Ich kann jetzt doch mal meine Meinung zu
Strange Brotherhood nachreichen, da ich das schon vor einiger Zeit mal angeschafft habe.
Thunderforce hat geschrieben:STRANGE BROTHERHOOD (1998)
Über fünf Jahre dauerte es nach „The Love Of Hopeless Causes“ bis zum Nachfolgealbum „Strange Brotherhood“. Die ewig lange Zeit wurde von Justin Sulllivan teilweise damit erklärt, dass es zwischen ihm und Drummer Robert Heaton zu musikalischen Meinungsverschiedenheiten kam. Da Heaton kurze Zeit später schwer erkrankte, konnte er auch die anschließende Tour nicht mitmachen. Da er 2004 verstorben ist, bleibt „Strange Brotherhood“ somit Roberts Abschiedsgeschenk und Schwanengesang.
Ansonsten hatte sich einiges getan. Die Band, die seit Urzeiten als Trio unterwegs war, war auf einmal zum Quintett angewachsen.
Neben Sullivan, Heaton und Nelson kamen mit Dave Blomberg ein weiterer Gitarrist und mit Dean White ein fester Keyboarder hinzu.
Die Texte im Booklet waren erstmals nicht mehr handgeschrieben sondern wie bei herkömmlichen Bands in irgendeinem Standard-Font gedruckt, was nun echt mal gar nicht ging.
„Strange Brotherhood“ war für mich immer das NEW MODEL ARMY-Album, das mir am wenigsten gefallen hat. Als einziges Album der Bandgeschichte fehlt mir hier dieser typische Spirit, der diese Band immer so ausgezeichnet hat. Es klingt beinahe wie eine Band, die wie NEW MODEL ARMY klingt, aber nicht wie das Original. Zumindest streckenweise. Als zu zerfahren und orientierungslos kam mir „Strange Brotherhood“ immer vor, auch wenn sie einige echte Knaller dabei hat. Ich habe sie am Stück nun schon sehr lange nicht mehr gehört, und bin sehr gespannt, wie ich das gleich sehen werde. Vielleicht ja komplett anders. Die Einleitung lasse ich aber nun dennoch stehen und lege einfach mal los.
Bei der Gesamtwertung bin ich sehr bei dir. Kein schlechtes Album, aber klar das schwächste der Band. Und zwar aus genau den Gründen, die du auch nennst. Damals war das für mich ein kompletter Ausfall, inzwischen sehe ich es nicht mehr so. Wahrscheinlich deswegen, weil die Band mich insgesamt wieder so sehr begeistert. Obendrein habe ich ein paar Songs davon inzwischen auch live von ihnen gehört und dabei haben sie extrem gewonnen.
Das Album bleibt aber trotzdem sehr unrund, die Songs passen nicht zusammen und die Stimmung wechselt andauernd.
Wenigstens sieht man aber schon am Cover, was da auf einen zukommt. *g*
Thunderforce hat geschrieben:01. Wonderful Way To Go
Der erste Song ist erstmal ein sehr typischer NMA-Opener. Ruhig beginnend mit tiefen Cellos und Streichermelodien sowie diversen Gitarren-Einsprengseln erinnert das Intro fast schon an „The World“ - Dann geht es über in einen dieser typischen schnellen ARMY-Songs mit wundervollen Melodien, einem sich im Chorus herrlich in rauhe Gefilde steigernden Justin und der Gottbridge “Tonight the moon she lays a silver path across the blackened sea, I'm swimming out against the tide the waves are crashing over me...“. Dieser Song und speziell dieser Part sind NEW MODEL ARMY pur, ein Song, der sich anfühlt wie das nach Hause kommen in die vertraute Umgebung nach einer Reise.
Ganz großes Kino und wenn sie das Niveau auf der Scheibe gehalten hätten, würde sich „Strange Brotherhood“ aber mal ganz locker neben „Impurity“ sehen lassen können. Übrigens finde ich die Atmosphäre dieses Songs auch sehr „Impurity“-mäßig, fällt mir gerade auf.
Ich mag den auch wahnsinnig gern, wobei ich ein bisschen bei Knitter bin - die Studioversion kommt leider nicht an live ran. Stört mich aber nicht so sehr, ich liebe den inzwischen auch in der Studioversion.
