Der schöne Tod

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Timojugend
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Re: Der schöne Tod

Beitrag von Timojugend »

Danke auch @Talana. Echt tolle Worte.
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Sambora
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Re: Der schöne Tod

Beitrag von Sambora »

Timojugend hat geschrieben:Danke auch @Talana. Echt tolle Worte.
Ja. Ich tu mir mit dem Thema auch sehr schwer.
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Undo
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Re: Der schöne Tod

Beitrag von Undo »

Timojugend hat geschrieben:Danke auch @Talana. Echt tolle Worte.
Sehr schön geschrieben, ja.

Ich fand den Tod von Mum eine Erlösung, aber das letzte Bild von ihr kriege ich wohl nicht mehr aus dem Kopf. Meine Patientenverfügung steht jedenfalls. SO will ich nicht enden. Die Palliativmedizin müsste noch mehr beachtet werden imho.
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Timojugend
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Re: Der schöne Tod

Beitrag von Timojugend »

Ich würde mir übrigens wünschen, dass solch engagierte Pflegekräfte wie Jutting zukünftig ernstgenommen, und auch entsprechend honoriert werden.

Diese Jobs sind mit Geld eh kaum zu bezahlen, und trotzdem schreien die Pflegedienste nach immer billiger, und billigeren Arbeitskräften.
Und das darf einfach nicht sein.
Gute Pflegekräfte brauchen zunächst eine Eignung, eine gute Ausbildung, und danach ein gutes Gehalt, um danach motiviert weiterarbeiten zu können.
Und gerade hier gibt es imho noch viel zu viele Experimente, die ausschließlich zu Lasten der zu Pflegenden gehen.
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VoiceOfTheSoul
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Re: Der schöne Tod

Beitrag von VoiceOfTheSoul »

Sehr bewegend geschrieben, Jutting! Da kommen bei mir einige Erinnerungen hoch, denn ich hatte in meinem Leben ebenfalls viele Berührungspunkte mit dem Thema. Habe seinerzeit nach dem Abi als Zivi auf einer Herzstation gearbeitet und im Anschluss eine Ausbildung zum Krankenpfleger gemacht und auch erfolgreich beendet; und auch wenn ich danach nie wieder in dem Beruf gearbeitet habe (der Tag meines Examens war ausgerechnet der 11. September 2001), habe ich noch viele Erinnerungen an diese Zeit.

Zum Thema Tod sind mir unter anderem zwei Vorkommnisse besonders in Erinnerung geblieben. Im Zivildienst dauerte es mehrere Monate, bis ich zum ersten Mal unmittelbar damit konfrontiert wurde und erstmals in meinem Leben einen toten Menschen sah. Herr K. war mir als herzkranker Patient schon länger bekannt gewesen, da er mehrfach auf unserer Station einige Zeit zugebracht hatte: Ein freundlicher, zurückhaltender älterer Mann, mit dem ich immer mal wieder eine kurze Unterhaltung hatte. Eines Tages erlitt Herr K. einen schweren Schlaganfall und verbrachte in Folge seine letzten Lebenswochen ebenfalls auf unserer Station; diesmal als Pflegefall, bettlägerig, nicht mehr sprechend und fast bewegungsunfähig. Sein Leiden stand ihm ins Gesicht geschrieben, was mir sehr naheging. Als Herr K. während meiner Frühschicht schließlich verstarb, nahm ich meinen Mut zusammen und bat die schichtführende Krankenschwester, mit mir zusammen in sein Zimmer zu gehen, um mich von ihm zu verabschieden. Und so kam es dann auch. Was mich sehr erleichterte und der Begegnung den Schrecken nahm: Er lag sehr friedlich da, entspannte Gesichtszüge, sogar ein leichtes Lächeln auf den Lippen, als ob alles Leid endlich von ihm abgefallen war... Diese Erfahrung habe ich also als positiv und erleichternd empfunden.

Ganz anders dann ein paar Monate später. Da ist mir dann etwas Ähnliches passiert wie dir, Jutting. Ich war bei einer alten Dame auf dem Zimmer, die bettlägerig war und Wasser lassen musste, um ihr das Steckbecken (früher hätte man Bettpfanne gesagt) unterzuschieben. Mitten im Gespräch fielen ihr plötzlich die Beine, die sie wegen des Beckens angewinkelt hatte, herunter; sie sprach nicht mehr, starrte ins Leere und atmete tief. Ein paar Sekunden lang, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen, raffte ich überhaupt nicht was passierte, bis sie auf einmal auch aufhörte zu atmen. Dann realisierte ich: Diese Frau starb gerade, und ich stand daneben... Zum ersten Mal bekam ich unmittelbar mit, wie sich im unmittelbaren Sterbeprozess das Gesicht eines Menschen verändern kann. Die Augen brachen, das Gesicht wurde blaß, fahl, irgendwie spitzer (das ist aber auch nicht das richtige Wort). Ich rief schnell meine Kollegen und einen Arzt zu Hilfe, aber bei dieser alten kranken Frau war glücklicherweise schon abgeklärt worden, dass keine Reanimation versucht werden sollte. Wir blieben bei ihr, irgendwann stellte der Arzt den Tod fest und verständigte die Angehörigen. Diese Erfahrung, beim Sterben unmittelbar dabei gewesen zu sein, war für mich schon schwerer zu verarbeiten und hat mich einige Zeit beschäftigt.

