Woe To You, Oh Earth And Sea... Der Maiden-Seziertisch

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hellj
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Re: Woe To You, Oh Earth And Sea... Der Maiden-Seziertisch

Beitrag von hellj »

Na dann verpasse ich wenigstens nix, während ich das Gleiche tu....


Hammer!!!

:prost: @ DLH!
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David Lee Hasselhoff
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Re: Woe To You, Oh Earth And Sea... Der Maiden-Seziertisch

Beitrag von David Lee Hasselhoff »

DerMitDemHut hat geschrieben:Ihr werdet in diesem Thread nie wieder eine Rezension von mir lesen. Ich werde den Rest meines Lebens 2048 in der Ed-Version durchzocken... :D
[Vader]Noooooooooooooo!!![/Vader]

:heul:
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metalbart
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Re: Woe To You, Oh Earth And Sea... Der Maiden-Seziertisch

Beitrag von metalbart »

Ich les grade die Dickinson-Biografie und hab mal wieder Bock auf Maiden hören und den Thread hier lesen.
Die Martin/Marvin Episoden über zerkloppte Mischpulte sind schon großartig.
Der wär doch viel zu schade für den Daten Lokus.
Kann man den mal rüberschieben und für die Nachwelt konservieren?
Perry Rhodan
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Re: Woe To You, Oh Earth And Sea... Der Maiden-Seziertisch

Beitrag von Perry Rhodan »

DerMitDemHut hat geschrieben:Für die folgende Review werden mich vielleicht einige Leute geisseln, die jetzt was ganz Großes erwartet haben. Um Rosinenpickerei zu vermeiden, komm ich nicht umhin, auch die angeblichen "Stinker" in der Maiden Discographie zu rezensieren.

VIRTUAL XI

Erschienen am: 23.03. 1998
Produzent: Steve Harris
Studio: Barnyard Studios, Essex
2nd Engineer: Nigel Green
Cover: Melvin Grant (click)



Wir Alle wissen ja, dass dieses Album hier im Forum, aber auch bei eingefleischten Maidenfans keinen sehr guten Stand hat. Es wirkt auf den ersten Blick vor Allem auch im Vergleich zu den Überalben aus den 80ern ziemlich flach und uninspiriert, vor Allem zu sehr auf Nummer Sicher gehend.

Als Fan muss ich dennoch eine Lanze für dieses Album brechen. Ich habe es ziemlich genau am Tag des Erscheinens gekauft, aber das war eher Zufall. Ich war in der Stadt unterwegs, weil ich mir beim HNO Arzt meine Ohren habe durchspülen lassen. Danach war ich ziemlich erleichtert von der Last an Ohrenschmalz und konnte so gut hören, wie Monate zuvor nicht mehr. Da ich keine Lust hatte, lange auf den Bus zu warten, bin ich ziemlich orientierungslos zu Karstadt in die CD Abteilung gegangen, wo ich dieses Album entdeckt habe. "Was? Maiden haben eine neue Scheibe draussen? Mit Blaze Bayley schon wieder? Hoffentlich ist die besser, als das trostlose The X Factor". So weit so gut. Als Virtual XI herausgekommen ist, kannte ich alle Maiden Alben, die bis einschliesslich The X Factor erschienen sind und war mit The X Factor alles andere als zufrieden. Aber das ziemlich farbenfrohe und detailverliebte Cover von Nigel Green, wahrscheinlich eines der komplexesten und vielschichtigsten Cover aller Maiden Alben aus den 90ern, stimmte mich sehr neugierig und optimistisch. Gesehen, angeschaut, gekauft. Ich glaube, es waren 15 DM, die ich damals investiert habe. Ja, damals hatte Karstadt noch eine sehr ansehnliche Musikabteilung, sogar in so einer provinziellen Stadt wie Bottrop.

Zu Hause dann habe ich wie ein Wilder die Plastikfolie abgerissen, ne Packung Duploriegel in meine pubertäre Kauleiste geschoben und gebannt mit dem Booklet in der Hand die Texte gelesen und die Musik verfolgt, die sehr viel leichtfüssiger, optimistischer, farbenfroher und maiden-hafter daherkommt, als das damals in meinen Augen viel zu depressive und traurige X Factor.

1. Futureal hat mich als knackiger, kurzer und schneller Opener sofort überzeugt. Direkt in die Fresse, agressiv und zugleich hochmelodisch. Kein brutaler Brecher wie Be Quick Or Be Dead, sondern schon etwas präziser und im Vergleich zu allen Songs von The X Factor ein Sonnenstrahl und Befreiungsschlag. Ich glaube, er ist neben Wrathchild der kürzeste Maidensong, in dem Gesang vorkommt. Ich finde den Song auch heute noch sehr erfrischend und geil. Leider fast schon zu kurz, ein paar Sekunden länger hätte das Solo schon ruhig dauern können. Kein Intro, kein Outtro. Zack! Schnelle Gitarrenläufe, Strophe, Refrain, Strophe, Refrain, Solo, Refrain. Zack, Ende. Fast schon unfassbar konventionell, aber effektiv. Für mich ist Futureal das Aces High der 90er mit einer beinahe symmetrischen Struktur. 9,5/10. Zurecht haben Maiden den nach der Reunion mit Bruce auch noch live gespielt und können es irgendwann gerne wieder mal tun.

2. The Angel And The Gambler. Ich glaube, es gibt keinen kontroverseren Song, kein Maidenstück, an dem sich die Geister der Fans so sehr scheiden, wie an diesem. Ich finde ihn unbekümmert und fröhlich, aber eindeutig zu lang. Die Hammondorgel wurde ja bei Maiden nicht sehr oft eingesetzt, lediglich bei Afraid To Shoot Strangers nach dem Gitarrensolo einmal. Hier hat Steve Harris bewusst dieses Stilmittel eingesetzt, um ein lässiges 70er Feeling heraufzubeschwören. Insgesamt ein sehr traditioneller Rock N Roll Song mit einigen leichten Tempowechseln, größtenteils im Midtempobereich vor sich hin treibend. Den "Don't You Think I Can Save Your Life" Part hätten die sich nicht unbedingt sparen können, in dieser Ausführung ist er aber eindeutig zu oft wiederholt und bis zum Exzess breitgetreten. Da wäre Weniger wirklich sehr viel mehr gewesen. Die Soli klingen sehr rockig und rotzig und nicht wirklich nach der klassischen Maidenpentatonik. Das steht dem Song so auch sehr gut zu Gesicht. Harris streift hier die Kitschgrenze wie seit Quest For Fire nicht mehr und ich kann dem Lied aufgrund der unterträglichen Penetranz der oben kritisierten Passage nur 7,5 / 10 Punkten geben. In einer knackigeren sechsminütigen und strafferen Version würde ich 8,5 Punkte vergeben. Die ausgekoppelte und drastisch gecuttete Singleversion ist definitiv besser, als die Albumversion. Ein Fan auf Youtube hat sich die Mühe gemacht, den Song nach seinem Gusto zusammenzuschneiden. Ist ihm ganz gut gelungen, finde ich. Die Liveversion ist übrigens auch um mehr als zwei Minuten kürzer, als die Studioversion, was aber am wesentlich flotteren Tempo liegt. Auch interessant: click. Hier bekommt man jedenfalls die Gute Laune Attitüde, die der Song versprühen soll, sehr viel besser zu hören.

3. Lightning Strikes Twice macht die kompositorischen Mängel vom Song über den Spieler mehr als wett. Eine herrliche und spritzige Murrray / Harris Komposition, wie wir sie seit Still Life nicht mehr hatten. Insgesamt ähnelt dieser Song seinem Vorbild von 1983 auch, ist aber eine Spur dramatischer und düsterer, dafür rhythmisch nicht ganz so diffizil. Überhaupt hat man auf dem ganzen Album das Gefühl, dass Nicko McBrain mit nur einem einzigen Arm spielt und weit, sehr weit hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Das uninspirierte, nuancenarme Schlagzeugspiel ist schon ein sehr großes Manko auf dem ganzen Album. Wie auch bei Still Life haben wir hier ein sehr ruhiges, getragenes Intro mit einem elegisch-schwelgerischen, wehklagenden Motiv der Leadgitarre, untermalt mit sphärischen Keyboardklängen. Bayley singt hier, wie ich finde, sehr geschmackvoll, auch bei den sehr plötzlich beginnenden lauteren und heftigeren Parts. Da strotzt seine Stimme nur so vor Kraft und Wut. Gefällt mir. Die Soli sind wild und erinnern an die alten Tage, als Maiden noch Stadien vollbekommen haben (und es ja jetzt auch wieder tun). Definitiv eine versteckte Perle im Fundus der Band und wäre unter Garantie auf Piece Of Mind nicht negativ aufgefallen und hätte No Prayer For The Dying sogar bereichert. Fette und mit Wonne vergebene 9 /10! Wer es mir nicht glaubt, möge bitte hier reinhören:

4. The Clansman - hier haben wir ihn. Den meiner Meinung nach allerbesten Maidensong der 90er, vielleicht sogar bis jetzt noch den besten, epischsten, ergreifendsten, vielseitigsten Maidensong seit Ende der 80er. Hier passiert viel, hier wird eine cineastische Breitwandstimmung heraufbeschworen, was ja auch gar nicht so weit hergeholt ist: Brave Heart kam kurz vorher in die Kinos und wieder musste Harris eine Kinovorlage in einem Song verwursten. Kompositorisch wird hier auf allerhöchstem Niveau agiert. Langsames, keltisch anmutendes und wirklich zauberhaft schwelgerisches Intro, was aber bei weitem nicht so aufgesetzt wirkt, wie bei vielen aktuelleren Maidenkompositionen. Blaze Bayley singt hier die ruhigen Parts so tief, voluminös und geheimnisvoll, wie Bruce es meiner Meinung nach nicht könnte. Die Liveversion von Clansman mit Bruce von der Rock In Rio finde ich bei weitem nicht so atmosphärisch, wie die Studioversion. Ich glaube, drei Minuten dauert es, ehe sich die Spannung nach den Spielereien der Einleitung in einem Riffgewitter erlebt, wie ich es auf The X Factor vermisst habe. Maiden klingen hier wieder annähernd, wie in den 80ern und das auch ohne Bruce. Blaze Bayley mag nicht so einen theatralischen Stimmumfang aufweisen, wie Bruce, aber hier zeigt er sein wirklich beeindruckendes Können. Schlecht klingt seine Stimme nur, wenn er verzweifelt versucht, die alten Kamellen aus den 80ern live zu singen, was vor Allem bei Songs wie The Trooper oder Heaven Can Wait grauenvoll in die Hose gehen muss. Aber hier ist seine Stimme wirklich ohne Fehl und Tadel und passt wie Arsch auf Eimer, Faust aufs Auge oder Nickos Nase gegen Baseballschläger. Großartige Melodien, hymnischer Refrain und tolle Soli. So wollte ich Maiden damals immer haben. Geilerei ohne Ende. Ich kann diesem Song nicht weniger als 10/10 Punkten geben und verbitte mir jede Unterstellung, ich würde an dieser Stelle übertreiben. Der Song ist als Song einfach nur spitze, Steve Harris hat sich wirklich übertroffen. Ende im Gelände!

5. When Two Worlds Collide - wieder eine Dave Murray Nummer, diesmal in Kooperation mit Blaze Bayley geschrieben. Auch dieser Song beginnt sehr ruhig und stimmungsvoll, rhythmisch durch blubbernden Bass und Gitarrengefrickel wesentlich flotter anmutend. Die Keyboards sind etwas penetrant, aber der Song gewinnt sehr schnell an Fahrt und entwickelt sich zu einem respektablen Midtempostampfer mit Galopprhythmus und Hoppel-Galoppelgitarren. Herrlich Oldschool, aber leider wirkt das etwas aufgesetzt für mich. Was mich stört, ist die ewige Wiederholung des "When Two Worlds Collide, The Anger The Pain, So Who Will Survive..." Refrain am Ende, wie auch bei The Angel And The Gambler bereits schon. Ab Minute 2:20 haben wir dann sehr keltisch anmutende Harmonien, die von Jethro Tull hätten stammen können, unterlegt von einem wirklich groovigen Bonanza-Galopp, gefolgt von fetzigen Riffs und ziemlich entfesselten Soli, die vor Allem Dave Murray ganz vorne in Szene setzen, Janick Gers aber etwas orientierungslos herumfuhrwerkend zeigen. 6:18 dauert das Stück, um eine Minute gekürzt auf knappe 5 Minuten würde mir nichts fehlen. Keine Übernummer, aber auch Alles andere als schlecht. Der Refrain wird nur einmal zu oft breitgetreten um an Eingängigkeit das Wett zu machen, was viele Fans offenbar bei The X Factor vermisst haben. Steve und Co übertreiben es hier einfach nur mit dem nett gemeinten Zuckerguss. 7,5 /10 Punkte, ohne die nervige Penetranz des Refrains könnte ich 8,5 Punkte geben. Schade, gleiches Dilemma eben wie bei TAATG.

6. The Educated Fool greift dann die düster keltischen Clansman Motive wieder auf. Ein sehr nachdenklicher und ausserordentlich progressiver Song, der von allen Songs auf der Virtual XI am ehesten auch auf die X Factor gepasst hätte. Ich finde den Song ziemlich stark, aber er leidet wie auch The Angel And The Gambler oder When Two Worlds Collide unter einer Wiederholung zuviel. Rhythmisch schlägt man hier einige Widerhaken, die Strophen werden sehr kraftvoll von Bayley intoniert und das Riffing ist hier auch sehr überzeugend. Die Melodiebögen haben stellenweise wirklich Infinite Dreams / Clansman Charakter. Im Text finde ich mich übrigens zu 100% wieder. Bildung und Wissen scheinen einen im Leben nicht so sehr voranzubringen, wie Instinkt. Sehr philosophisch. Etwas straffer gehalten würde ich diesem Song gut und gerne 9 Punkte geben, so verbleibe ich bei 8,5 Punkten, weil Harris und Co einfach mal wieder nicht wissen, wann Schluss ist. Die Soli sind hier auch mehr als überwältigend und endlich zeigt Janick Gers auch mal, was er kann und fuhrwerkt nicht so ziellos herum, wie an anderen Stellen des Albums. So einen Song sollte man auch nur Blaze Bayley vorbehalten. Dickinson möchte ich das niemals singen hören. Ah mist. Tut er doch, fünf Jahre später bei No More Lies *g*

7. Don't Look To The Eyes Of A Stranger scheint ja bei den wenigen Leuten in diesem Forum, die Virtual XI mögen, ein ziemlicher Geheimtip zu sein. Von Allen Songs ragt er hier hinsichtlich seiner Struktur und vor Allem seines Anfangs am meisten heraus, allerdings halte ich ihn dennoch für einen der Tiefpunkte auf dem Album. Ich weiss, dass ich dafür mit Sicherheit wieder Ohrfeigen kassieren werde, aber Nicko McBrain liefert hier erstaunlicherweise seine wohl allerschwächste Leistung seiner so hochgerühmten Drummerkarriere ab. Angefangen mit einem Riff, das auf abgedämpften Seiten gespielt wird und sich sehr heimlich in die Ohren des bemitleidenswerten Hörers schleicht, wird hier das Motiv von der Angst im Dunkeln und der Angst vor fremden Leuten nochmal aufgegriffen. Die Keyboards wirken hier leider vollkommen deplaziert und übertrieben kitschig. Nicko spielt mit einem Arm und auch hier scheint Wiederholung und Redundanz offensichtlich Trumpf zu sein. So würde Phantom Of The Opera klingen, wenn es ein schlechter Song wäre. Ich kann beim besten Willen nicht mehr als 6 /10 Punkten für dieses zugegebenermassen sehr sperrige und mutige, aber doch zutiefst groteske Ungetüm geben. Mich überzeugt er einfach nicht, der Funke mochte nie überspringen. Schade eigentlich. Potential hat er.

8. Como Estais Amigos - Balladen gibt es ja nicht sehr viele im Hause Maiden. Diese hier ist unfassbar schlicht, fast schon zu einfach und zu vorhersehbar, aber aufgrund dessen vielleicht auch so effektiv. Ein sehr trauriger Song, der Blazes Stimme aber zum letzten Mal wirklich toll in Szene setzt. Mich packt Como Estais Amigos immer wieder an den Eiern und rührt mich zu Tränen. Der Minimalismus, die absolute Reduktion auf das Wesentliche machen hier den Blick frei auf die Emotionen, die hier geweckt werden sollen. Viel passiert in diesem Lied eigentlich nicht, es ist vorhersehbar und nicht sehr abwechslungsreich. Aber genau deswegen funktioniert er so gut in seiner schlichten Schönheit. Wenn ich besoffen aus der Kneipe komme und im Dunkeln nach Hause gehe und entweder meinen besten Freund stützen muss oder er mich, gröhlen wir lauthals dieses Lied. Janick Gers hat hier seinen einzigen Beitrag zum Album geleistet. Ein recht schönes Ausrufezeichen und ein würdiger Abschied für Blaze, als hätte die Band geahnt, dass diese Ehe nicht lange halten würde. 8,5 /10

In Gesamtbetrachtung gebe ich solide acht Punkte. Das Album hat eine Spieldauer von 53 Minuten, von denen man wirklich rigoros zehn Minuten hätte wegstreichen und abschneiden können, ohne das signifikant etwas fehlen würde. Dadurch wäre das Album stringenter, knackiger und weniger ermüdend. Wir haben hier acht Songs, wie bei fast allen Alben aus den goldenen Jahren der 80er und eine Piece Of Mind / 7th Son artige Spielzeit von 43 Minuten hätte diesem Album sehr viel besser zu Gesicht gestanden, als die substanzlose, endlose Refrain-Warteschleife bei einigen Songs.