Thunderforce hat geschrieben:02. Whites Of Their Eyes
Doch leider halten sie das Niveau nicht. „Whites Of The Eyes“ ist ein ganz komischer Song. Schleppend, düster, durchsetzt mit irgendwelchen seltsamen Sounds, die wie extremes Wahwah klingen, evtl. aber auch Klarinette sein könnten. Der Gesang findet nicht wirklich statt, viel mehr spricht irgendjemand, der eventuell Justin sein könnte mit extrem verzerrter Stimme durch ein Megaphon oder so. Zwischendurch immer wieder irgendwelche Psychogeräusche aus der Wahwah-Klarinette, Flüstern, Soundeffekte. In meinen Augen völlig überflüssige Nummer, die dazu auch noch sehr anstrengend zu hören ist und einen beinahe aggressiv macht, weil sie so nervt. Ausfall.
IMO ist das ein Saxophon, was den Song aber auch nicht rettet. Ich finde den zwar nicht so schlimm wie ihr, das ist aber auch schon das Beste, was man über den Song sagen kann. Ich muss da nicht skippen, aber gut ist schon was ziemlich anderes.
Thunderforce hat geschrieben:03. Aimless Desire
Den textlichen Hintergrund, den ich über diesen Song mal gelesen habe, finde ich sehr schön: Irgendein Besoffski erzählte Justin in einem Pub seine ganze Lebensgeschichte und dieser war davon so beeindruckt, dass er einen Songtext daraus machte.
„Aimless Desire“ ist auch eher langsam angelegt, glänzt in den Strophen mit simpler wie schöner Gitarrenarbeit und ist insgesamt eher unauffällig. Immer, wenn Justin singt, ist es ein ARMY-Song, die instrumentalen Teile klingen für mich aber irgendwie fremd und überhaupt nicht nach dieser Band. Das ist ziemlich genau das, was ich mit dem fehlenden Spirit meinte. Dennoch ein insgesamt ganz hübscher Song.
Ich mag den ganz gern, was aber tatsächlich vor allem an Justins Gesang liegt. Ich finde übrigens nicht, dass die Istrumentalfraktion da nicht nach der Army klingt, denn mich erinnert das von den Vibes und vom Sound her ziemlich an Love of Hopeless Causes. Da ich aber auch schon mit dem Album nie so warm geworden bin wie mit den Alben davor, ist da vielleicht doch was dran. Die Band klingt da auf alle Fälle anders als sie es davor getan hat (und auch jetzt wieder tut).
Thunderforce hat geschrieben:04. Over The Wire
Ein Midtemposong, der irgendwie recht lärmig klingt. Dafür sorgen vor allem die Gitarren, die links und rechts während der Strophen Akzente setzen. Die Strophen sind gesanglich eher melodielos und eher hektisch gesprochen. Der Chorus ist sehr eingängig, besteht aber nur aus einer sich wiederholenden Zeile, was etwas ungute Assoziationen an „Understand U“ weckt – dieser Chorus ist aber klar besser. Die Bridge ist dann richtig toll, aber der Part geht recht schnell vorbei. Ein Song, der auf mich relativ zerfahren und unentschlossen wirkt. Er hat seine Momente, aber ich würde ihn niemals auf eine Best Of nehmen.
Ich finde den auch eher anstrengend, aber auf eine positive Art und Weise. Der fordert einen, soll das IMO aber auch. Wenn ich ihn höre, finde ich das gut, aber das ist so einer der Songs, an die ich nie denke, wenn ich ihn nicht gerade höre.
Thunderforce hat geschrieben:05. Queen Of My Heart
Man könnte den Song eine Ballade nennen, aber damit würde man ihm nicht wirklich gerecht, Denn dazu klingt er viel zu unruhig, was hauptsächlich an dem stets präsenten und lauten Drumming liegt, was aber auf einer Art Pauken stattzufinden scheint. Justin singt aber ganz ruhig und im Chorus wird er von sanft gezupften Gitarren und Keyboarduntermalung unterstützt. Ein Song, der mit zunehmender Spielzeit immer besser wird. Zunächst scheint er unscheinbar, aber dann findet man sich in die Atmosphäre ein und merkt, dass das eigentlich ein ziemlich guter Song ist. Klare Steigerung zu den drei Liedern davor.