Es gab für mich in vier Jahren Krankenhaus noch eine ganze Reihe Erfahrungen dieser Art, und in meinem persönlichen Leben ebenfalls. Einige Jahre nach meiner Zeit in der Pflege musste ich am Totenbett meines unerwartet verstorbenen Vaters Abschied nehmen, und wieder einige Jahre später habe ich in der Leichenhalle von meiner Großmutter Abschied genommen. Ich habe also wohl mehr direkte, schonungslose Erfahrungen mit dem Tod gemacht als viele von euch, aber trotzdem kann ich von mir nicht behaupten, mit dem Thema irgendwie "weiter" zu sein. Nur wenige Dinge kann ich sagen. Ich versuche das Ende des Lebens nicht zu verdrängen, sondern als Teil der Natur zu akzeptieren und mich ehrlich und offen damit zu beschäftigen. Und, das ist das Zweite und damit Einhergehende: Ich will mir nichts mehr vormachen. Als junger Mann war ich "spirituell" orientiert und habe an ein ewiges Leben nach dem Tod in einer besseren Welt geglaubt (zum Teil auch während meiner Ausbildungszeit noch), danach war ich lange Jahre orientierungslos, unschlüssig und diffus spirituell "suchend" (habe mich damals ja in dem Religionsthread von mono und Terrorkom auch rege beteiligt).

Seit einigen Jahren bin ich für mich jedoch ehrlich zu dem Schluss gekommen, dass der Tod das Ende des persönlichen Lebens darstellt. Aber wie ich damit umzugehen habe, kann ich gar nicht abschließend sagen. Ich bin da bei Talana und würde für mich gar nichts ausschließen. Mit welcher Haltung ich mein persönliches Ende erwarte, schwankt selbst jetzt sehr stark, und wie es sein wird, wenn (und falls) ich mein nahes Ende bewusst erlebe, weiß ich erst recht nicht. Von ruhiger, gelassener Akzeptanz des natürlichen Laufs der Dinge und bestenfalls sogar Bejahung bis zu panischer Angst ist wirklich alles drin. Ich bin einfach nicht durch mit dem Thema.
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Timojugend
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Re: Der schöne Tod

Beitrag von Timojugend »

Mein mittlerweile 76jähriger Paps ist wohl Weltmeister im Umgang mit dem Tod.

Der führt seit Jahrzehnten ne kleine, handgeschriebene Strichliste im Portemonait mit sich, wo alle ehemaligen Kumpels und Kollegen aufgeführt sind, die im Laufe der Zeit gestorben sind.

Er selbst hat dann vor 5 Jahren ne Krebsdiagnose bekommen, und daraufhin spontan sein eigenes "Reue-Essen" organisiert.

Riesige Grillparty mit allen Freunden, Freaks & Motorradclubs aus der Gegend, Livemusik, und mein Bruder und ich "mussten" dann einen von ihm (Papa) selbstgeschnitzen Sarg über einem riesigen Lagerfeuer verbrennen.

De Facto habe ich also die Beerdigung meines Vaters schonmal hinter mir. Auch wenn er gerade erst braungebrannt aus Ägypten aus dem Urlaub zurück ist. :D
Der alte Herr hat seine eigene Beerdigungsparty aber schonmal selbst vorgezogen und organisiert.

Wird mal wieder Zeit für ein Revival fällt mir gerade ein....
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Talana
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Re: Der schöne Tod

Beitrag von Talana »

Undo hat geschrieben:Sehr schön geschrieben, ja.

Ich fand den Tod von Mum eine Erlösung, aber das letzte Bild von ihr kriege ich wohl nicht mehr aus dem Kopf. Meine Patientenverfügung steht jedenfalls. SO will ich nicht enden. Die Palliativmedizin müsste noch mehr beachtet werden imho.
Ich habe bewusst auf seinen Mund geguckt und seine letzten Atemzüge auch als solche erlebt. Er musste Sauerstoff zugeführt bekommen, und das hat wirklich sehr stark die Kommunikation mit ihm beeinflusst. Je mehr Sauerstoff ein Patient braucht, desto lauter ist auch das Zischen, das aus dem in der Nase steckenden Schlauch kommt.
Seine Stimme wurde immer schwächer, und durch das Zischen war er sowieso kaum zu verstehen. Es war herzzerreißend, wie oft wir ihn bitten mussten, es zu wiederholen, weil wir ihn einfach oft nicht verstehen konnten. Das muss sehr schwer für ihn gewesen sein. Dieses Zischen und die ständigen Piepstöne der Monitore sind bei mir zu Geräuschen geworden, mit denen ich noch nicht umgehen kann.