Ist es das schlechteste Maidenalbum? Vielleicht. Aber ich mag es dennoch, da es nach dem deprimierenden, niederschmetternden The X Factor Trauma für mich damals wie eine Erlösung und wie ein Befreiungsschlag war und ich Maiden so zu hören bekam, wie ich sie mir eigentlich gewünscht hatte. Dass The X Factor objektiv gesehen das weit bessere, mutigere und reifere Album ist und es auch bei mir in der Gunst erheblich gewachsen ist, ein echter Grower sozusagen (der war für Dich, Sambora), tut dem keinen Abbruch. Maiden gingen hier nach der Schelte auf Nummer sicher und wurden zu einem Selbstplagiat auf recht hohem Niveau. Diese schamlose Selbstkopie und Stagnation mag man ihnen Übel nehmen, mutig und verwegen ist keine Komposition auf diesem Album. Das ändert nichts daran, dass man nichtsdestotrotz viel Spass damit haben kann, wenn man es losgelöst von der Discographie der Band unvoreingenommen anhört. Irgendwie ist hier die Essenz von Maiden so gut herauskristallisiert, wie bei keiner Maidenscheibe aus den 90ern. Es klingt mehr nach Maiden, als No Prayer For The Dying oder Fear Of The Dark, aber das gewisse Etwas fehlt. Steve Harris hat das Album in Eigenregie produziert in seinem Hinterhof-Kabuff in Essex und dementsprechend flach und fade klingt es in seinem Sound auch. The Clansman, Lightning Strikes Twice und Futureal aber rechtfertigen definitiv eine Anschaffung, denn die Liveversion wird der Studioversion nicht gerecht. Ich glaube, Maiden haben dieses Album dringend für sich selbst benötigt, um sich auf sich selbst und ihre Trademarks zu besinnen, von denen man auf The X Factor trotz großartiger Songs nicht viel hören konnte. Maiden wollten wissen, ob sie noch Maiden sind und ob es Sinn macht, mit Blaze weiter zu arbeiten. So sehe ich Virtual XI
Ich höre "VIRTUAL XI" schwächer als du! Ich tendiere zu 7/10 Punkten/Sternen. Was ja so schlecht nicht ist!
Den Opener `Futureal` kann ich empfehlen. `The clansman` ist stark. Auch `Como Estais Amigos` ist gut. Hätte Bruce D. die Platte eingesungen und hätte man 7-10 Minuten gekürzt, wäre der Eindruck sicher besser.
Somit verbleibt eine noch gute Maiden-Platte, die mir besser gefällt, als z.B. die langweiligen letzten Platten.
So höre ich das!
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Perry Rhodan
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Re: Woe To You, Oh Earth And Sea... Der Maiden-Seziertisch

Beitrag von Perry Rhodan »

DerMitDemHut hat geschrieben:
IRON MAIDEN

11.04. 1980

Produzent: Will Malone
Tontechniker: Martin Levan
Studios: Kingsway Studios, London
Cover: Derek Riggs

Das Debut meiner Lieblingsband musste lange Zeit in meiner Plattensammlung das gleiche Schicksal teilen, wie Piece Of Mind. Ich hatte es auf Vinyl und kannte einzelne Songs als Liveversionen von Live After Death und A Real Dead One, hab aber im Original keinen Ton der Scheibe gehört mangels Plattenspieler. Bei Songs wie Phantom Of The Opera oder Strange World habe ich mir in meiner kindischen Birne die seltsamsten Sachen zusammenphantasiert. Bei Phantom Of The Opera ging das bei mir in eine ähnlich düstere und getragene Richtung wie Hallowed Be Thy Name. Ihr könnt Euch vorstellen, wie überrascht ich gewesen bin, als ich dann den Song auf der CD zu hören bekam. Gekauft habe ich die CD 1999 bei WOM in Kiel, nur wenige Wochen nach Piece Of Mind und fünf Jahre, nachdem ich das Album auf Schallplatte bekommen habe – mein damaliger Schulfreund hatte die doppelt. Als Gegenleistung hab ich ihm seinerzeit eine gemischte Tüte Weingummi und Lakritz und Micky Maus Hefte aus der Trinkhalle meiner Mutter abgezweigt – ein ordentlicher Kiosk gehört halt zum Ruhrpott dazu. In diesem Kiosk kam ich Jahre zuvor als 6 Jähriger in Berührung mit Musikzeitschriften wie dem Metal Hammer oder dem Rock Hard – und, was noch viel wichtiger war für meine musikalische Enwicklung, Leuten, die solche Hefte kauften. :-D Wenige Monate später hat meine Mutter die Bude verkauft, weil sie keine Lust mehr hatte – die nachfolgenden Besitzer sind mit dem Laden dann auch finanziell baden gegangen. Meine Mutter kam immerhin noch mit schwarzen Zahlen aus der Sache heraus. Wo war ich? Ach ja. Weingummi – Schulfreund – Iron Maiden Platte.... Das Ding hing jahrelang über meinem Bett und jahrelang kannte ich keinen Ton. Eine Schande. Vom Sound her habe ich etwas ähnlich energetisches wie Killers erwartet. Druckvoll mit ordentlich Schmackes. Auch da habe ich mich getäuscht. Aber ich war jung, dumm, naiv und unwürdig. Das Cover fand ich absolut faszinierend – eine Ur Version meines geliebten Eddie. Kein Satan, kein Blut, keine Axt, kein Dreizack, kein lobotomisierter Schädel und keine Cyborg Implantate. Einfach nur Eddie, wie er unschuldig vor ner versifften Mauer im londoner East End steht. Das hatte was unbekümmertes, erfrischendes. Seine Frisur sah aus, als hätte er in eine Steckdose gegriffen oder sei grade aus dem Bett aufgestanden. Der Song Sanctuary war da übrigens noch nicht drauf und er hätte mir auch ehrlich gesagt nicht gefehlt. Das neue Cover des 1998 Re-Releases ist digital überarbeitet worden, um Eddie plastischer erscheinen zu lassen, hat aber in meinen Augen leider keinen Charme. Gut, dass man das nicht mit allen anderen Alben gemacht hat.

In grauer Schrift wieder Links zu interessanten Hörbeispielen oder Coverartworks, anklicken lohnt sich!

1. Prowler – als Liveversion von der A Real Dead One war mir dieser Song bekannt und hat mir damals schon gefallen. Ich wollte aber wissen, wie sich der allererste Maidensong überhaupt mit der Originalstimme von Paul anhört. Ein herrlich knackiges und erdiges, leicht punkiges Anfangsriff, welches sich Gitarrist Dennis Stratton aus den Händen geschüttelt hat und dazu das wirklich wilde, urwüchsige mit Wah-Wah Effekten gewürzte Gitarrenmotiv Dave Murrays haben mich ziemlich weggeblasen. Paul orientiert sich mit seiner Gesangsmelodie an genau diesem Gitarrenmotiv. Vom Klang her war mir das nicht heavy genug, da ich ja den Sound von Killers und Number Of The Beast noch im Kopf hatte. Etwas ähnliches habe ich da auch erwartet und somit war ich ein wenig enttäuscht. Das Lied versprüht nichtsdestotrotz eine unberechenbare, von seiner Attitüde her ziemlich brutale und gefahrvolle Aura. Über den ziemlich infantilen Text decke ich mal den Mantel des Schweigens. Aber die unverwechselbaren Trademarks der Band deuten sich hier bereits an, zahlreiche Breaks, großartige Soli und Riffs. Clive Burr trommelt noch nicht ganz so souverän, wie ein Jahr später auf der Killers, aber all die Mankos, die ich dem Album ankreiden würde, müsste man Produzent Will Malone anlasten und nicht der Band selbst. Auf der legendären, unbezahlbaren, vergriffenen Soundhouse Tape Demo von 1979, dem heiligen Gral des Maidensammlers, gibt es eine frühe Version von Prowler, die etwas langsamer ist, als auf dem Album, aber wesentlich räudiger und gnadenloser daher kommt. Paules Stimme klingt dort wesentlich weniger punkig und deswegen geiler, am Schlagzeug spielte noch nicht Clive Burr, sondern Doug Samson, wenn ich mich nicht irre. 9,5 / 10

2. Remember Tomorrow – auch hier waren mir bereits zwei Liveversionen bekannt: Ebenfalls von der A Real Dead One (für mich das mit Abstand schwächste Live Album von Maiden mit einem Bruce, der einfach keinen Bock mehr hatte) und von der Number Of The Beast Single B-Seite (auch mit Bruce, aber dort sehr viel packender!). Der Song hat was sehr verträumtes und balladeskes am Anfang. Der Refrain, den es so gar nicht gibt, besteht aus einem sehr schweren Riff, das die ruhigen und sehr gelassenen, entspannten Strophen drastisch kontrastiert und wie eine Eruption aus dunkelroter Lava wirkt. Der schnelle Mittelpart geht dann ab wie Schmidts Katze und zum bersten prall voller Wut, Energie und Dynamik. Hier sind es die Soli von Dave Murray, die deutlich hervorstechen. Die Soli von Dennis Stratton gehen in eine sanftere Richtung und wenn er mal was schnelleres spielen muss, wirkt er irgendwie überfordert. Aus diesem Grund und weil er nicht zu 100% hinter der Band stand, musste er für Urchin Gitarrist/Sänger Adrian Smith Platz machen, der Maiden nochmal einen Energieschub gebracht hat auf der Killers. 9,5/10 für diesen geilen frühen Beweis maidenscher Klangkunst. In der Liveversion von der Maiden Japan von 1981 gefällt mir dieser Song am besten. Sowohl die rohe Power, als auch die verquarzte Stimmung in den ruhigen Parts kommen dort sehr viel besser rüber – 10/10.

