Amorphis - Queen Of Time 2018

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Shadowrunner92
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Re: Amorphis - Queen Of Time 2018

Beitrag von Shadowrunner92 »

Inzwischen hat das Album diverse Runden gedreht und extrem gezündet. Jeder Song ist für sich genommen mindestens sehr gut, viele sind sensationell, und insgesamt würde ich die Scheibe auf dem selben Niveau wie "Under the Red Cloud" ansiedeln. Nur, dass letztere die Perfektion des kompakten Amorphis-Songwritings war, während die neue Scheibe wieder zu früherer Experimentierlaune zurückkehrt (ich musste öfter an die ungewöhnlicheren Songs auf "Silent Waters" denken) und diese nun mit der songschreiberischen Souveränität verbindet, die sich die Band in den letzten Jahren immer mehr erarbeitet hat.
Zu den Songs:

"The Bee":
Der normalste und unscheinbarste Song der Scheibe. Fand ich im Vorfeld eher mäßig, inzwischen aber ziemlich gut. Im Detail sind da schon einige richtig gute Sachen drin. Verströmt außerdem bereits in Ansätzen das orientalische Flair, dass sich später noch deutlicher zeigen wird. Auch die Streicher und Chöre werden hier schonmal schonend eingeführt.

"Message in the Amber":
Fängt ein bisschen arg düdelig an, wird aber schnell zu einer Achterbahn-Abfahrt deluxe. Die geile Stelle mit dem Vocoder wurde hier ja schon erwähnt, aber auch sonst fährt der Song in Sachen Dynamik, Keyboard-/Gitarrenläufen und Bombast-Einschub das volle Programm - alles schlüssig und toll komponiert. Hier wurde schon beim ersten Durchlauf klar, dass in dem Album vermutlich mehr steckt, als die Vorabtracks verraten hatten.

"Daughter of Hate":
Die ersten paar Sekunden mit der Orgel und der Gitarre klingen kurioserweise sehr nach Cradle of Filth, danach geht's aber erst richtig los, und es folgt der vielleicht beste Song des Albums. Ruhigere Strophen mit leicht psychedelischem Anstrich, ein fantastischer Bretter-Refrain mit den geilen Holopainen-Trademark-Leads, ein sensationell eingebundenes Saxophon, Spoken Words, Chor - alles fließt ineinander, als hätte Musik nie aus anderen Bausteinen bestanden, und ich sitze mit offenem Mund unterm Kopfhörer. Genial.

"The Golden Elk":
Einer meiner Lieblingssongs auf dem Album. Die Gitarrenmelodie ist komplett geil, in Verbindung mit dem Chorus meine Ohrwurmstelle Nr. 1 (und das Album bietet davon sehr, sehr viele an). Leicht arabeske, harte Strophen, außerdem ein superber Zwischenteil mit Streichern und Sitar. Wie die meisten Songs des Albums jenseits der 6-Minuten-Marke, ohne dabei eine Sekunde zu langweilen, was am großartigen dramatischen Songwriting liegt.

"Wrong Decision":
Fand ich als Vorabtrack total super, weil der Chorus hittauglich ohne Ende ist. Im Kontext des Albums ist es aber tatsächlich einer der unauffälligeren Songs. Klingt am ehesten nach "Standard-Amorphis" und ist mit seinen ruhigeren Momenten letztlich eher eine Verschnaufpause, ohne dabei aber qualitativ groß abzufallen. Der Part mit den verzerrten Vocals kommt auch hier sehr gut.

"Heart of the Giant":
Wagt sich mit seinem starken orchestralen Fokus mit am meisten aus der Deckung und ist spätestens bei Background-Chor und rollender Doublebass stellenweise reiner Power Metal - aber eben auch schweinegeil. Die Kitsch-Gefahr bändigt Tomi dann direkt mit einer weiteren fantastischen Vocal-Performance und dem tollen Chorus. Das Finale ist dann so geil, dass es einem die Schuhe auszieht. Erinnert von den Chören her ganz dezent an Therion, ist nur 10.000.000x besser komponiert und umgesetzt.

"We Accursed":
Lieblingssong Nr. 2. Wieder eine FANTASTISCHE Lead-Melodie von Esa Holopainen, außerdem geile Streicher in den Strophen. Langsam wird hier die Formel des Albums offensichtlich: geile Gitarrenmelodie nimmt den Chorus vorweg, der dann gern mit Growls kontrastiert wird. Nur: Wen interessiert das, wenn die daraus entstehenden Songs durch die Bank so geil sind wie hier? Auch mit Formeln muss man ja erstmal was anfangen können, und Amorphis treffen bei mir mal wieder genau ins Schwarze.

"Grain of Sand":
Und Favorit Nr. 3 direkt hinterher. Im Grunde alles so ähnlich wie beim Song davor, nur orientalischer eingefärbt und ebenfalls auf 10/10-Niveau. Der Chor-Break ist völlige Geilerei. Bisher war die Fähigkeit, mit Chören Ohrwurm-Momente zu kreieren, ausschließlich für Blind Guardian reserviert, aber Amorphis zeigen sich auf diesem Album ebenfalls dazu in der Lage. Super.