Nach seinem Tod mussten wir etwa eine Stunde warten, bis er hergerichtet war. Mein Vater wurde von all den Kabeln und Schläuchen befreit. Ich übertreibe nicht: Innerhalb dieser Stunde haben sich die Gesichtszüge meines Vaters so stark verändert, dass ich ihn auf den ersten Blick nicht wiedererkannt habe. Es war nicht friedlich im Sinne von Erlösung, obwohl wir wussten, dass es für ihn eine Erlösung war, die er auch selbst gefordert hat.

Eingefallene Wangen, ein fahler Teint, eine papierdünn scheinende Haut - das sieht man auch nicht alle Tage, erst recht nicht beim eigenen Vater. Im Kopf weiß ich, dass es für ihn besser ist und er gehen wollte, aber Kopf und Herz sind zwei verschiedene Dinge.
Deswegen kann ich Undo sehr gut verstehen, dass auch sie sich mit dem "letzten Bild" beschäftigt.

Dazu möchte ich noch etwas erwähne, was weniger mit meinem Vater selbst, sondern mit dem Pflegepersonal zun tun hatte. Vielleicht eine kleine Anregung für all diejenigen, die sonst nichts mit dem Personal in Krankenhäusern, Altenheimen usw. zu tun haben und nicht wissen, was bei den Pflegekräften willkommen, angebracht oder wie auch immer ist.

Zu Ostern hatte meine Mutter eine Schale für das Personal auf der Intensivstation fertig gemacht - ein gebackener Osterhase auf Papiergras sitzend, mit ein paar Leckereien drumherum, als kleine Aufmerksamkeit. Zu dem Zeitpunkt war mein Vater noch nicht wieder aufgewacht. Man holt die Patienten sehr langsam aus dem Koma, das dauert je nach Schwere des Falls Tage oder sogar Wochen. Wir hatten viel Hoffnung, es ging langsam bergauf.
Ich meinte zu meiner Mutter, das sei nett, aber die Rezeption auf der Intensivstation würde bestimmt überlaufen vor lauter Leckereien, gerade zu Ostern. Es standen tatsächlich einige Süßigkeiten herum.

Etwas später, als es meinem Vater deutlich besser ging und wir uns wieder etwas erkenntlich zeigen wollten, besorgten wir lauter einzeln eingepackte Süßigkeiten wie Schokoladentäfelchen, Schokobons, Schokoriegel usw.; einzeln eingepackt wegen Infektionsgefahr. Es war von der Menge her etwa so viel, wie man auf einen bunten Weihnachtsteller kurz vor dem Überlaufen füllen kann.
Mit den Worten "eine kleine Stärkung für alle" oder Ähnliches stellte ich den Teller an der Rezeption ab. Der Pfleger freute und bedankte sich, und wir waren damit beschäftigt, uns umzuziehen. Die Rezeption befand sich keine fünf Meter vom Zimmer meines Vaters entfernt (die Zimmer sind kreisförmig um die Rezeption angeordnet), und wir konnten sehen, dass jeder Mitarbeiter, der gerade eine freie Minute hatte, zu den Süßigkeiten lief und sich freute, als hätte man eine monatelange Hungerkur hinter sich.
Den Teller konnten wir nach dem Besuch direkt wieder mit nach Hause nehmen, dennn "davon ist heute Abend nichts mehr übrig." Das konnte ich kaum glauben, aber ich nahm das so hin.

Etwa eine Woche nach dem Tod meines Vaters beschlossen wir, uns mit einer Dankeskarte und noch einmal Süßigkeiten bei beiden Krankenhäusern zu bedanken. (Als man in meiner Heimatstadt nach der ersten OP nichts mehr für ihn tun konnte, wurde er per Helikopter in ein Partnerkrankenhaus geflogen, wo die zweite OP erfolgte und wo er auch starb.)

