagen soll. Vielleicht haben sich gar nicht die Texte verändert, sondern nur die Erwartungshaltung und der eigene Informationsstand.
Hast Du denn aktuelle Beispiele, wo Du die Texte entsprechend gut findest?NegatroN hat geschrieben:Das ist alles richtig. Aber es gibt Künstler, deren Texte mich nicht nur bestätigt haben, sondern die einen inhaltlichen Aha-Effekt auf mich hatten. Jello Biafra kommt da ganz vorne, Bad Religion gehören aber auf alle Fälle auch dazu. Da bin ich dann enttäuscht, wenn das ausbleibt. Das ist nicht ganz fair, Bad Religion machen da ja nichts falsch und das Problem ist ja sehr viel mehr in meiner Wahrnehmung als in ihren Texten selber. Ich kann aber trotzdem nicht ändern, dass ich enttäuscht bin.
Politisch: nein. Gesellschaftlich: Amanda Palmer.Tolpan hat geschrieben:Hast Du denn aktuelle Beispiele, wo Du die Texte entsprechend gut findest?NegatroN hat geschrieben:Das ist alles richtig. Aber es gibt Künstler, deren Texte mich nicht nur bestätigt haben, sondern die einen inhaltlichen Aha-Effekt auf mich hatten. Jello Biafra kommt da ganz vorne, Bad Religion gehören aber auf alle Fälle auch dazu. Da bin ich dann enttäuscht, wenn das ausbleibt. Das ist nicht ganz fair, Bad Religion machen da ja nichts falsch und das Problem ist ja sehr viel mehr in meiner Wahrnehmung als in ihren Texten selber. Ich kann aber trotzdem nicht ändern, dass ich enttäuscht bin.
Bush Junior war ja auch ein ganz anderer Typ als Trump; erkennbar alt und "vom System". Trump verkauft sich ja trotz seiner Millionärserbschaft als rebellischer Kandidat, und die Art der Dauerempörung durch die Demokraten hat es ihm da auch leichter gemacht als nötig. Zudem stößt Amipunk gerne halt mal an seine neoliberale Grundidee, nämlich die, dass man als Turboindividuum auf die schlauen Worte der anderen scheißen kann und selbst schon weiß was man da tut. Nun - Bad Religion hatten ihr "everybody knows what's best for you", Pennywise spitzten es später (aber noch immer Jahre vor Trump) auf "fuck government assistance, what we need is resistance" zu.Bei George W. Bush gab's mit Zeug wie der Punkvoter-Initiative, Rock against Bush, Not my president etc. gefühlt noch deutlich mehr Feuer.
Da ist schon viel wahres dran. Auf der Platte brechen sich halt vor allem Wut und Fassungslosigkeit Bahn. Das spricht mich auch eher emotional als intellektuell an, aber mir tut diese katharsis auf hohem Niveau gerade einfach gut. Vor allem weil da aus der Punkszene, wie Defeated Hero schon schrieb, bisher überraschend wenig kam und allgemein eher entgeisterte Resignation vorzuherrschen scheint.NegatroN hat geschrieben:Nichts konkretes. Sie zünden nur einfach nicht so wie ich erwartet hatte.Deornoth hat geschrieben:Was spricht denn gegen die Texte? Find die (bis auf den superflachen Candidate) ziemlich toll.
EDIT: Vielleicht doch etwas konkretes. Ich hatte von einer Band wie Bad Religion erwartet, dass sie 2019 Texte schreiben, die die politischen und gesellschaftlichen Umstände mit einer gewissen intellektuellen Schärfe aufgreifen und etwas wichtiges zu unserer Situation aussagen. Das tun sie aber nicht. Sie sind nicht schlecht, aber bringen keine Relevanz rein. Das ist alles nicht falsch, was da zu hören ist, aber nichts davon ist irgendwie zwingend oder erhellend oder bringt einen Aspekt rein, den man nicht schon kenne würde. Letztlich werden da nur Sachen wiederholt, die andere schon (teilweise sehr oft) gesagt haben. Ohne die Texte würde nichts fehlen. Das ist mir bei Bad Religion zu wenig.