Für mich eins der Highlights des Albums. Die Drums stören mich da auch nicht, was möglicherweise an Between Dog And Wolf liegt, bei der sie dieses Konzept von dominanten Drums/Percussion zu eher ruhigen Songs ja öfter mal bringen. Das hat mich da vielleicht drauf getunt. *g*
Die Stimmung des Songs erinnert mich ein bisschen an Someone Like Jesus, nur in weniger finster.
Thunderforce hat geschrieben:06. Gigabyte Wars
Zunächst finde ich es ja mal witzig, dass ein Songtitel namens „Gigabyte Wars“ 10 Jahre später noch nicht veraltet klingt. Hätte man 1985 einen Song namens „Kilobyte Wars“ aufgenommen, hätte sich 1995 doch jeder drüber totgelacht *g*. Nur eine Beobachtung am Rande.
Eingeleitet von einem Bläser-Arrangement (!), dessen Melodieführung extrem hymnisch und eingängig klingt und im Laufe des Songs noch häufiger auftaucht.
Die Strophen werden mit sehr tiefer Stimme gesprochen, bevor im Chorus dann gesungen wird. Ein sehr eingängiges Lied, dass auf jeden Fall zu den besseren auf „Strange Brotherhood“ zu zählen ist. Hier ist es der Band gelungen, trotz der zahlreichen Ideen irgendwie auf den Punkt zu kommen. Bis auf die Bläser ist der Song ansonsten auch nicht wirklich NMA-untypisch. Ich mag ihn nach wie vor recht gerne.
Ein weiteres Highlight, auch wenn der Song kaum zum Rest des Albums passt. Aber das ändert nichts daran, dass sie hier wirklich alles auspacken, was sie können. Vom Songwriting her eigentlich auch klar die stärkste Nummer des Albums.
Thunderforce hat geschrieben:07. Killing
Eingeleitet durch ein Intro, in dem man Menschen durcheinander rufen und johlen hört, startet „Killing“ dann recht ruhig, geht aber nach ca. einer Minute schön ab. Flott, schön typisches Heaton-Drumming und ein wütender Chorus “Spitting out in desperation – stop the killing!“. Nach „Wonderful Way To Go“ für mich der zweite Song, der das Feeling der alten ARMY transportiert, zumindest über weite Strecken. Das liegt schon allein auch am Text, der auf den Punkt kommt, indem reale Orte wie die Stanworth Woods erwähnt werden. „Killing“ ist ein abwechslungsreicher Spitzensong, einer der wenigen, die ich von diesem Album wirklich oft und regelmäßig gehört habe. Das noisige Solo ist zwar etwas gewöhnungsbedürftig, aber der herrlich simple wie mitreißende Chorus reißt alles wieder raus. „Killing“ ist meiner Meinung nach zu den wirklich großen Songs auf der Scheibe zu zählen. Mit ruhigen Akustikgitarren mit Lagerfeueratmospähre sowie ein paar E-Gitarren-Akzenten klingt „Killing“ schließlich aus. Super!
Ich stimme zu. Auch hier hab ich gar kein wirkliches Problem mit dem Song - der ist ziemlich geil - sondern eher damit, dass auch der nicht so recht zum Rest des Albums passen will.
Thunderforce hat geschrieben:08. No Pain
Ganz ruhige Strophen mit Akustik-Instrumentierung und Justins zurückhaltendem Gesang, bevor es kurz vor dem Chorus Fahrt aufnimmt. Der Chorus ist dann an Eingängigkeit kaum mehr zu schlagen. Frißt sich wirklich direkt im Kopf fest. In gewisser Weise erinnert mich der Song an „Believe It“ von „The Love Of Hopeless Causes“. Ein wirklich guter Rocksong, der aber halt nicht mehr viel mit dem zu tun hat, womit diese Band mal angefangen hat. Dennoch mag ich auch „No Pain“ wirklich gerne, denn trotz des klar als Pop zu bezeichnenden Refrains atmet vor allem die letzte Strophe über Abraham, Isaac und Gott, die sich immer mehr steigert wiederum NEW MODEL ARMY-Feeling pur.
