Ghost_in_the_Ruin hat geschrieben: ↑22.03.2020 21:58
Dein Bild mit dem Auto, das im Dunkeln auf eine Schlucht zufährt, finde ich nicht passend. Diese Situation zeigt auf, dass es da für alle Insassen um Leben und Tod geht und es nur zwischen diesen beiden Extremen ausgehen kann (sofern es diese Schlucht gibt). Diese Situation haben wir durch Corona nun ja auch in den düstersten Prognosen nicht.
Das Bild sollte eigentlich nur eine Entscheidungssituation mit Zeitdruck, unsicherem Wissem und potentiell (!) katastrophalem Ausgang symbolisieren. Wenn man es darüberhinaus belasten möchte, hat es ganz viele Lücken. Z.B. gibt es gar keine Kosten. Es wär schon überflüssig, wenn man einen Kratzer in den Lack kriegt. Und wenn man alleine drin sitzt ist es auch - ceteris paribus - eine rein private und keine politische Entscheidung, welche Risiken man eingeht, d.h. es gibt nicht das Problem, dass man unterschiedliche Präferenzen zu einer politischen Maxime aggregieren muss.
Ich denke man darf halt aktuell zwei Fehler nicht machen: Zum einen - inzwischen allseits bekannt - die Dynamik des exponentiellen Wachstums nicht unterschätzen. Zeit kann man in gewissen Grenzen wieder einholen oder anders gestalten. Aber ein unkontrollierbarer Ausbruch würde nicht "nur" Risikogruppen unkontrollierbar treffen. Und zum anderen darf man sich nicht dem unterordnen was Richard Dawkins "the tyranny of the discontinuous mind" nennt. Also es macht eben schon einen Unterschied, ob man sich für Wochen oder für Ewigkeiten nicht mehr draußen treffen und versammeln darf, obwohl zweifelsohne in beiden Fällen ein massiver Eingriff in Grundrechte vorliegt. Der erste Fehler unterschätzt Gefahren, der zweite Fehler bewertet vorübergehende Maßnahmen über. Faktisch haben wir in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Staaten sogar noch eine relativ komfortable Entscheidungssituation.
Ghost_in_the_Ruin hat geschrieben:
Und wie weiter oben beschrieben, bin ich ja auch nicht der Meinung: „Corona? Scheiß egal, ich hab Bock auf Party!“ Ich bleibe auch zuhause und habe meine direkten Sozialkontakte in den letzten zehn Tagen fast auf null runtergefahren. Mich stört aber dieses sich über andere erhebende Einfordern von striktesten Maßnahmen, weil es ja sonst nicht klappen kann und „die Leute“ es einfach nicht kapieren würden. Dass das dann dazu führt, dass mal eben, ohne jegliche Gegenrede oder Infragestellung inzwischen bei Strafe (jedenfalls eventuell in NRW, wie Laschet verkündet hat) verboten werden soll, dass man in „Gruppen“ von mehr als zwei Leuten beieinander steht, geht mir da schon klar zu weit. Sascha Lobo hat in seiner Kolumne von der „Vernunftpanik“ gesprochen, die dazu führt, dass man, „um sein Haus zu löschen direkt den ganzen Stausee umleitet“. Genau das Gefühl habe ich derzeit auch.
Ich habe den Artikel von Lobo gerade mal gelesen. Da geht es doch primär um die Frage wie Menschen, die von der Krise stark betroffen sind, mit Menschen umgehen, die von der Krise brutal stark betroffen sind. Das hat mit der Frage welche Maßnahmen jetzt kurzfristig geboten sind nicht direkt etwas zu tun bzw. beides ist eben Teil des politischen Prozesses. "Was mit Corona gerechtfertigt wird, wird danach viel einfacher in viel milderen Fällen zu rechtfertigen sein." Mir leuchtet das bei einer potentiellen (!) Einmal-in-hundert-Jahren-Krise nur bedingt ein. Aber ja, die Gefahr ist benennbar und man darf sie ansprechen. Ich kann aber verstehen, dass die Politik es aktuell für geboten hält einfach mal wieder "vor die Kurve zu kommen" und ihr nicht nur hinterher zu rennen. Ich denke diese Motivation spielt eine deutlich größere Rolle als der Versuch der härteste Hund zu sein, zumal man damit auch fast jedem gerade auf die Füße tritt. Aber ja, ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen der Corona-Krise und der Klimakrise ist natürlich auch der Umstand, dass es sich bei dem einen um eine langsame Naturkatastrophe handelt und bei dem anderen um eine sehr, sehr langsame Naturkatastrophe. Oder mit anderen Worten: die negativen Auswirkungen der Corona-Krise realisieren sich wahrscheinlich vor der nächsten Wahl und die negativen Auswirkungen der Klimakrise wahrscheinlich nicht. Das motiviert aber natürlich sowohl diejenigen, die sich davon relative Gewinne erhoffen, aber auch diejenigen, die deswegen relative Verluste befürchten. Und natürlich fühlen sich auch diejenigen motiviert, die die Aufmerksamkeit, die aktuell Virologen und Medizinern zukommt, eigentlich abonniert haben. Ich gehe übrigens auch davon aus, dass gezielte Einschränkungen bei Großveranstaltungen und ein stark verfeinertes und erweitertes Monitoring das Thema grundsätzlich beherrschbar machen müsste, aber das ist einfach nur meine Meinung. Und ich hoffe auch, dass es, zeitnaher als vlt erwartet, irgendeine Art von Behandlungsfortschritt geben wird, weil die Anreize eben enorm hoch sind.
Mich wundert es insgesamt schon ein bisschen, wie schnell man jetzt nach Abkürzungen sucht und diese zu kennen meint.