Dazu hatten meine Schwester und ich wieder die gleiche Art von Süßigkeiten besorgt und dazu drei große ovale Einweg-Servierschalen für Braten oder Aufschnitt, jede wieder so voll, wie es nur ging. Eine ging ins heimatliche Krankenhaus (wo er relativ kurz war), die anderen beiden in das andere. In das brachten wir auch noch eine nur mit kleinen Schoko-, Karamell- und anderen Bonbons prall gefüllte Geschenktasche und eine weitere Geschenktasche mit Schokoladenprodukten von Hussel. Das sind besonders hübsch verpackte Schokoladen und Pralinen mit witzigen Namen und Verpackungen; als Dankeschön ideal geeignet.
Auf beiden Intensivstationen war das Personal völlig platt (aber hocherfreut), dass wir wiedergekommen waren und uns nochmals bedankten, noch dazu mit bergeweise Süßigkeiten. Die Leute da kommen kaum zum Essen; an manchen Tagen würde man seinen linken Arm für ein kaltes Getränk geben, und meistens schreit der Körper nach Kalorien, und zwar bitte in Form von Fett und Zucker. Es standen wieder ein paar Mitarbeiter um uns herum, staunten, bedankten sich, sprachen noch mit uns über meinen Vater und manche umarmten uns sogar. Das war für mich überwältigend.

Entgegen meiner Annahme, dass jede Intensivstation nur so mit Süßigkeiten oder anderen kleinen Leckereien überschüttet wird (Aufmerksamkeiten und Dankeschöns von Patienten und Angehörigen) und sie nicht mehr wüssten, wohin damit, ist das absolut nicht der Fall. Eine Freundin, die in der Anästhesie im OP-Bereich arbeitet, meinte, ich läge absolut falsch. Sie hat berichtet, dass sich jede Station darüber total freut; einmal über die Geste an sich, zweitens über die Nahrungszufuhr. Und es käme eigentlich relativ selten vor. Man kann da bestimmt nicht verallgemeinern, aber ihrer Aussage nach wird es kaum eine Station irgendwo geben, die sich über zu viele Süßigkeiten beklagt.

Gerade auf der Intensivstation ist oft die Hölle los. Da ist nicht nur die Köperpflege der Patienten, sondern auch deren Gemütszustand, die sehr belastend sein können. Ich habe da Patienten verwirrt und verängstigt schreien hören, die nicht wussten, wo sie waren und was mit ihnen geschehen war, die sich vor den Ärzten und dem Personal gefürchtet haben und glaubten, man wolle ihnen etwas antun.

Dazu kommen die Angehörigen der Patienten, die von jetzt auf gleich eingeliefert wurden, meistens aufgrund eines Herzinfarkts - und wo die Angehörigen überhaupt keine Zeit hatten, sich auf die Situation einzustellen. Gerade beim Mittagsessen, Herzinfarkt, Bewusstlosigkeit, Koma, Tod - und das innerhalb weniger Stunden und ohne die Möglichkeit, noch einmal mit dem Patienten zu sprechen.
Wir haben völlig aufgelöste Menschen aus den Stationen kommen sehen, die gestützt werden mussten und vermutlich das Gefühl hatten, in einem Albtraum zu leben. Mir ist das immer sehr an die Nieren gegangen.
Auf die Intensivstationen kommt man nicht einfach herein, man muss sich anmelden und auch oft mit viel Wartezeit rechnen, je nachdem, wie viel gerade auf der Station los ist. Da bekommt man einiges mit, wenn sich die Angehörigen im Wartebereich stauen.

Das Unfassbare für mich ist, dass man für die Arbeit auf der Intensivstation noch eine zusätzliche Ausbildung machen muss - eine Mitarbeiterin meinte, sie hätte dafür noch weitere fünf Jahre lernen müssen, aber im Portemonnaie habe man dann auch nicht viel mehr. Ich habe das mit viel Herzblut geschrieben, weil ich finde, dass diese Leute, die für unser Wohlergehen und unsere Gesundheit arbeiten und sich um uns kümmern, viel zu wenig Anerkennung bekommen. Zu wenig Geld sowieso!

Und wenn dann etwas Schokolade mit einem Dankeschön solche Reaktionen hervorruft, dann kommt mir der Verdacht, dass sogar so kleine Anerkennungen viel zu selten vorkommen. Das wäre beschämend.
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monochrom
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Re: Der schöne Tod

Beitrag von monochrom »

VoiceOfTheSoul hat geschrieben:
Seit einigen Jahren bin ich für mich jedoch ehrlich zu dem Schluss gekommen, dass der Tod das Ende des persönlichen Lebens darstellt. Aber wie ich damit umzugehen habe, kann ich gar nicht abschließend sagen. Ich bin da bei Talana und würde für mich gar nichts ausschließen. Mit welcher Haltung ich mein persönliches Ende erwarte, schwankt selbst jetzt sehr stark, und wie es sein wird, wenn (und falls) ich mein nahes Ende bewusst erlebe, weiß ich erst recht nicht. Von ruhiger, gelassener Akzeptanz des natürlichen Laufs der Dinge und bestenfalls sogar Bejahung bis zu panischer Angst ist wirklich alles drin. Ich bin einfach nicht durch mit dem Thema.
Man wünscht sich da natürlich einen gewissen Stoizismus, vielleicht sogar ein wenig Humor, den man noch in sich trägt.

