SPEAK TO ME
Auf den nun folgenden zweiten Teil der Show war ich besonders gespannt, denn ich wusste bereits, dass bei dieser Show das komplette 'The Dark Side Of The Moon'-Album live gespielt und somit in Bild und Ton festgehalten wurde. Viel hatte ich schon von diesem legendären Album gehört und darüber gelesen: Von dem intelligenten inhaltlichen Konzept, ein Album zu schreiben über die Dinge, die uns Menschen kontrollieren, die uns davon abhalten glücklich zu sein und schlimmstenfalls sogar in den Wahnsinn treiben können; von der grenzenlosen Experimentierfreude und dem technischen Aufwand bei den Aufnahmen, meterlangen Tonbändern, die quer durchs ganze Studio reichten und von Hand geschnitten und neu aneinander geklebt werden mussten, und vier Musikern und einem Tontechniker, die zeitweise gleichzeitig mit beiden Händen das Mischpult bedienen mussten; und natürlich von dem überwältigenden kommerziellen Erfolg: 15 oder 16 Jahre am Stück (!) in den Charts und zweiterfolgreichstes Album aller Zeiten. Ich war fasziniert, dass ein offensichtlich derart experimentelles und inhaltlich anspruchsvolles Album auch kommerziell derart abräumen kann. Aber ich hatte bis auf ein paar einzelne Durchläufe von "Time" und "Money" noch keinen Song bewusst gehört. Dies sollte sich nun endlich ändern...
Bei allmählich dunkler werdendem Hallenlicht erklingt ein Sample menschlichen Herzschlags, das sich durch die gesamte das Album und den zweiten Teil der Show einleitende Soundcollage "Speak To Me" zieht. Leise zischende Synthietöne, die von links nach rechts wandern, dazu erscheint auf dem runden Bühnenbildschirm passend zum Herzschlag eine Art verfremdete EKG-Kurve. Dann die Stimme eines Mannes: "I've been mad for fuckin' years, absolutely years..."; und auch hier kannte ich schon die Hintergrundgeschichte. Roger Waters hatte seinerzeit die Idee, Mitglieder des Studiopersonals und anderer dort aufnehmender Bands mit Fragen passend zum Albumkontext zu interviewen wie "Hast du Angst vor dem Tod?", "Hattest du jemals das Gefühl verrückt zu werden?" oder "Warst du schonmal gewalttätig?". Teile der Antworten sollten dann für das Album Verwendung finden. Es wurde wohl sogar Paul McCartney interviewt, doch seine Antworten tauchen auf dem Album nicht auf.
Das Resultat in "Speak To Me", für das laut Songcredits Nick Mason verantwortlich zeichnet, ist schonmal absolut beeindruckend. Zum Einen ist es natürlich ein cooler Gedanke, dass eines der kommerziell erfolgreichsten Alben der Geschichte mit den Worten "I've been mad for fuckin' years" beginnt.
Zum Anderen verbreiten diese sich mehrfach wiederholenden Samples eine eigentümliche Atmosphäre und ziehen einen direkt in den Sog des Albums. Eine zweite männliche Stimme kommt hinzu: "I know I've been mad, I've always been mad...", und immer wieder wechseln die beiden Samples sich ab, mal laut und mal eher leise im Hintergrund. Dazu immer wieder irgendwie zischende und blubbernde Synthies und der allgegenwärtige Herzschlag. Auf dem Bildschirm taucht nun ein menschliches Auge auf, an das immer weiter herangezoomt wird. Schließlich kann man in der Iris allmählich einen Sternenhimmel erkennen, während die Pupille passend zum Albumtitel zum Mond wird. Die Synthies schwellen an, unterlegt von einem Sample eines schrill-wahnsinnigen menschlichen Aufschreis, und der erste "richtige" Song beginnt.