Schnabelrock hat geschrieben: Meine Hypothese ist eher, dass Erdogan und der bei SPON in dem Zusammenhang erwähnte Putin die Gemeinsamkeit haben, in ihren Ländern reichlich vorhandene, nationalistische und minderheitenfeindliche Stimmungen zu reiten, zu fördern und mit ihnen zu arbeiten. Tatsächlich ist das in vielen Ländern ein probates Mittel, über 50% Zustimmung zu erreichen und dann sehr plakativ auf Demokratie und Volkswillen zu verweisen. Andere unverzichtbare Bestandteile wie Minderheitenschutz werden im Zuge einer solchen Regierungsweise einfach als "vom Volk unerwünscht" weggefegt.
Der Unterschied zwischen beiden ist imo, dass Putin ein sehr kühler Kalkulator ist, der auf diese Weise bestimmte Ziele erreichen will, ohne sich persönlich in einem Dauerzustand nationaler und egozentrischer Überhitzung zu befinden. Bei Erdogan wirkt das anders.
Das trifft zu 90% das, was ich so denke.
Nationaltralala rausholen, gegen alles stänkern, was nicht dem Nationalmainstream entspricht, und man hat eine Machtbasis, mit der man rücksichtslos regieren kann. Dazu halt die "starker Mann"-Karte, und eine unangenehm enge Bindung an die Mainstreamreligion vor Ort, die, wie halt immer, sich gerne an den starken Mann kuschelt und keinen Hauch von ethischem Handeln oder Denken erkennen lässt.
Persönlich sind das zwei völlig verschiedene Charaktere, und deshalb ist auch ihr Vorgehen anders. Putin ist der kalkulierende Machtmensch, er verlässt sich vorrangig auf seine alten KGB-Genossen, und lässt ansonsten die Provinzfürsten regieren, so lange sie keine größeren Machtgelüste zeigen. Mit der dortigen Mafia arrangiert man sich, hin und wieder sind die Verflechtungen arg offensichtlich, aber da der Rest der freien Presse und Opposition sich sofort in Lebensgefahr bringen, wenn sie darauf hinweisen, macht das nichts weiter.
Erdogan ist ein ganz anderer Typ, ein Kalif mit Hang zum Größenwahn. Also bekommen wir da bescheurte, teue Prunkbauten, und irrationale Schläge gegen alles, was der Kalif gerade eben als Bedrohung oder Beleidigung empfindet.
In beiden Fällen ist aber eines jetzt schon klar, das läuft alles nach dem Prinzip "Nach mir die Sintflut". Sobald einer dieser Herren abtritt, stirbt, oder so vergreist das er die Machtfäden nicht mehr ziehen kann, versinkt das Land komplett im Chaos. Siehe Chavez, um nur das letzte Beispiel zu nennen.