3. Running Free war mir natürlich auch schon bekannt. Toller und lässiger Drum-Shuffle von Clive Burr, tolles Riff und ein Text über rebellierende Teenager. Damit konnte ich mich in den Nachwehen meiner Pubertät ausserordentlich prima identifizieren. Das Lied hat ein paar schöne und harmonische Twin Guitar-Läufe vor der dritten Strophe aber kein richtiges Solo. Ein paar Breaks auf den Toms würzen das ganze nochmal. Der Refrain ist natürlich eine eingängige Hirnfräse, hier begleitet von ungewöhnlichen Harmony-Vocals von Steve und Dennis Stratton, die dem ganzen auch noch einen dezent poppigen Appeal verschaffen. In der Studioversion für mich aber nur 7,5/10 Punkten. Am ehesten ziehe ich hier die überragende und brachiale Liveversion von Beast Over Hammersmith vor. Hier wirkt mir dieser Song etwas zu zahm, wieder ein Manko des Mixes.

4. Phantom Of The Opera – was habe ich diesem Moment entgegengefiebert, den Song in seiner natürlichen Pracht geniessen zu können – erwartet habe ich etwas düsteres und angsteinflössendes. Das bekam ich hier natürlich nicht geboten. Dafür wirkte der Song zu fröhlich auf mich. Gefallen hat er mir dennoch sofort, ich wurde weggeblasen vor der urwüchsigen Energie, die mit einer beeindruckenden, verspielten Virtuosität eine unheilige und untrennbare Symbiose eingegangen ist. Ein sehr komplexes Anfangsriff aus Gitarre und Bass, danach ein irrsinniger Ab durch die Mitte-Nackenbrecher: Der Song reisst einem nicht nur den Schädel ab in seiner Schnelligkeit, was Murray und Stratton hier an der Gitarre zaubern, ist atemberaubend, erhaben und erinnert in seiner Harmonik ein klein wenig an Victim Of Changes von Judas Priest, nur wesentlich flotter. Achtet bei dem Hörbeispiel - am besten Kopfhörer verwenden- mal auf die Gitarren. Der rechte Kanal ist Dennis Stratton, der Linke ist Dave. Man merkt deutlich, dass Stratton mit dem hohen Tempo des Songs ein paar Probleme hat und das schnelle Riff etwas holprig spielt. Dave macht das ganze viel lockerer, flüssiger und seine Gitarre klingt auch härter. Leider ist Daves Gitarre hier etwas leiser abgemischt, als die von Dennis. Dass Steve Harris hier natürlich nicht nur den Rhythmus, sondern wie später bei To Tame A Land auch den Ton angibt und die Gitarren seinen filigranen Bassläufen teils improvisierend folgen, ist mir erst später wirklich bewusst geworden. Von schneller als die Polizei erlaubt, über langsam und gemütlich treibend, bis stramm im Midtempo stampfend und marschierend bietet dieser Song im Tempo an Abwechslung und Dynamik alles, um vom sich vom Schleudertrauma kurz zu erholen und sich danach weiter seinen Kopf von der Wirbelsäule zu schrauben. Die sehr schönen Harmony Vocals von Dennis Stratton, die einen interessanten Kontrast zu Pauls Stimme bieten, sind auch mehr als nur eine Erwähnung wert. Diese Harmony Vocals waren für Steve allerdings ein rotes Tuch und einer der Gründe, warum er Stratton später rausgeworfen hat. So, weiter: Kein Song auf dem Debutalbum nimmt so deutlich und prägnant die Richtung vorweg, die Maiden in den 80ern eingeschlagen haben. Progressivität, Epik, Erhabenheit, Dramatik, Theatralik, ausladendes, virtuoses Solieren auf den sechs bzw. vier Saiten und rhythmisch Alles ausser monotonem Autopiloten, wie etwa bei Priest. Das ist der definitive Maidensong und von den monumentalen und opulenten Epen aus der Feder Steve Harris der mit Abstand schnellste (ausser Where Eagles Dare natürlich). Mehr fällt mir unwürdigen Wurm dazu nicht ein. Zack, Rübe ab. 10 /10 Unzählige Liveversionen gibt es davon und ich kann mich kaum darauf festlegen, welche ich geiler finde. Die vom Marquee Club 1980, als Dennis Stratton noch in der Band war, finde ich sehr geil, hört Euch das einfach mal an. Veröffentlicht wurde diese Liveversion als B-Seite der Woman In Uniform Single. Ich könnte mal einen Sampler mit den unterschiedlichen Liveversionen von Phantom Of The Opera zusammenstellen und ihn stundenlang hören, er wäre nie langweilig, weil jede Version anders klingt und andere Nuancen an diesem Opus Magnum offenbart. Ich glaub, das mach ich wirklich mal, die Tage :pommes:

5. Transsylvania ist dann ein Instrumental, welches mir ebenfalls von der A Real Dead One bekannt war. Während das Album hier eine generell dezent punkige Atmosphäre versprüht, klingt ausser Phantom Of The Opera kein Song so kompromisslos nach brachialem und zugleich hochvirtuosem Metal wie Transsylvania. Ich habe ja bei meiner Review zu Killers angedeutet, dass ich Transsylvania als schwächstes Maideninstrumental ansehe, aber jetzt, wo ich diesen Song nochmal höre, muss ich meine Meinung vielleicht revidieren. Diese Energie, diese unbekümmerte jugendliche Spielweise, die wahnsinnigen und zugleich hochpräzisen Gitarrenläufe und das langsam ausklingende Ende, das in den drauf folgenden Song mündet.... Das ist alles schon sehr beeindruckendes großes Kino, ein knüppelharter Schädelspalter, der auch ohne Texte mehr als eingängig ist und sich in die Hirnwindungen frisst. 9,5/10 Punkten mit Tendenz nach oben. Die Liveversion von der Real Dead One ist dagegen ein reiner Abschiss, die Liveversion von der Beast Over Hammersmith 1982 allerdings sowas von entfesselt, dass sie alles zermalmt und 10/10 Punkten bekäme. Dave kriegt sich an seiner Gitarre gar nicht mehr ein. Junge, Junge :o

6. Strange World – der definitive Kiffersong von Maiden. Unglaublich verträumt und zugleich melancholisch, aber deswegen nicht traurig. Generell ist diese Ballade sehr einfach gehalten, besitzt dennoch eine interessante Dynamik zwischen den schwelgerischen und entspannten Passagen und den lauteren Parts, in Dave Murray seine wohl berührendstes, schönstes und stimmigstes Solo abliefert und aus seiner Gitarre das herauszaubert, was Adrian Smith sechs Jahre später mit Stranger In A Strange Land geschafft hat. Die Vereinigung von Herz und Hirn, Seele und Verstand und zu Herzen gehenden Melodien. So emotionale Soli gab es bei Maiden nicht oft zu hören. Mir fallen da nur Stranger In A Strange Land und Prodigal Son ein, mit Abstrichen noch 22 Acacia Avenue und Alexander The Great. Hier beweisst Dave Murray, was für ein Talent er hat. Maiden haben ja nicht sehr viele Balladen geschrieben. Das mussten sie auch nicht. Mit Strange World haben sie DIE Ballade schlechthin abgeliefert. Prodigal Son finde ich zwar eine Spur stimmiger, aber auch hier kann ich nicht weniger als 9 / 10 Punkten vergeben. Große Emotionen, großer Herzschmerz-Pathos fernab vom Kitsch.

7. Charlotte The Harlot – was in knapp viereinhalb Minuten an Ideen und Breaks, Stimmungen und Dynamik reingestopft werden kann, findet man hier. Nach dem sehr rührseligen Strange World haben wir hier eine unbekümmerte Nummer, die beinahe fröhlich beginnt mit einem Unisono Riff aus Gitarre und Bass. Der Bass trägt auch hier wieder die Melodie. Harris eben, dabei stammt die Komposition nicht aus seiner Feder, sondern alleine aus der Hand Murray. Dave Murray hat danach auch nie wieder alleine ein Lied für Maiden geschrieben, sondern immer in Kooperation mit Steve oder Bruce. Aber die wenigen Nummern, die auf seinen Mist gewachsen sind, kann man eh an zwei Händen abzählen, die aus den 80ern sogar nur an einer. Der ruhigere Mittelpart mit den verträumten und balladesken Gitarren und dem sehr rührenden Gesang Di'annos gefolgt von einem furiosen Parforceritt, wo Murray wieder so entfesselt und fuchsteufelswild wie ein von der Tarantel gestochener Irrer zockt, wie vorher bei Prowler, gefällt mir am Besten und wiegt die etwas einfallslosen Strophen wieder auf. 8 /10 für diese Nummer. Die Neueinspielung mit Bruce für die Evil That Men Do Single ist dagegen ein lauer Pups und bekäme von mir nur 7/10