"Among Stars":
Insbesondere Annekes Vocals fand ich anfangs recht befremdlich, zumal sie an einigen Stellen klingt, als hätte sie irgendwie den Mund voll *g* - ist aber vielleicht auch ihrem Akzent geschuldet. Außerdem inzwischen auch egal, weil der Song total geil ist. Wieder ein relativ simpler Ohrwurm, aber Amorphis können das eben auch, und wer kann, der sollte auch. Bei anderen Bands wäre das hier der große Hit des Albums, hier ist es nur einer von vielen. Der Song ist außerdem gut platziert im Album und wie schon "Wrong Decision" ein bisschen die Verschnaufpause nach den progressiveren Ausflügen zuvor.

"Pyres on the Coast":
Perfekter Abschluss des Albums. Nochmal ordentlich verschachtelt, dynamisch, grandios. Wieder einige psychedelische Einschübe, geile Gitarren, und man wird mit dem Verlangen in den Sonnenuntergang geschickt, das Album sofort nochmal zu hören.

Ich hatte ja vor ein paar Tagen geschrieben, die Scheibe sei zu lang und böte ein paar überflüssige Songs - stimmt beides nicht, der Eindruck stammte daher, dass bei Spotify anfangs die Bonustracks noch nicht gekennzeichnet waren. Das Album an sich ist so, wie es ist, völlig großartig. Die Bonustracks:

"As Mountains Crumble":
Dieser Song wäre tatsächlich am ehesten verzichtbar gewesen, ist dabei aber auch alles andere als schlecht. Die Akustikgitarren in den Strophen versprühen ein bisschen Lagerfeuerflair, der Chorus kann auch was - nur im Kontext des zuvor gehörten reißt der Song eher wenig. Mit Ausnahme des Hammond-Parts, der ist nämlich richtig geil.

"Brother and Sister":
Hatte ich hier schon mal als Hit deklariert, und das stimmt auch nach wie vor, denn der Chorus ist einer der besten auf dem ganzen Album. Die Strophen erinnern sehr an "Skyforger", allerdings fällt der Song im Vergleich zum Rest doch als sehr simpel auf, deshalb ergibt es auch hier durchaus Sinn, dass der Song nur als Bonustrack an Bord ist.


Insgesamt bleibt also festzuhalten: Großartige Scheibe auf dem Niveau von "Skyforger" und "Under the Red Cloud", dabei aber erheblich abwechslungsreicher und variabler. Von "zu viel" höre ich persönlich hier überhaupt gar nichts, denn alle Bestandteile sind mit so viel Sorgfalt und Können ins Gesamtgefüge eingebunden, dass nichts überflüssig erscheint. Wer mit der Band grundsätzlich was anfangen kann, sollte sich also auf keinen Fall abschrecken lassen und die längere Eingewöhnungszeit unbedingt investieren, denn so ausladend kreativ wie hier hat man Amorphis möglicherweise noch nie gehört.
Zuletzt geändert von Shadowrunner92 am 24.05.2018 21:47, insgesamt 1-mal geändert.
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Frank2
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Re: Amorphis - Queen Of Time 2018

Beitrag von Frank2 »

@Shadowrunner92:Großartige Besprechung :prost:
Professor Longhair
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Re: Amorphis - Queen Of Time 2018

Beitrag von Professor Longhair »

Grandiose Kritik einer grandiosen Scheibe ! Kompliment !
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playloud308
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Re: Amorphis - Queen Of Time 2018

Beitrag von playloud308 »

Schön geschrieben.

Die Japan Version hat noch einen Track, dafür fehlen die zwei Euroboni:

https://youtu.be/d6Dcx1KjQ2Y
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Porcupine
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Re: Amorphis - Queen Of Time 2018

Beitrag von Porcupine »

Großartiges Review, kann man im Prinzip so stehen lassen. Brother And Sister sehe ich aber deutlich stärker, das ist für mich ein echtes Highlight.

We Accursed und Grain Of Sand waren mir anfangs ZU sehr auf Eingängigkeit getrimmt, sind mittlerweile aber stark gewachsen.
lost
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Re: Amorphis - Queen Of Time 2018

Beitrag von lost »

playloud308 hat geschrieben:Schön geschrieben.

Die Japan Version hat noch einen Track, dafür fehlen die zwei Euroboni:

https://youtu.be/d6Dcx1KjQ2Y
Die Digi Bonustracks find ich weit stärker! Aber ist auch ok der Song. Hoffe die machen mal eine B-Seiten Compilation, hab zwar fast alle Songs, aber "New Song", "The Wind" und "Honeyflow" fehlen mir noch.

Das Album wird mit ziemlicher Sicherheit mein Favorit des Jahres werden! Grandiose Musik, sympathische Band und ein lyrisches Konzept mit dem ich was anfangen kann.

