NegatroN hat geschrieben: ↑17.06.2020 08:56
infected hat geschrieben: ↑17.06.2020 08:49Ich halte es halt für problematisch das ganze auf einer Studie aufzubauen, die seit Erscheinen bereits in der Kritik stand und überwiegend nur aus den stark konservativ/rechten Kreisen entsprechend angeführt wird als Beweis das es ja keinen Rassismus gebe.
Weitergehende Kritik zur Studie ist hier aufgeführt:
Harris behauptet aber weder, dass es keinen Rassismus geben würde noch stellt er irgendwelche Forderungen auf, die auch nur entfernt was mit denen der Alt Right zu tun haben. Was er sagt ist, dass viele sich in eine falsche Richtung verrennen und nicht funktionierende Lösungen propagieren statt sich um die richtigen Probleme zu kümmern.
Er hat schon Recht damit, dass man nicht davon automatisch ausgehen kann und darf, dass jeder weiße Polizist der einen schwarzen Straftäter oder Verdächtigen erschießt, aus rassistischen Motiven handelt. Ich bin mir sicher, dass es solche Fälle gibt aber ich bin mir ebenso sicher, dass es sehr viele andere Umstände gibt, unter denen sich solche Tragödien abspielen. Tatsächlich wissen wir bisher nicht mal, ob George Floyd aus rassistischen Motiven zu Tode gekommen ist. Ich finde es daher problematisch, dass das Urteil, dass dies so ist, von der Gesellschaft und sogar von teilen der politischen Elite bereits gefällt wurde - bevor es überhaupt einen Prozess gibt.
Es gibt schon eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass Rassismus eine Rolle spielt aber man stelle sich mal vor, es ist nicht so. Man stelle sich mal vor, ein ordentliches Gericht kommt zweifelsfrei zu dem Urteil, dass der Tat kein rassistisches Motiv zu Grunde lag. Dann bestünde eine große Chance, dass das Pendel aus Wut und Empörung, dass man angestoßen hat, auf einige Menschen mit voller Wucht zurück schlägt. Im schlimmsten Falle diskreditiert man damit sogar den Kampf gegen Rassismus selbst, weil der dann als willkürliche Hexenjagd erscheint.
Ich bin der Meinung, dass man niemals etwas besser macht, wenn man politische und gesellschaftliche Diskurse emotionalisiert. Zu keinem Thema, nirgendwo. In keinem Fall und auch aus der Vergangenheit fällt mir kein einziges positives Beispiel ein. Man macht es nur schlimmer, man heizt Stimmungen auf, schürt Zorn oder Angst und daraus kann niemals etwas Positives erwachsen. An einer Stelle sagt Harris entweder wörtlich oder sinngemäß "Gefühle sind keine Argumente" und das ist vielleicht der wichtigste und klügste Satz seines Beitrags.
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Hier kommt ein gedanklicher Sprung zu einem anderen Aspekt des größeren Themas
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Dass es in den USA und auch vielen anderen Gegenden der Welt einen strukturellen Rassismus gibt oder gab, der dafür gesorgt hat oder noch dafür sorgt, dass Menschen bestimmter Hautfarbe oder Herkunft in überdurchschnittlichem Maß benachteiligt sind, steht auf seinem ganz eigenen Blatt. Dass diese Benachteiligung mit Ursache für mehr Armut, mehr Kriminalität und mehr Gewalt ist, bestreitet Niemand. Das ist ja der eigentlich Kern des Problem, die Ursache, warum zum Beispiel in den USA überdurchschnittlich viele Menschen, die Minderheiten angehören, überhaupt in Konflikt mit dem Gesetz geraten. Das schürt auch neuen Rassismus. Wenn Schwarze Beispielsweise überdurchschnittliche Gewalttaten verüben, werden Weiße leichter Vorurteile in diese Richtung entwickeln. Strukturell verankerter Rassismus hat in dieser Hinsicht meiner Ansicht nach immer auch ein bisschen was von einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.
Die eigentliche Krux ist ja sogar, dass eine Gesellschaft in der Gegenwart nicht einmal mehr sonderlich rassistisch sein muss und es trotzdem weiterhin diesen strukturell verankerten Rassismus geben kann. Denn Armut und sozialer Status werden ebenso vererbt wie Reichtum. Menschen, die einst wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert wurden und dadurch in sozialer Armut leben mussten, geben diesen sozialen Status sehr oft an nachfolgende Generationen weiter. Selbst wenn in einer Gesellschaft im Laufe der Generationen weniger Rassismus kulminiert, leiden diese Nachfahren oft weiterhin an den Folgen, geraten schneller in Not und auf die schiefe Bahn, werden gewalttätig oder kriminell und dann von der Gesellschaft als Bedrohung empfunden. Und spätestens wenn man beim letzten Punkt angelangt ist, hat man wieder einen fruchtbaren Nährboden für neuen Rassismus.
Das anzugehen, ist extrem schwer. Denn das Einzige, was vielleicht wirklich nachhaltig gegen Rassismus hilft, ist sozialer Ausgleich. Und das hilft auch nicht sofort, sondern maximal über einen langen Zeitraum von möglicherweise mehreren Generationen. Für Politiker, die sich mit dem Kampf gegen Rassismus profilieren wollen, ist das nix. Die stehen eher auf schnelle Symbolpolitik, die letztlich auch nur symbolisch bleibt aber echten Rassismus und echte Ursachen für Rassismus kein Stück weit bekämpft. Ich kann mir gut vorstellen, dass man in den USA jetzt jeden einzelnen Polizisten austauschen könnte und man damit die grundlegenden Probleme trotzdem kein Stück weit lösen würde.