8. Iron Maiden – ja. Das Titellied halt. Vom Album und von der Band. Der Text ist natürlich reiner Kinderkram und nicht wirklich ernst zu nehmen. Das gigantische Riff, der aussagekräftige Refrain (where ever you are – Iron Maiden is gonna get you – no matter how far!), die kompromisslos drauf los dreschenden Drums von Clive und die herrlich progressive und zugleich kurze und knackige Einlage am Bass im synkopierenden Mittelpart machen auch diesed Lied zu einem abwechslunsgreichen Leckerbissen. Viel mehr gibt es da eigentlich nicht zu beschreiben. Bis auf den Text und der Tatsache, dass nach dem halsbrecherischen Mittelteil der Song einfach nur 1:1 wiederholt wird gibt es nicht viel dran auszusetzen. Maiden waren damals einfach räudige Hunde, die hungrig waren. Hier hört man es. Wirklich interessant ist, dass das markante Jahrhuntdertriff in einem ganz anderen Tempo gespielt wird, als Schlagzeug und Bass. Letztere plästern mit einem Affenzahn auf der Linken Spur an Allem vorbei und die Gitarren spielen das Riff einfach vollkommen stoisch und komplett ohne Hektik weiter, als seien Drums und Bass nicht vorhanden. Das nenne ich mal lässig. Wie auch bei Prowler möchte ich Euch die sehr rohe Soundhouse Tapes Fassung hier nicht vorenthalten. 9/10. In der Live After Death Fassung für mich immer noch am Beeindruckendsten. Live ist dieser Song der Moment, wenn Eddie kommt. Ich meine den großen Eddie im Hintergrund, nicht der Stuntman, der sich auf der Bühne lächerlich machen muss.

Aus der Reihe fällt dann noch das Lied Sanctuary. Ursprünglich war dieses Lied auf dem Album nicht drauf, sondern wurde nur separat als Single rausgebracht mit sehr kontroversem Cover (Eddie sticht die eiserne Lady Margaret Thatcher ab) und fand in einer etwas anderen und in meinen Augen besseren Version noch Eingang in den legendären Metal For Muthas Sampler, der Maiden einen weiteren Popularitätsschub gebracht hat. Ich persönlich mag wegen des sehr punkigen Sound und des in meinen Augen zu simplen Aufbaus den Song nicht so wirklich. Seine wahre Energie entfaltet und entfesselt er vor Allem live. Das Riff erinnert an Mob Rules von Black Sabbath, nur dass es vorher schon da war. Iommi, dieser dreiste Dieb. Mob Rules wurde übrigens von Martin Birch produziert. 6,5/10 leider nur für mich. Das werde ich aber in die Gesamtwertung nicht mit einbeziehen.

Insgesamt sind 9 Punkte für dieses Album eine angemessene Benotung. Killers finde ich nach wie vor besser, da metallisch klingender, weniger punklastig. Denn Maiden wollten nie eine Punkband sein, auch wenn es auf dem Debut stellenweise so rüber kommt. Ich wage es gar nicht, mir auszumalen, wie das Album klingen würde, wenn wie ein Jahr später bei der Killers Martin Birch an den Reglern gesessen hätte. Steve Harris ist mit dem Debut klangtechnisch auch nicht wirklich zufrieden, die Gitarren klangen ihm nicht heavy genug. Will Malone hat irgendwann mitten im Aufnahmeprozess das Interesse verloren, die Band alleine gelassen und der Rest der Band hat sich dann selbst hinter die Regler gesetzt. Wir wissen ja von Virtual XI, was für ein talentierter Produzent und Mischer Steve Harris ist....Die Energie, die diese Band live auf der Bühne entfesselt hat, wird hier leider nur angedeutet und auf der Killers sehr viel deutlicher eingefangen. Sonst könnte ich auf 9,5/10 aufrunden.

Weitere interessante und spannende Informationen und Hintergründe zu diesem Album könnt ihr HIER nachlesen. Darunter auch ein Interview mit Dennis Stratton und Kommentare von Steve Harris zu jedem Song. Auch ich habe dort viele neue Dinge über das Album erfahren und sehe und höre es nun in etwas anderem Licht.

Tolle Rezi, trotzdem bin ich nicht einverstanden.
Wenn man die LP aus heutiger Sicht betrachtet, o.k.
Aber ano 1980 hat uns das Album umgehauen!
Paul Di`Anno hat nunmal eine gewisse Punk-Attitüde...
1980 war Punk noch einigermaßen angesagt...
Das war 1980 die beste Platte, die Maiden aufnehmen konnte!
Aus heutiger Sicht gibt es sicher etwas zu kritisieren,
das ist eben der Unterschied, ob man dabei war, oder erst Jahre später dazu kam.
Keine Kritik, das ist eben halt so.
Ach so, 10/10 für "Iron Maiden"!
Stand for Ukraine UA
Perry Rhodan
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Re: Woe To You, Oh Earth And Sea... Der Maiden-Seziertisch

Beitrag von Perry Rhodan »

DerMitDemHut hat geschrieben:The X Factor

02. Oktober 1995

Die Rezension zu diesem Album ist mir eine ganze besondere Herzensangelegenheit, da ich sehr viele außerordentlich persönliche Erinnerungen, Gefühle und Erfahrungen damit verbinde und es mich auf einer ganz anderen Ebene anspricht, als alle übrigen Alben von Maiden. Ich weiss auch, dass dieses Album weder im Forum, noch in der Fangemeinde von Maiden einen leichten Stand hat, da einfach der falsche Sänger drauf singt. Ich jedoch kann mir dieses Album mit keinem anderen Sänger vorstellen.

Das Album kam 1995 heraus, als ich grade dabei war, die musikalische Genialität von Iron Maiden für mich zu entdecken. Als ich dann erfuhr, dass zu der Zeit Bruce Dickinson gar nicht mehr bei Iron Maiden singt, war ich zutiefst erschüttert. Ich habe grade begeistert meinem Weihnachtsgeschenk 7th Son ausgiebig gehuldet, Moonchild in der Badewanne gesungen und zu Seventh Son Air-Drums gespielt. Dann kam mein hochgradig einfühlsamer Bruder zu mir und sagte mir, dass Bruce Dickinson Iron Maiden verlassen habe und das neue Album mit dem neuen Sänger nun ganz anders klänge, wie er im Metal Hammer gelesen habe. Das hat mich zutiefst erschüttert und ich wollte das nicht wahr haben. Bei Karstadt in Essen habe ich mir dieses Album dann, so neugierig wie ich war, gekauft. Das Cover fand ich so abstossend, wie faszinierend zugleich. So sehen Maiden also anno 1996 aus. Kein bunter Eddie-Cartoon mehr. Zu Hause dann habe ich es erwartungsvoll aufgelegt und mir aus Angst die Ohren zugehalten. Angesichts des Covers habe ich etwas unglaublich brachiales, brutales und hartes erwartet – so ähnlich ging es Costa ja auch beim Album Piece Of Mind. Ich drücke auf Play an meiner Stereoanlage und höre erst mal nix. Irgendwo leise ein sich steigerndes Brummen und aus Angst, dass dann ganz plötzlich der Paukenschlag kommt, habe ich einen Song weiter geskippt. Lord Of The Flies, also der zweite Song, war dann das erste Lied, was ich von dem Album bewusst gehört habe. Ich war überrascht: So hart hat es gar nicht geklungen. Es wusste sogar irgendwie zu gefallen. Tolles Riff, toller Gesang, auch wenn es nicht Bruce war. Als ich dann weiter geskippt habe, war ich enttäuscht, dass kein Lied so geklungen hat, wie Lord Of The Flies oder Man On The Edge und überall nur dunkle, dumpfe, akustische und ruhige Nummern drauf gewesen sind. Nach den kunterbunten 80er Eskapaden, wie 7th Son, Somewhere In Time und Life After Death, die ich damals so abgefeiert habe, weil sie in Zeiten fiesen Mobbings an der Schule mein Ticket weg aus dieser Welt waren, mein persönlicher Eskapismus sozusagen, höre ich ein Album über persönliche Krisen und Sorgen, die Steve Harris wohl geplagt haben müssen, wie ich grob aus den Texten herausverstehen konnte. Das Album klang mir auch nach mehrmaligem Hören zu traurig, zu trostlos, zu hoffnungslos, zu grau und vor Allem zu ruhig. Die großen Riffattacken fehlten mir, die großen Melodien. Jahrelang, bis weit über das Erscheinen von Brave New World hinaus, habe ich dieses Album gehasst. Irgendwann begann ich aber, mich für progressive Rockmusik aus den 70ern zu interessieren. Led Zeppelin, Jethro Tull, die alten Kamellen von Genesis, King Crimson... Maiden gerieten zwar nicht in Vergessenheit, aber beim Hören von Led Zeppelin oder Tull sind mir einige Dinge aufgefallen. Sowas habe ich doch auf der X Factor in anderer, aber ähnlicher Form auch schonmal gehört? Seit ich mich für Progressive Rock interessiere und Eingängigkeit für mich zweitrangig war hinter Komplexität und musikalischer Substanz im Sinne einer tiefschürfenden Aussage, begann ich, The X Factor in ganz anderem Licht wahr zu nehmen. Mit der Zeit kommt auch der Rat und so begann ich, auch nach Lektüre der damals nur auf Englisch erschienenen Iron Maiden Biographie, das Album zu begreifen. Die Umstände in Steve Harris Leben, dass es mit Bruce auch nicht besser hätte werden können. Dass Maiden tot waren und sich in den 90ern neu erfinden mussten. Die Scheidung von Steve Harris, der Weggang von Bruce, alles sah nach einer Midlife Crisis aus und wurde perfekt in diesem Album musikalisch verarbeitet. Steve Harris nennt es neben Piece Of Mind sein bestes Album, also muss ja auch was dran sein. Nachdem Bruce in die Band zurück gekehrt ist, begann ich allmählich, dieses Album zu mögen und heute liebe ich es beinahe, wie sonst nur zwei weitere Maidenalben, die an dieser Stelle bereits besprochen wurden. Es kommt in meiner persönlichen Maidenrangliste direkt auf Platz 3.