Aber ich finde das da in Wirklichkeit alles erlaubt ist. Angst, Tränen, Wut, was soll es, es ist das Lebensende. Man hat das Recht, das furchtbar zu finden.
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Jutting
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Re: Der schöne Tod

Beitrag von Jutting »

Woche vier - Tag eins

Wie ich es bereits geahnt habe, hat es Herr B. nicht geschafft. Ich gehe zu ihm vor Dienstbeginn. Es mag blöd klingen, aber es gibt auch Leichen, die glücklich und entspannt aussehen. Herr B. gehört nicht dazu. Generell ist es immer schwierig, wenn die Leute nur noch aus Haut und Knochen bestehen. Diesbezüglich werde ich im Verlauf der Woche noch einen Härtefall haben. Ich nehme Abschied. Ob er noch gelitten hat werde ich nie erfahren, bin mir aber sicher, dass die Kollegen fürs Gegenteil gesorgt haben.

Der erste Gast zur Versorgung an diesem Morgen ist Herr R. Nicht der Sportler, sondern der arme Kerl, der einfach mal mit jeder Krankheit "gesegnet" wurde. Bevor ich überhaupt anfange fällt mir sofort das Facies hippocratica auf. Googelt hier bitte, der deutsche Begriff dafür wird von mir konsequent verweigert. Dazu noch längere Atempausen. Die Pflege kann ich mir also sparen und bitte eine Kollegin die Ehefrau zu informieren. Diese macht sich sofort auf den Weg und ich bleibe bei ihm, halte seine Hand, rede. Seit zwei Jahren hat er kein Wort mehr gesprochen und auch jetzt ändert sich nichts daran. Trotzdem merke ich, dass ihm die Anwesenheit gut tut.

Nach gut 30 Minuten ist Frau R. Im Zimmer. Ich lasse beide alleine mit dem Hinweis bei Bedarf den Alarm zu betätigen. Der Rest des Tages verläuft unauffällig. Herr R. wird den Tag nicht überleben soviel ist sicher. Ich habe mir im Vorfeld vorgenommen, seiner Frau nochmal meinen Respekt für sechs Jahre alleinige Pflege zukommen zu lassen. Als ich um kurz nach 13:00 Uhr aber das Zimmer betrete, hat sich bereits die ganze Familie am Sterbebett versammelt. Vor allen Leuten kann und möchte ich sie nicht ansprechen und sie alleine raus holen geht auch nicht. So lasse ich mir auf die schnelle einen Vorwand einfallen. Besonders bedrückend: Die Atmung hat sich wieder stabilisiert. Frau R. schöpft Hoffnung. Ich weiß es besser und sie tief in ihrem Inneren sicherlich auch.

Der Abschied bleibt mir verwährt. Dienstag und Mittwoch geht's zur Schule. Dort werden ein paar gute Noten eingetütet und mir freundlich mitgeteilt, dass meine praktische Prüfung, welche eigentlich verschoben werden sollte nun doch stattfinden muss. Das kann ja was werden..

Am Donnerstag erwartet mich mal wieder ein Knüppelharter Tag. Davon ahne ich am Mittwoch selbstverständlich noch nichts.
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Jutting
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Re: Der schöne Tod

Beitrag von Jutting »

Woche vier - Tag vier

Ein jeder kennt es. Manchmal gibt es eben Menschen, mit denen man eher schlecht als recht zurecht kommt. So begeistert ich vom Team bin, gibt es eine Kollegin mit der es eher schwierig ist. Generell kein Beinbruch, an diesem Morgen aber schon.

Im Zimmer von Herrn B. liegt jetzt Frau K. Allerdings auch schon im Sterben, als ich am Morgen anfange. 46 Jahre jung und einen sechs jährigen Sohn. Dieser soll wohl am Vortag vollkommen desorientiert mit Spielzeugautos auf seiner sterbenden Mutter rum gefahren sein und sie zum spielen aufgefordert haben. Puh. Manchmal ist Schule schon schön... Frau K. ist gut zwei Meter groß und bringt nur noch 40kg auf die Waage. Stoppelige Haare, die Augen weit aufgerissen, schwere Atmung.

Meine Kollegin und ich wollen sie versorgen. Sie geht kurz raus und meint sie komme gleich wieder, sie müsse kurz etwas erledigen. Kein Problem denke ich mir, bereite ich halt alles vor. Dann passiert nichts. Ich warte und warte. Niemand kommt. Es hilft alles nichts. Nach 15 Minuten fange ich an mich alleine durchzuschlagen. Ob der Situation habe ich Berührungsängste und fühle mich überfordert. Nach weiteren fünf Minuten kommt eine andere Kollegin dazu. Es gab einen Notfall. Zusammen versorgen wir Frau K. Notfall hin oder her, meine Kollegin gibt mir unabhängig davon den Rest des Tages zu verstehen, dass sie offenbar lieber alleine arbeiten möchte und einen Schüler gar nicht gebrauchen kann.

