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Frankfurter Rundschau hat geschrieben:Je krasser, desto besser
Die New Yorker Band SunnO))) steht im Zentrum einer neuen Metal-Avantgarde
VON ANDREAS HARTMANN
Mönche in Kutten betreten die Bühne, ein unheiliges Brummen erfüllt den Raum, in dem es so dunkel ist, dass man das Treiben nur schemenhaft wahrnimmt. Die Mönche halten wie die Vollstrecker der heiligen Inquisition ihre Insignien in der Hand: Gitarren statt Kruzifixe.
Der erste schlägt sein Instrument an, ein ohrenbetäubend lautes Riff ertönt und hallt schier endlos nach. Bevor es sich endgültig im Raum verliert, haut auch schon der andere Kapuzenmann in die Saiten - erneut fährt einem ein verzerrtes Dröhnen wie das Kettenrasseln des Höllenhundes tief in die Magengrube. Die Messe hat begonnen. Die New Yorker Band SunnO))) gibt kein Konzert, sie vollführt ein Ritual.
Diese Shows sind inzwischen legendär. Und der Zusammenschluss der falschen Betbrüder mit Greg Anderson und Stephen O'Malley im Zentrum hat sich in den letzten Jahren vom gut gehüteten Geheimnis zu den Anführern einer ganzen Bewegung entwickelt. Dem reinen Metal ist sie längst entwachsen - ohne diese Wurzeln leugnen zu wollen - und knüpft stattdessen bei Avantgarde-Bewegungen wie Minimal Music und dem "Glitch"-Sound der modernen Laptop-Elektronik an.
Wie man den musikalischen Bastard, der da im Falle von SunnO))) entstanden ist, nun nennen soll, ist noch nicht ganz klar. Die Vorschläge reichen von "Dark Ambient" über "Drone Doom" bis hin zu "Black Metal in Ultra-Slow Motion", wie das Internet-Magazin Powermetal.de vorschlägt. Dem New York Times Magazin, das dem neuen Phänomen rund um SunnO))) vor kurzem einen ausführlichen Artikel gewidmet hat, fiel als Kategorisierung die kalauernde Überschrift "Heady Metal" ein - womit immerhin unterstrichen wird, um was es hier geht. Nämlich darum, Metal von dem Image zu befreien, komplett stumpfsinniger Aggressionsableiter für picklige Langhaarige ohne Job zu sein. Metal heute ist nicht länger nur wertkonservativer Haudraufrock, sondern erfindet sich an seinen Rändern als popkulturelle Avantgarde völlig neu.
Free Jazz statt Tradition und Härte, Steve Reich statt AC / DC
Eine Reihe von Bands versucht sich inzwischen daran, die eigene Subkultur nicht mehr nur als ein Regelwerk aus Tradition, Härte und martialischem Auftreten zu begreifen. Bands wie Meshugga, Isis, Red Sparrowes oder Mastadon beispielsweise, die sich dabei nicht mehr bloß auf die Standardgrößen von AC/DC bis Slayer beziehen, sondern auch auf Strömungen von Free Jazz bis zur Minimal Music von Steve Reich.
Am stärksten überdehnen jedoch SunnO))) den Metalbegriff. Sie sind der Nukleus eines jungen, aufregenden Undergrounds, die radikalsten Extremrock-Erneuerer und inzwischen dabei auch kommerziell erstaunlich erfolgreich. O'Malley und Anderson betreiben gleichzeitig Southern Lord, das führende Plattenlabel der Szene. Auf ihren fünf bisher erschienenen Platten haben unzählige Gäste vom Punkkauz Julian Cope über Petra Haden, der Tochter des Jazzbassisten Charlie Haden, bis hin zum australischen Soundtüftler Oren Ambarchi mitgewirkt.
Dazu kommen viele Nebenprojekte - Greg Anderson und Stephen O'Malley sind geradezu davon besessen, permanent etwas Neues auszuprobieren und immer wieder ungewöhnliche Allianzen einzugehen. Ihre aktuelle Platte Altar haben sie gemeinsam mit der japanischen "Heady Metal"-Band Boris eingespielt.
Vergleichsweise konventionell klingt diese Koproduktion, statt dem reinen Anordnen tonnenschwerer Riffs gibt es ausnahmsweise auch Schlagzeug, und die Gastsängerin Jesse Sykes sorgt mit ihrer Country-Stimme fast schon für ein wenig Kuschelatmosphäre. Die Basis bleibt jedoch auch hier, wie bei allem rund um SunnO))), die ihren Bandnamen als Widmung an die legendäre Verstärkerfirma Sunn versteht: Blackmetal. Fragt man O'Malley nach seinen direkten Einflüssen, gibt er Sun Ra, La Monte Young und Philip Glass an, aber immer auch den menschenverachtendsten Blackmetal aus Schweden und Norwegen.
In Deutschland gilt solcher Blackmetal immer noch als Tabu, und wenn er dann doch einmal in popkulturell interessierten Kreisen diskutiert wird, dann im Zusammenhang mit okkultem Wahnsinn und Neonazismus wie jüngst in der Buchpublikation Unheilige Allianzen. Sich einer ideologisch teilweise äußerst fragwürdigen Musik gedankenlos auszuliefern, damit tut sich der traditionell linksgerichtete Popdiskurs in Deutschland schwer. Im angloamerikanischen Raum dagegen werden die irrsten und drastischsten Auswüchse dieser Szene als pures Bombardement der Sinne gefeiert. Je krasser, desto besser: In den USA ist ultrabizarrer Blackmetal dank seines hohen Abgrenzungspotentials längst beliebter Hipstersound.
Das Bekenntnis zu ideologischen und musikalischen Extremen wird von SunnO))) auf die eigene Arbeit übertragen. Das Drohende, Schwärende, Archaische, Mystische und zutiefst Obskure des Blackmetal ist das Mittel der Wahl bei der Suche nach immer neuen Ausdrucksmöglichkeiten. Auch die eben erschienene Platte von KTL, einer Kollaboration von O'Malley und dem österreichischen Laptopmusiker Peter Rehberg, einer Theatermusik für das Stück Kindertotenlieder des amerikanischen Schriftstellers Dennis Cooper, klingt wie eine Hommage an den apokalyptischen Furor skandinavischen Blackmetals. Aber auch wie eine Elektronikplatte, die endlich einmal wirklich rockt.
SunnO))): "Altar", Southern Lord / Soulfood.
KTL: "KTL", Editions Mego.