Nun die Einzelwertung der Songs:

1. Sign Of The Cross – düstere, tiefe gregorianische Chorgesänge, die immer lauter anschwellen und das Album auf eine Weise eröffnen, wie kein anderer Maiden Opener. Nach dem die Stimmen der betenden, büssenden und bierbrauenden Klosterbrüder verklungen sind, hören wir eine leise Gitarrenmelodie, die sehr düster, aber auch prägnant ist und Ex-Wolfsbane Frontmann Blaze Bayleys leiste flüsternde Stimme. Danach nimmt der Song ganz langsam Fahrt auf, die auch Alexander The Great neun Jahre zuvor. Er entwickelt sich zu einem veritablen, alles niederwalzenden Midtempo-Stampfer. Blaze Baileys vielgescholtene Stimme sitzt hier wie eine Eins. Seine Stimme ist ergreifend und die Gitarrenmelodien, die seine Bridge untermalen, sind wunderschön und irgendwie erhaben. Der Refrain ist hymnisch und eingängig, die Strophen haben trotz aller Gemächlichkeit Drive und Power, wie auch bei Infinite Dreams klingt das hier wie eine Predigt oder eine Anklage. Die darauffolgenden Tempiwechsel und Breaks, der ruhige und getragene Mittelteil und das daraufhin wieder gesteigerte Tempo, der langsame und monumentale Marsch... das ist schon ziemlich großes Kino im 7th Son oder Phantom Of The Opera Style. Die Melodien werden hier allerdings nicht von den Gitarren getragen, die leider sehr leise in den Hintergrund gemischt wurden, sondern wieder vom Bass und von den streicherartig arrangierten Keyboards. Das Schlagzeug ist mir ein klein wenig zu laut, vor Allem die Snare hat mir zu viel Hall. Aber das Lied schlägt viele progressive Widerhaken und im schnellen Part glänzt er durch zwei Soli von Murray und Janick Gers, die einen an den Eiern packen. Das Lied konzentriert Alles, was einen guten Maidenepos aus der Feder von Steve ausmacht. Er ist keinen Deut schlechter als 7th Son, To Tame A Land, Phantom Of The Opera und die Melodie, das Riff, der Groove werden hier mich Genuss durchexerziert und ausgespielt bis zum logischen Ende. Neben The Clansman ist das hier der beste Maidensong aus den 90ern und auch einer der besten nach 1988 generell. Er zermalmt kompositorisch und hinsichtlich seiner sehr düsteren und erdrückenden Atmosphäre jede Note von Fear Of The Dark oder No Prayer For The Dying zu Staub. Er ist dynamisch, abwechslungsreich und voller subtiler Stimmungen. Weniger als 10 /10 Punkten sind ein unverschämtes Sakrileg. Der Song ist genial. Ende der Durchsage.

2. Lord Of The Flies ist dann eines von zwei Liedern, die aus dem Albumkontext aufgrund ihrer offeneren, lockeren und erdigeren Atmosphäre und wegen ihres Riffbetonten Beginns deutlich herausragen. Es ist wenn man so will, das 2 Minutes To Midnight der 90er. Der Text basiert auf den gleichnamigen Roman von William Golding, dessen Lektüre, aber auch dessen Verfilmung ich jedem Menschen ans Herz legen kann, der Herz und Hirn besitzt. Das Riff ist ziemlich lässig gespielt, hat aber einen seltsamen Klang, irgendwie funky. Ich glaube, Janick Gers hat sich ein wenig an Jimi Page von Led Zeppelin orientiert, dessen Riffs ja auch eine gewisse Leichtfüssigkeit hatten und nicht so gnadenlos durchgebraten waren, wie die von Iommi seinerzeit. Der Groove des Songs, der gesamte Drive, ist schon sehr beeindruckend. Das Lied versprüht eine wütende Energie, auch wenn es nicht so gnadenlos hart ist, wie etwa Be Quick Or Be Dead oder Aces High. Die Härte, die Energie, die Heavyness kommt nicht vom Sound, sondern von der Attitüde, mit der dieses Lied vorgebracht wird. Das ist größtenteils der Verdienst von Blaze Bailey, der hier sehr wütend klingt, und natürlich der Verdienst von Steve Harris. Das Lied ist in meinen Augen beinahe makellos, auch wenn die Gitarren wesentlich mehr Schmackes vertragen könnten. Die Riffs klingen im Hintergrund immer etwas zurückhaltend. Ich denke aber, dass dies im Mix von Steve Harris durchaus beabsichtigt war. Die Gesangsmelodien Baileys sind hier sehr prägnant, der Refrain großartig, die Bridge zwischen Strophe und Refrain aber der absolute Oberknaller. Das ist Dramaturgie, Ladies & Gentleman. Auch hier kann ich ohne mit der Wimper zu zucken 10/10 Punkten geben. Ich weiss, dass ich damit absolut alleine darstehe. Das ist mir ziemlich egal, Ihr Fucker.

3. Man On The Edge ist dann die logische Singleauskopplung gewesen, ein rasanter, furioser Schädelspalter, der zurecht auf der Tour zum Album als Opener eingesetzt wurde. Es ist der mit Abstand schnellste und neben Lord Of The Flies härteste Song des Albums, der mit einer ähnlichen Einleitung beginnt, wie The Evil That Men Do. Der Song klingt knackig, wütend und handelt übrigens vom sehenswerten Film „Falling Down“ mit Michael Douglas. Warum der Song trotz des gleich klingenden Refrains nicht so heisst, kann sich jeder Denken. Der Film kam etwa fast zeitgleich in die Kinos und Steve Harris hatte Alles, nur keine Lust auf juristische Scherereien, wie bei Dune / To Tame A Land 12 Jahre zuvor. Viele betonen ja, dass Blaze ein schlechter Sänger sei und beim Refrain eiert seine Stimme in der Tat etwas ausgeleiert und schief herum. So genial ich die Strophen finde, der Refrain ist leider ein wenig penetrant und simpel. Der Song wurde zurecht auf der Ed Hunter Tour nach dem Wiedereinstieg von Bruce und Adrian auch live gespielt und die Gitarren kamen dort sehr viel besser zur Geltung, als hier. Summa sumarum sind 9,5 /10 hier mehr als angemessen. Eine tolle Janick Gers Komposition. Als Songwriter begann er allmählich, sich zu emanzipieren und etablieren. Toll!

4. Fortunes Of War – eines der wenigen Lieder, die ich vollständig auf der akustischen UND elektrischen Gitarre nachspielen kann, bis auf die Soli natürlich. Ich glaube auch, es war eines der ersten Lieder, die ich überhaupt zu spielen gelernt habe. Er beginnt mit leise und melancholisch gezupfter Akustikgitarre und leisem Bass, begleitet von Blazes sehr ruhigem, besonnenen und nüchternem Gesang. Ich finde, die ruhigen Parts singt er mit sehr viel Feingefühl und ohne jede überflüssige Theatralik. Das Nüchterne, das Geerdete in seiner Stimme passt super zu den ebenfalls sehr nüchternen und traurigen Songs. Nach der zweiminütigen akustischen Einleitung, in der bereits mehr als die Hälfte des Textes von Blaze gesungen wurden, bekommen wir es mit einer der interessantesten Zwischenspiele zu tun, die wir in einem Maidensong zu hören bekommen können. Eine Sekunde Stille, gefolgt von akustischer Bassgitarre, die eine kurze, aber sehr düstere und charakteristische Melodie spielt, begleitet von einzelnen wuchtigen Schlägen Nickos auf seine Trommeln. Das Ganze geht dann über in einen beinahe doomigen Midtempostampfer mit sägendem Riff, dass nach kurzer Zeit aber wieder jäh unterbrochen wird durch das Motiv an Steves akustischer Bassgitarre und den Einzelschlägen auf die Toms. Dann wieder der stampfende Groove, das Riff wird dann begleitet von einer ziemlich genialen Melodie Dave Murrays, die auch etwas bluesiges hat und sich tief ins Trommelfell einfrisst. Diese Passage finde ich besonders ergreifend und mitreissend. Da möchte ich im Messiah Marcolin Doomdance durch meine Bude pogen und mit den Fäusten das Mobiliar zu Sägespänen verarbeiten. In diesem Teil steckt trotz der Langsamkeit sehr viel Energie und Power, die nicht aufgesetzt wirkt und durch die sich immer wiederholende Melodie Murrays verstärkt wird. Einfach nur geil. Dann wieder das ruhige Bassintermezzo mit dem Trommeldonner, ehe das ganze dann richtig losgeht, nur dass die Melodie noch von malerischen, aber zurückhaltenden Keyboardklängen kontrastiert wird, die aber nicht zu kitschig klingen, ehe Blaze dann wieder zu singen beginnt. Es klingt wieder wie eine Mischung aus Predigt und Anklage, wobei sich Blaze im Gesangsrhytmus sehr am Rhythmus des Songs orientiert. Der Refrain wird dann eine winzige Spur zu oft wiederholt und ist leider enttäuschend einfältig im Vergleich zum restlichen Song. Dann gewinnt der Song plötzlich rasant an Geschwindigkeit und galoppiert kompromisslos nach Vorne, wie zuletzt The Trooper. Die Soli sind sehr gelungen. Die Ohohoho, Ohoho Passagen und das erneute Wiederholen des Refrains hätte man sich klemmen können. Der schnelle Part ist etwas zu kurz geraten. Am Ende klingt das Lied dann wieder leise aus mit der traurigen Melodie der Akustikgitarre und einer letzten Strophe. Wenn man denkt, jetzt ist Schluss, setzt Steve Harris nochmal sehr kurz das Ausrufezeichen mit seinem markanten und sehr geilem Bassmotiv. 10/10 für mich. Ja nee, isso!