Eine halbe Stunde später ist der Notfall verstorben. Frau R. Lag im Zimmer von Herrn R der wie vorhergesagt am Montag noch verstarb. Dabei handelt es sich nun nicht um seine Frau, aber das könnt ihr euch sicher denken ;) Frau R. habe ich nun gar nicht erst kennengelernt. Macht nichts, damit muss man rechnen. Es wird eine Aussegnung geben und die wird es in sich haben. Zunächst einmal hatte Frau R. Speiseröhren Krebs und läuft bei der letzten Versorgung komplett aus. Blut, Eiter, schleim, erbrochenes. Ich bin zwar nicht dabei, aber gerne dürft ihr raten wer die ganze Wäsche im Anschluss sortieren darf. Eigentlich kann man alles wegschmeißen.

Um 12:00 Uhr findet die Aussegnung statt. Meine Chefin hat frei, also übernimmt diese der hauseigene Pfarrer. Die Familie kommt mit gut 15 Leuten. Frau R. sieht richtig richtig gut aus. Keine Leichenblässe, schön geschminkt als würde sie schlafen. Wie ich im Nachgang erfahre, ein expliziter Wunsch der Familie. Sie war erst 56 Jahre alt und wie es manchmal so ist, leben die eigenen Eltern dann noch. So ist es auch hier und man ahnt es, dass kann kein gutes Ende finden.

Unser Pfarrer spricht ein paar Worte plus das obligatorische Gebet. Dann gibt er den Anwesenden die Möglichkeit etwas zu sagen, oder wenn der Bedarf nicht besteht in stillem gedenken zu verharren. Es ist ruhig. Plötzlich bricht es aus dem Vater heraus. Er versucht selbst ein Gebet zu sprechen, aber hat alle erdenkliche Mühe dabei. Alle weinen. Auch mir schießen Tränen in die Augen. Selbst den Pfarrer, der schon alles gesehen hat und das mehrfach schüttelt es in diesem Moment sichtbar.

Ich muss hier raus. Gott sei Dank ist es danach auch vorbei und wir uns im Kollegium einig. So schön die Aussegnungen sind, so schwierig und hart an der Grenze war diese für alle Anwesenden. Feierabend!!

Freitag und Samstag habe ich frei, der Geburtstag meines jüngsten wird gefeiert. Was mich am Sonntag erwarten wird? Ich bin mittlerweile auf alles gefasst. Besser ist es, wie sich dort heraus stellen wird.
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Tolpan
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Re: Der schöne Tod

Beitrag von Tolpan »

Puh, schwere Kost, dieser Thread. Da stehen mir ja alleine schon beim Lesen die Tränen in den Augen.

Ich war erst letzte Woche auf der Beerdigung meines alten Professors, bei dem ich zu Uni-Zeiten viele Jahre gearbeitet habe und den ich jährlich im Dezember zusammen mit einem Kollegen in seinem Altenheim in Köln besucht habe. Dieses Jahr konnte ich ihn im Vorfeld telefonisch nicht erreichen, da er bereits im Krankenhaus war (was ich nicht wusste). 2 Stunden nach seinem Tod hatte ich es wieder versucht und dann ganz zufällig seinen Lebensgefährten in der Leitung, der gerade im Zimmer nach Dingen suchte. Ich hatte ihn also knapp verpasst. Auf der Trauerfeier, wo mein Kollege und ich mit Abstand die Jüngsten waren (er selbst hatte keine Familie), haben wir dann auf ihn ein ganzes Rudel Kölsch getrunken - weil wir das jedes Jahr bei unseren Besuchen immer so gemacht hatten, wobei er die Kölsch immer erfreut für uns orderte. Und wir haben eine Geschichte nach der anderen zum besten gegeben, die die älteren Herrschaften Großteils noch nicht kannten. Das empfand ich daher auch als einen "runden Abschied" (wobei er selbst auch 86 Jahre alt geworden ist).

Ich weiß auf jeden Fall schon, was nach meinem Tod passieren soll (und habe Frau und Freunde auch schon darüber informiert): Ich will, dass die Leute eine ordentliche Party auf meine Kosten feiern. Mit allem Zipp und Zapp. Ich will keinen Streuselkuchen bei Kaffee&Tee. Ich will keine Tränen, ich will keine Stille, ich will Leben (auch wenn ich der festen Überzeugung bin, dass ich selbst nichts davon mitbekommen werde). Jeder soll sich seines Lebens erfreuen, soll, wenn er mag, Geschichten von und/oder mit mir erzählen, und richtig einen drauf machen.