Von "Karelian" und "Tales" wird es bald wieder Neuauflagen der LPs bei Relapse geben.
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Hypocrist
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Re: Amorphis - Queen Of Time 2018

Beitrag von Hypocrist »

Faszinierend wie das Album mit jedem weiteren Durchlauf neue Facetten offenbart.
Beispielsweise in 'Pyres on the Coast' ab 3.50 min... weckt bei mir wunderbare Assoziationen zu Pink Floyd. Grandios!
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MetalEschi
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Re: Amorphis - Queen Of Time 2018

Beitrag von MetalEschi »

Wieso müssen die jetzt eigentlich in jedem Song diese hopsigen Folk-Tralala-Melodien haben? Warum sind die so fröhlich? Ich hasse fröhliche Musik.
Sie lasen: Qualitätsposting von MetalEschi (c)2024
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NegatroN
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Re: Amorphis - Queen Of Time 2018

Beitrag von NegatroN »

Erster Duchlauf: Könnte die erste Amorphis seit Jahren sein, die wieder in mein Regal wandert.
And we’re bored of the fireworks
We want to see the fire
We’re long past being careful of what we wish for
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TMW316
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Re: Amorphis - Queen Of Time 2018

Beitrag von TMW316 »

MetalEschi hat geschrieben:Wieso müssen die jetzt eigentlich in jedem Song diese hopsigen Folk-Tralala-Melodien haben? Warum sind die so fröhlich? Ich hasse fröhliche Musik.
Also ich hört Amorphis erst seit Skyforger, aber ich finde nicht unbedingt, dass die Lieder sehr viel fröhlicher geworden sind. Andererseits passen die Melodien aber IMO auch zu der Musik. Ich erwarte jetzt von Amorphis nicht unbedingt düsteres und so wie von Dimmu Borgir. ;)
Ich muss sagen, ihr freut euch vollkommen zurecht.
Es ist immer wieder eine Freude uns auf der Bühne zu sehen.
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Shadowrunner92
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Re: Amorphis - Queen Of Time 2018

Beitrag von Shadowrunner92 »

MetalEschi hat geschrieben:Wieso müssen die jetzt eigentlich in jedem Song diese hopsigen Folk-Tralala-Melodien haben? Warum sind die so fröhlich? Ich hasse fröhliche Musik.
In der Hinsicht fand ich "Tree of Ages" viel gewöhnungsbedürftiger als alles auf dem neuen Album. Ich hatte zwar anfangs auch Schwierigkeiten mit den Melodien, aber das hat sich inzwischen vollumfänglich verflüchtigt.

Mir geht es mit der neuen Scheibe inzwischen ein bisschen so wie bei der letzten Blind Guardian: sie läuft so häufig, dass die Klasse des Vorgängers daneben (völlig zu Unrecht) ein wenig untergeht.
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GoTellSomebody
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Re: Amorphis - Queen Of Time 2018

Beitrag von GoTellSomebody »

Sehr mutig, die Rhythmus-Klampfen so weit in den Hintergrund bzw. so weich zu mixen, dafür dass man unter „Metal“ firmiert. Erkenntnis nach einem Durchgang auf Spotify, dem vermutlich kein zweiter folgen wird.
The Rangers had a homecoming...
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Re: Amorphis - Queen Of Time 2018

Beitrag von BlackMassReverend »

Ich werde bisher nicht wirklich warm mit dem Album......klingt nach drei Durchläufen erstmal nach "nichts falsch gemacht", kickt mich aber schon aufgrund
der insgesamt trotz der auf Breitwand gemachten, jedoch ziemlich saftlosen Produktion nicht wirklich. Songtechnisch ne Art Best Of der Alben ab Skyforger....
1989 haben wir komplett durchgesoffen !
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danny212
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Re: Amorphis - Queen Of Time 2018

Beitrag von danny212 »

Ich findes es Klasse das Amorphis auf Platz 4 in den Charts ist! (noch besser wäre Platz eins von den 5 Dummen Fingern)
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MetalEschi
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Re: Amorphis - Queen Of Time 2018

Beitrag von MetalEschi »

BlackMassReverend hat geschrieben:Ich werde bisher nicht wirklich warm mit dem Album......klingt nach drei Durchläufen erstmal nach "nichts falsch gemacht", kickt mich aber schon aufgrund
der insgesamt trotz der auf Breitwand gemachten, jedoch ziemlich saftlosen Produktion nicht wirklich. Songtechnisch ne Art Best Of der Alben ab Skyforger....
Mich erinnert es stark an die Beginning Of Times, die war auch schon ähnlich überladen und für mich deswegen auch klar die schwächste bisher mit Joutsen.
Queen Of Time hat natürlich seine Momente und ist kein kompletter Totalausfall (wäre auch vermessen, das zu behaupten), aber als Gesamtwerk reißt es mich nach wir vor deutlich weniger mit als der Vorgänger. Nach Punkten etwa so 7.
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