5. Look For The Truth ist wohl einer der traurigsten und düstersten, hoffnungslosesten und introspektivsten Songs von Maiden überhaupt – zumindest beginnt er so. Auch hier sehen Maiden keinen Grund aus dem Midtempo Bereich auszubrechen und das Tempo mal etwas anzuziehen. Der Song bleibt so langsam. Er beginnt ausserordentlich vielversprechend, aber hier zeigen sich dann einige Schwächen, wie das schwachsinnige Oooh hohooo und erste kleine Schwächen in Blazes Stimme, die hier und da etwas schief klingt, vor Allem bei dem Ooooh hohoo. Der Refrain und die Strophen sind dennoch kraftvoll und solide vorgetragen. Der Mittelteil klingt dann sehr keltisch und fröhlich und bildet einen für mich in keiner Weise verständlichen Kontrast zum Rest des eigentlich sehr düsteren Song. Das Solo von Janick ist leider etwas substandart, Dave rettet aber den Song durch sein Solo und einigen schönen Harmonien. Was nach dem Solo kommt, ist sinnlose Wiederholung des Ohohos und des Hooos und des Ooohooooos. Was ein Quark. Da muss ich leider Punktabzug geben. Erster, relativ gesehener Ausfall des Albums: 7,5 / 10


6. The Aftermath – Maiden lassen sich nicht lumpen und stehen nach diesem kleinen Ausrutscher von eben wieder auf und Janick hat hier erneut eine sehr bewegende, traurige, aber ungleich abwechslungsreichere Nummer geschrieben. Wieder kommt man aus dem treibenden, langsameren Marschtempo nicht heraus, bis auf den sehr schnellen Mittelteil mit dem in meinen Augen besten Solo, was Janick je gezaubert hat. Was Stranger In A Strange Land für Adrian war, ist The Aftermath für ihn. Das Lied handelt wie auch Fortunes Of War vom Krieg, hier speziell um den ersten Weltkrieg. Die Melodien sind zum Weinen schön und ergreifend. Mich rühren sie stellenweise echt zu Tränen. Das Lied hat eine andere Düsterniss, als Look For The Truth. Vor dem schnelleren Metalpart, der sehr gut nach vorne abgeht, wird rhythmisch sogar ein wenig krummtaktig geproggt. Da schlägt das Herz eines jeden 70er Prog Rockers höher. Tolle Gitarrenmotive, die sich durch den ganzen Song ziehen, zahlreiche Breaks und Timeshifts. Für mich auch 10 / 10. Der Song hat einfach das gewisse etwas. Entweder, er erreicht Dich, oder er lässt Dich kalt. Mir bereitet er Gänsehaut im positiven Sinne. Großes Kino, auch wenn ich schon jetzt die Unkenrufe kommen sehe...

7. Judgement Of Heaven ist dann wieder Steves Song zur Bewältigung seiner persönlichen seelischen Krise. So düster, wie der Text ist das Lied von seiner Stimmung allerdings nicht. Er beginnt mit einer flotten Bassmelodie, die auf der Hihat begleitet wird, ehe dann eine sehr bizarre und seltsame Gesangsmelodie von Blaze einsetzt. Mich überzeugt das in dieser Form nicht, da auch hier wieder an einzelnen Stellen recht schief gesungen wird, wo man denkt: AUTSCH. Blaze, das kannst Du doch besser. Der Refrain ist sehr fröhlich und eingängig. Alles in Allem hätte dieses Lied, was auf mich ein wenig uninspiriert wirkt, besser zu Virtual XI gepasst. Im Albumkontext von X Factor wirkt es leider sehr deplaziert. Insgesamt kann ich noch 7,5 Punkte vergeben, wegen einiger interessanter Ansätze. Aber auch hier schlagen wieder die Wiederholungen zu Buche, die unnötig sind. Als knackiger 3 Minüter hätte mir das Lied besser gefallen. Für mich neben Look For The Truth das schwächste Stück des Albums.

8. Blood On The Worlds Hands ist für mich neben Sign Of The Cross der absolute Höhepunkt des Albums. Diesen Song wünsche ich mir händerringend live gespielt. Es ist auch das einzige Lied dieses Albums, von dem ich denke, dass es auch sehr gut mit Bruce klingen würde. Ein sehr dramatisches und düsteres Intro auf der akustischen Bassgitarre, ein filigranes und virtuoses Basssolo, das ich für einen der allergrößten musikalischen Momente von Steve Harris halte, baut eine unheilvolle Spannung auf, von der man Angst hat, dass sie sich irgendwann entlädt. Stellenweise erinnert mich dieses Basssolo an „The Fish – Schindleria praematurus“ vom Yes-Bassisten Chris Squire. Da Steve Harris als 70er Prog Fetischist auch Yes verehrt hat, ist die Unterstellung für mich naheliegend, dass er seinem Idol auf diese Weise huldigen wollte. Wer das Yes Album „Yessongs“ kennt, wird das sofort bemerken. Von den hier mitlesenden glaube ich aber, dass nur Eiswalzer oder Metalmanni die Ähnlichkeit erkennen wird. Ein hoher Nerdfaktor gehört halt dazu. Nach der wirklich erstaunlichen Fingerübung von Steve entlädt sich diese Spannung in einem wirklichen Monster von Song. Die reine Dramatik wird hier in einem Riffgewitter kulminiert und Blaze schimpft dabei empört wie ein Rohrspatz. Auch dieses Lied hat eine unglaubliche, wütende Energie, die ich gerne mal live mit Bruce entfesselt sehen möchte. Der Refrain ist einfach gehalten, aber sehr hymnisch und angenehm zu hören. Ein Mitbrüll-Song mit Herz und Hirn. Textlich geht es hier um den Krieg in Jugoslawien. Teilweise hat dieser Song einen gewissen Karussell Charakter in seiner Metrik. Rhythmisch ist er vertrackt, die Riffs sind düster und im Vergleich zum Rest des Albums ziemlich entfesselt. Ich liebe dieses Lied. Überzeugt Euch selbst. 10 / 10

9. The Edge Of Darkness – Steves und Janicks Huldigung an Apocalypse Now. Die Handlung des großartigen Filmklassikers von Francis Ford Copolla wird hier textlich komprimiert wiedergegeben. Die Hubschrauber-Samples vom Anfang verklingen und eine traurige Melodie auf der akustischen Gitarre und clean gespielter E-Gitarre beschwören hinsichtlich ihrer melodischen Stimmung eine bedrückende, beklemmende und düstere Atmosphäre herauf, wie man sie durchaus mit „Running Silent Running Deep“ vom Album No Prayer For The Dying, aber auch mit „Afraid To Shoot Strangers“ von der Fear Of The Dark vergleichen kann. Geheimnisvoll, mysteriös und unheilvoll. Auch hier entlädt sich die Spannung dann in einem großartigen Song, der rhythmisch vom stakkato-artigem Midtempo Getrampel bis zu einem schnellen, furiosen Ritt durch den Dschungel Vietnams alles zu bieten hat und in seinem schädelspaltenden Mittelteil wirklich durchschimmern lässt, dass The X Factor bei aller Ruhe und Nachdenklichkeit noch immer ein Metalalbum ist und Iron Maiden bei allen Zweifeln immer noch eine Metalband, die der Welt da draussen in der Mitte der 90er, als Metal nicht nur out, sondern in den Medien sogar hochpeinlich angesehen wurde, den Mittelfinger zeigt. Maiden haben ihr Ding durchgezogen und die progressiven Ansätze von 7th Son verknüpft mit den erdigeren, raueren und ungeschlifferen Klängen der Di'Anno Alben. Killers und das Debutalbum treffen auf 7th Son, geschickt verwoben mit etwas melancholischen und nachdenklichen Roy Harper / Led Zeppelin Kaminfeuer Pathos und flux haben wir ein tolles Album, was zwar Metal ist, aber die Metal Klischees deutlich zu umschiffen versteht. Ganz große Theatralik und Maidenpathos! 9,5 / 10

