NegatroN hat geschrieben:
Im ersten Satz stecken schon irre viele Probleme. Was ist denn eine "starke" EU? Ein europäischer Staat? Oder eben doch nur ein Staatenbund, in dem man zwar zusammenarbeitet, die eigentliche Macht und Legitimation aber eben doch in den Nationalstaaten verbleibt? Und was bedeutet in diesem Zusammenhang "demokratisch"? Wie sieht ein demokratisches Wahlrecht aus, das sowohl den Interessen von bevölkerungs- und wirtschaftsstarken Staaten wie Deutschland und Frankreich gerecht wird wie auch denen von Malta oder Kroatien? Auch in Anbetracht dessen, dass die dann auch sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie Demokratie tatsächlich ausgestaltet sein sollte.
ja
NegatroN hat geschrieben:
Mit dem letzten Teil bin ich auch bei dem vom tafcasc zitierten Verfassungsrechtler. Er hat insofern recht, als es schwierig (und auch etwas anmaßend) ist, das deutsche Verständnis von Demokratie und staatlicher Organisation auf Europa anzuwenden. Viele Staaten und Bürger sehen das eben ziemlich anders als wir. Die haben deswegen nicht automatisch Unrecht. Wir tun aber gern so, als ob unser Verständnis das einzig wahre und richtige wäre, und die anderen einfach noch nicht so weit sind (wenn sie nicht eh korrupte Faulenzer sind). Da blitzt halt schon öfters mal das alte "am deutschen Tresen soll die Welt genesen" durch.
Manchmal kann man aber auch den Eindruck haben, dass die Differenzierung "Deutschland gegen den Rest der Welt" wiederum eine Form von (invertierter) Deutschland-Fixierung ist. Das Gerede über ein demokr. Defizit in der EU ist keine rein deutsche Erfindung. Und Deutschland steht bei vielen europ. Streitfragen (z.B. zum Euro) eigentlich auch selten ganz alleine da (pars pro toto:
http://bilbo.economicoutlook.net/blog/?p=44869). Dass Deutschland als der größte und wirtschaftlich stärkste Staat eine besondere Rolle spielt, ist auch klar. Aber Deutschland ist halt für eine Hegemonialrolle wiederum viel zu klein. Und die Erkenntnis, dass man sich nicht einig ist, bedeutet nicht unbedingt, dass -überhaupt- jemand Unrecht hat.
Das ironische ist ja, dass man über die unterschiedlichen deutschen, französischen, maltesischen und kroatischen Interessen und Traditionen wiederum die alten Nationalstaaten, ihre Geschichte und ihre Pfadabhängigkeiten in die EU mithineinträgt ("Für uns ist und bleibt das wichtig, weil wir Detusche/Malteser/... sind"). In gewisser Weise lese ich das, was du schreibst, sogar für ein (unbeabsichtigtes?) Plädoyer für einen eher lockeren Staatenbund (Ziel: Skalen- und Netzwerkeffekte), denn welchen "Zweck", welche "Funktion" sollte denn ein europäischer Staat haben, wenn man so vieles eben anders sieht (und das eine Rolle spielt) ? Man kann ihn (nur) als Vehikel für gemeinschaftlich definierte, individuelle Grundrechte sehen, aber das geht nicht (verlässlich) ohne Einmütigkeit. Ich vermute mal, dass auch ein Prof. Mayer, bei aller Rücksichtnahme auf andere Rechtsempfinden, weiterhin gerne die Möglichkeit hätte Polen und Ungarn zu kritisieren, auch mit Rechtsmitteln.