„No Pain“ ist also quasi echt ein Popsong, aber man erkennt, wer hier am Werke ist. Sehr gut.
Der Song ist super, aber vor allem live auf "Big Guitars in Little Europe". Die Version kannte ich zuerst und die Studioversion kommt da einfach nicht ran, weswegen sie mich jedesmal wieder enttäuscht. Aber dafür kann sie nichts, das war einfach nur dummes Timing. *g*
Thunderforce hat geschrieben:09. Headlights
Ruhiges Waberintro, dass so auch von Godspeed You Black Emperor stammen könnte, finde ich. Dann setzen die Drums ein, im Hintergrund rauschen Autos von rechts nach links durch die Boxen. Rhythmisch ähnlich schleppend-langsam wie „Whites Of Their Eyes“, allerdings wird hier gesungen und auf bescheuerte Effekte verzichtet. Die Gitarren während der Strophen schrammeln und klingen beinahe nach Metalgitarren. Der Song wirkt eigentlich sehr entspannt und zurückgelehnt. Textlich geht es um die Geister der Vergangenheit, die einen irgendwann einholen. Recht untypischer Song, der aber gut umgesetzt ist und darum auch mit als ein Highlight der Platte durchgeht.
Und ein ähnliches Problem, diesmal geht es um die Liveversion auf "Tales of the Road". Hier ist es aber nicht ganz so drastisch, weil die Studioversion doch sehr anders ist und damit auch durch ihren eigenen Charme bestehen kann. Passt also unter dem Strich.
Thunderforce hat geschrieben:10. Big Blue
Gitarreneffekte und seltsame „Uuuuh-hu-uuuuuuh“-Chöre, die mich auf ganz fatale Weise irgendwie an 80er Jahre Boybands erinnern. *grusel* - Der Song selber ist ein recht unauffälliger Midtemposong, der so mitläuft ohne groß zu stören oder herauszustechen.
Der Chorus wartet wieder mit den eingangs erwähnten Chören auf. Die Idee ist zwar originell, aber ich muss dabei halt immer an Schandtaten wie „I wanna sex you up“ oder „Step by step“ denken, ich kann mir echt nicht helfen. Schlimm ist das. Würde ich diese Assoziationen nicht haben, wäre „Big Blue“ ein okayer Song. So brauche ich ihn aber halt leider nicht.
Unspektakuläre Nummer, sticht für mich in keiner Hinsicht raus. Hab ich auch nie im Kopf. Im Albumkontext passt der schon, aber wirklich brauchen tue ich den auch nicht, auch wenn ich die Assoziation nicht habe. *g*
Thunderforce hat geschrieben:11. Long Goobye
Nach einem überflüssigen Intro, wo mal wieder jemand sein Soundeffekt-Board ausprobieren musste, geht’s glücklicherweise recht schnell los. Und: Man höre und staune: Flottes Tempo, Mundharmonika, ein toller eingängiger Chorus, der richtig was kann. „Long Goodbye“ hatte ich als einzigen Song wirklich überhaupt nicht mehr im Kopf, bin aber nun relativ begeistert von dem, was ich da höre.
Stimmungstechnisch und vom Chorus her erinnert es mich entfernt an „The Charge“, ist aber klar fröhlicher. Dennoch kommt auch hier etwas dieses Cowboyfeeling auf. Wirklich guter Song, den ich echt nicht mehr auf dem Schirm hatte, So kanns gehen.
Erinnert mich etwas an "Orange Tree Roads". Ansonsten ist auch das hier einer aus der Gruppe "richtig guter Song, der nur nicht zum Rest passt".
Thunderforce hat geschrieben:12. Lullaby
Der letzte Song ist zugleich der ruhigste des Albums. Ganz ruhige und entspannte Nummer, irgendwie etwas in der Tradition solcher Sachen wie „Living In The Rose“, zumindest in den Strophen. Im Chorus spielt ein Cello dazu, der Song gleitet schwerelos dahin und führt das Album zu einem durchaus gelungenen Ende.
Die meisten Balladen von NMA liebe ich, aber die hier läuft aus irgendeinem Grund ziemlich an mir vorbei und packt mich einfach nicht. Woran das liegt, kann ich nicht sagen, aber irgendwas fehlt da oder stimmt nicht.