Und falls dies irgendwann in den nächsten 10 Jahren oder so passieren sollte, habe ich die Bitte, dass jeder, wie er kann und mag, meiner Tochter von mir erzählt. Das wäre so ziemlich das einzige, was mir nach meine Tod wichtig wäre.
Ante: "Brrruda, schlag de Ball lang!"
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Re: Der schöne Tod

Beitrag von Dimebag666 »

Tolpan hat geschrieben:Ich weiß auf jeden Fall schon, was nach meinem Tod passieren soll (und habe Frau und Freunde auch schon darüber informiert): Ich will, dass die Leute eine ordentliche Party auf meine Kosten feiern. Mit allem Zipp und Zapp. Ich will keinen Streuselkuchen bei Kaffee&Tee. Ich will keine Tränen, ich will keine Stille, ich will Leben (auch wenn ich der festen Überzeugung bin, dass ich selbst nichts davon mitbekommen werde). Jeder soll sich seines Lebens erfreuen, soll, wenn er mag, Geschichten von und/oder mit mir erzählen, und richtig einen drauf machen.

Und falls dies irgendwann in den nächsten 10 Jahren oder so passieren sollte, habe ich die Bitte, dass jeder, wie er kann und mag, meiner Tochter von mir erzählt. Das wäre so ziemlich das einzige, was mir nach meine Tod wichtig wäre.
Genau so geht's mir auch. Ich will eine Rockband, die u.a. Killed by Death spielt, auf meiner Beerdigung. Es soll ein Abschiedsfest sein und kein Trauerfest. Die Beerdigungen von jungen Weggefährten waren mir bisher davon zu wenig.

Und das mich mein Sohn irgendwann vergisst, ist eigentlich die größte Angst, wenn ich an den Tod denke.
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Jutting
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Re: Der schöne Tod

Beitrag von Jutting »

Woche vier - Tag sieben

Es ist Sonntag und relativ zügig wird mir klar, was die Chefin meinte mit "am Wochenende ist das hier ganz anders." Das Tempo ist ja im allgemeinen eher gemütlich, aber heute geht es dann doch entspannt und mit vielen kurzen Pausen in den Tag. Wenn Sie das wüsste :D

In den letzten zwei Tagen sind wieder einige verstorben und zwei neue gekommen. Das hat zur Folge, dass nur 5 Gäste versorgt werden müssen und wir mit 4 Mitarbeitern im Dienst sind. Luxus pur. Die Kollegin mit der ich so meine Schwierigkeiten habe ist auch dabei. Allerdings nur kurz, da sie am selben Tag noch in die Staaten fliegt und kurzerhand nach Hause geschickt wird. Alles wunderbar.

Bis ich Frau S. kennen lerne. Im Vordergrund steht hierbei aber die Tochter. Hat ihre Mutter bis dato zu Hause gepflegt. Wie sie Pflege definiert sehe ich wenig später. Im Vorfeld wird mir nur gesagt, dass die Tochter sehr an ihrer Mutter hängt. Es klingelt Alarm. Fix rein ins Zimmer, im Endeffekt nichts wildes. Frau S. muss sich übergeben. Eine typische Reaktion aufs Morphium.

So weit so unspektakulär versuche ich Ruhe in die Situation zu bringen. Tochter S. ist den Tränen nah, macht sich Vorwürfe. Es sei ihre Schuld, dass Mutter überhaupt im Hospiz gelandet sei. Vorher gab es nie Probleme. Mhm. Frau S. ist indes völlig sediert und reagiert kaum. Während ich neue Bettwäsche vorbereite, klatscht die Tochter ihrer Mutter mehrfach ins Gesicht. Sie habe schließlich in der Nacht genug geschlafen und soll jetzt mal wach werden. Von Frau S. kommt keine Reaktion.

Ich stehe daneben unfähig dem treiben ernsthaft Einhalt zu Gebieten. Gott sei Dank kommt just in dem Moment eine Kollegin dazu, welche die Tochter direkt aus dem Verkehr zieht und vor die Tür bittet. Zusammen ziehen wir die Frau um und vielleicht kann man schon ahnen was kommt. Die Arme sind grün und blau, mal ganz abgesehen von dem Muskelabriss im Oberarm. Im Endeffekt sieht die Tochter nach einem Gespräch mit zwei Kolleginnen ein, dass sie komplett überfordert ist.

Eigentlich wollte sie im Gästezimmer des Hauses bleiben, bis ihre Mutter verstorben ist. Wir legen ihr nahe zum Wohle aller Beteiligten abzureisen. Sie willigt ein. Unschön, wirklich unschön. Umso positiver ist es Frau B. Kennen zu lernen. Brustkrebs, vor drei Jahren selbst erste Veränderungen gemerkt. Diese allen verschwiegen, um den todkranken Mann zu versorgen. Vor drei Wochen dann ging gar nichts mehr. Einweisung ins Krankenhaus, der Krebs hat bereits Metastasen gebildet. Weitere Untersuchungen lehnt sie ab und entscheidet sich zu uns zu kommen.

Absolut orientiert und komplett reflektiert treffe ich sie am Morgen an. Die klassische Liebe Oma von nebenan. Auch schön mal solche Gäste zu haben. Frau B. wird im Laufe der jetzigen Woche noch eine große Rolle spielen. Davon ahnt sie aber noch nichts und auch ich bin mir noch unsicher, wie das ganze aussehen soll.
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Jutting
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Re: Der schöne Tod

Beitrag von Jutting »

Woche fünf - Tag eins (Montag dieser Woche)

Tolle Wurst. Der Termin für meine praktische Prüfung ist am Mittwoch. Mit verschieben ist nichts mehr, dennoch hat mir der prüfende Lehrer ein großes Geschenk gemacht. Vorgabe war eigentlich eine Wundversorgung mit Verbandswechsel etc. Nun ist es aber so, dass die Möglichkeit einen Gast mit einer passenden Wunde und angemessenem Allgemeinzustand zu einem bestimmten Zeitpunkt zu haben, genauso wahrscheinlich wie der 6er im Lotto ist.

Das Geschenk schaut so aus, dass ich jede andere Form der Behandlungspflege durchführen darf. Bedeutet im Klartext, Vitalzeichen Kontrolle, Wadenwickel, Spritzen usw. Für letzteres entscheide ich mich auch. Natürlich im Idealfall bei einem Gast, der mit vollem Bewusstsein bei der Sichtstunde ist. Der ursprüngliche Plan hat Herrn R. vorgesehen. Der Sportler ist zwar nach wie vor immer im Training, aber die Gefahr ihn bei betreten des Zimmers auf dem Fußboden vorzufinden, ist mittlerweile enorm.

Hier kommt Frau B. ins Spiel. Sie ist sofort Feuer und Flamme, freut sich sehr mir helfen zu können. Der Aufbau ist wie folgt: Es gibt ein Vorgespräch, in dem ich den Gast vorstellen muss. Sprich biografie, Diagnosen, Medikamente bezogen auf die Diagnosen und den generellen Wirkmechanismus. Dann die praktische Durchführung und zum Abschluss eine Reflexion. Frau B. bekommt nur Morphium und Lorazepam. Im Vergleich zu meinem Stammklientel, die pro Tag 10-15 Pillen nehmen müssen, ein Segen.

Ich führe ein Interview mit ihr um eine Biographie erarbeiten zu können. Frau B. ist Jahrgang 1935. Man kann es sich schon denken, die Erlebnisse aus dem Krieg sorgen für Gänsehaut meinerseits. Generell ist es beeindruckend wie sehr die Frau trotz allem Leid, was ihr widerfahren ist, in sich ruht. Zudem wusste sie bereits seit drei Jahren von ihrer Krebserkrankung. Hat es aber allen verschwiegen, bis vor drei Wochen nichts mehr ging.

Im Krankenhaus direkt nach der Diagnose alle weiteren Behandlungen abgelehnt und zu uns gekommen. Immer mehr wird mir klar, sie möchte zu ihrem Mann, der letztes Jahr voraus gegangen ist. So soll es sein, ich wünsche es ihr von ganzem Herzen. Gestorben wird an diesem Tag auch wieder, irgendwo kehrt Routine ein. Leicht ist und wird es nie werden. Richtig und wichtig jedoch schon, Trost spenden zu können und die verstorbenen respektvoll zu behandeln.

Morgen ist ein neuer Tag.
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Talana
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Re: Der schöne Tod

Beitrag von Talana »

Danke für deine weiteren Berichte. Ich finde es so wichtig zu erfahren, wie es dem Pflegepersonal dabei geht, seine Patienten zu versorgen. Ihr habt mit dem zu tun, was so viele Leute nicht wissen wollen.

Eure Arbeit kann nicht hoch genug eingeschätzt, unterstützt und gewürdigt werden. Ich wünschte, jeder hätte zu seiner Arbeit deine Einstellung. Vermutlich kommen einige Gäste zu euch mit Angst vor dem Tod und vor euch, weil sie euch nicht kennen und in vielen Dingen auf euch angewiesen sind. Ich glaube, für viele ist das nur sehr schwer zu akzeptieren, aber ich weiß auch, dass sich da vieles relativieren kann und man sich auf anderes konzentriert.

Deine Berichte sollten von allen gelesen werden, weil es alle angeht: Jeder kann selbst als Gast in ein Hospiz kommen und einen Angehörigen dort haben. Es muss vor allen den Angehörigen klar sein, dass ihr zwar das Pflegepersonal seid, aber dass das niemanden dazu berechtigt, mit euch respektlos und überheblich umzugehen.

Wenn du weiterhin Berichte verfasst, werde ich sie gern lesen.
Bügel-BHs sind Krieg!
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