10. 2 a.m. ist wohl der allertraurigste Maidensong überhaupt. Textlich ist er noch introspektiver, als Judgement Of Heaven und in musikalischer Hinsicht eine recht schlichte, unkomplizierte Nummer, die einen aber grade deswegen so direkt anspricht. Melancholie, Depressionen, Zweifel am Leben, Angst, Hoffnungslosigkeit, Selbstkritik, Gleichgültigkeit, Lethargie... all das wird hier in erstaunlicher Weise musikalisch manifestiert und akkumuliert. Ein Frust-Rauslass-Song, wie ihn Maiden so nie zustande gebracht haben. Objektiv ausserordentlich unscheinbar und gar nicht mal so überragend. Aber ich habe einen sehr besonderen Bezug zu diesem Lied, der tief in mir verankert ist. Ich kann es nicht genau erläutern, da man schon wissen muss, durch wieviel Scheisse ich gehen musste, aber hier kann man sich eindeutig mit identifizieren. Jeder Mensch geht in seinem Leben auch durch Jammertäler und durch diese helfen einen dann Songs wie diese. Musikalisch ist kein Song von Maiden so weit von dem entfernt, was Maiden ausmachen. Für mich aus persönlichen Gründen 10/10, da ich jedesmal wie ein kleines Kind flennen muss, oder zumindest einen Klos im Hals habe, wenn ich nur an dieses Lied denke. Objektiv aber immer noch runde 9 /10. Aber ich bin bei diesem Album nicht objektiv. Anhören!

11. The Unbeliever zeigt dann nochmal den komplexen Exzess progressiver Hektik und spontaner musikalischer Eingebungen. Ein sehr aussergewöhnlicher Takt, beinahe ruhelos und nervtötend, wenn man es nebenbei hört. Wenn man sich aber auf dieses Lied konzentriert, offenbaren sich einen großartige Momente. Dieses sehr sperrige, kantige und unförmige Lied zu beschreiben, dürfte sehr kompliziert werden, denn kein Maiden Song lässt sich so schwierig in Worte fassen, wie dieser. Das ist der Prog-Song von Maiden schlechthin, aber auch hier zeigen sich Ermüdungserscheinung beim Refrain. Da wäre eine Wiederholung weniger – oh welch Wunder!- ein Gewinn gewesen. Krumme Takte, Breaks, überraschend auftretende Groovepassagen als einsame Inseln der Geradlinigkeit in diesem Meer der Unruhe, wahnwitzige instrumentale Kabinettsstückchen, die in dieser progressiven Komplexität sonst nur von Gentle Giant bekannt sind, machen diesen Song zu einem Kleinod. In seiner Stimmung ist dieses Lied nicht annähernd so düster und bedrückend, wie der Rest des Albums. Es ist ein trotziger Song, unfassbar sperrig und ich glaube, dass hier alle Musiker ihren Spass hatten, sich krass auszutoben. Nicko zeigt hier sein ganzes Können, auch Steve Harris mit ein paar wundervollen Licks beim Intro. Insgesamt hätte man hier vielleicht eine Minute raus schneiden können an redundanter Refrainwiederholung. Aber auch dieses Lied klingt so wenig nach Maiden, wie 2.a.m, nur geht dieses in eine gänzlich andere Richtung. Wäre die nervtötende Penetranz beim Refrain nicht, würde ich 10/10 Punkten vergeben, so aber muss ich einen halben Punkt abziehen. 9,5/10 Punkten. Ich denke, kein Maidensong ist so wagemutig und halsbrecherisch wie dieser. Damals haben sich Maiden bei aller Kritik an Blaze was getraut.

Das Album leidet bei Allem Wagemut und aller Kompromisslosigkeit am Mix. Das Schlagzeug ist viel zu laut abgemischt und die Gitarren verkümmern dazu im Vergleich stark. Sie kommen im Mix genauso wenig zur Geltung, wie seinerzeit der Bass von Jason Newsted auf And Justice For All von Metallica. Hier hätte statt Steve Harris in Eigenregie lieber ein professioneller Produzent die Finger an den Reglern haben sollen. Live gewinnen viele Stücke noch an Power, wie wir bei Sign Of The Cross auf der Rock In Rio hören können. Dies ist aber nicht der Verdienst von Bruce am Mikro, ganz im Gegenteil. Es liegt an den drei Gitarren, die so abgemischt sind, wie sie es zumindest bei den lautere Parts auf The X Factor auch hätten sein sollen. Teilweise klingen sie, als hätten Janick und Dave mit abgedämpften Saiten gespielt. Vielleicht war das von Steve auch so beabsichtigt. Aber das ist eines der wenigen Mankos, die ich an diesem Album auszusetzen habe.

Kein Maidenalbum verbreitet eine so intime, persönliche und nachdenkliche Stimmung, keines klingt so zurückhaltend und leise und dennoch schimmert an einigen Stellen eine kaum zu bändigende Power und Energie durch, sogar bei den ruhigeren getragenen Passagen. Das ist schon eine eindrucksvolle Kunst, Härte durch leise Töne auszudrücken. Chapeau!

Summa summarum kann ich hier mit Fug und Recht 9,5 /10 Punkten vergeben. The X Factor ist zwar ohne Bruce, steckt aber Fear Of The Dark und No Prayer For The Dying deutlich in die Tasche. Für mich steckt es auch jedes Album seit der Reunion in die Tasche. Kein Album geniesst in der Szene zu Unrecht einen so schlechten Leumund, wie dieses. Unterbewertet ist noch optimistisch ausgedrückt, ich halte es für verkannt und verleumdet.

Viele führen zu Recht den recht tiefen und stellenweise etwas schiefen Gesang von Blaze als großes Manko an. Live mag das insofern zutreffen, dass Blaze nicht im Stande war, die alten Kamellen aus der Zeit mit Bruce adequat zu singen. Man hätte ihm entgegen kommen können und vorwiegend Songs aus der Di'Anno Phase spielen können, die seinem tieferen und raueren Stimmtimbre angemessen wären, aber leider erwiesen sich Harris und Co als sehr stur und liessen ihn trotz seines begrenzten Stimmumfangs Songs wie Heaven Can Wait oder The Clairvoyant singen. Wie einige Bootlegs beweisen, die auf Youtube zu finden sind, hat er zumindest Afraid To Shoot Strangers, Fear Of The Dark und The Evil That Men Do mehr als passabel gesungen. Aber statt mal wieder Killers, Prowler, Another Life, Remember Tomorrow oder Phantom Of The Opera aus der Mottenkiste auszubuddeln, die Blaze mühelos live hätte stemmen können, ging man auf Nummer sicher und spielte die Kamellen, an denen Blaze nur versagen konnte. Doch im Kontext diesess Albums spielt das keine Rolle, hier passt Blaze Stimme einfach zu den Songs, wie kein anderer Sänger.

Sein erstes und wirklich gutes Soloalbum "Silicon Messiah" zeigt übrigens, dass er ein sehr viel besserer Sänger ist, als sein Leumund ihm unterstellt. Blazes ehemalige Brötchengeber Wolfsbane haben mit "Manhunt" übrigens einen ziemlich geilen Hit gelandet Ende der 80er und waren Vorband von Maiden während der Europatour 1990.
Puh, auch hier meine Meinung zu.
"No Prayer" und "Fear" waren schon nicht das Gelbe vom Ei (zumindestens nicht durchgehend).
Dann kam "The X Factor".
Die Songs sind fast alle zu lang, teilweise viel zu lang!
Der Sound ist irgendwie drucklos!
Dazu Blaze Bayley, der mit Abstand schwächste Sänger, den Maiden je hatte!
Maiden machen hier eine auf Prog. Ich liebe Prog, aber Maiden kriegen das nicht richtig hin.
O.K., du hast ganz viele persönliche Erinnerungen an die Platte und Zeit.
Für mich eine Enttäuschung und nur 6/10 Sterne/Punkte.
Da finde ich sogar den Nachfolger etwas besser...
So höre ich das.
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Perry Rhodan
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Re: Woe To You, Oh Earth And Sea... Der Maiden-Seziertisch

Beitrag von Perry Rhodan »

Kaufrausch :

Iron Maiden - 1980
Killers - 1981
The Number Of the Beast - 1982
Piece Of Mind - 1983
Powerslave - 1984
Live After Death - 1985
Seventh Son Of A Seventh Son - 1988

Must have :

Somewhere In Time - 1986
Brave New World - 2000
Rock in Rio - 2002
A Matter of Life and Death - 2006
Maiden England ’88

Kann man :

No Prayer For the Dying - 1990
Fear Of the Dark - 1992
Virtual XI - 1998
Dance of Death - 2003
Death on the Road - 2005
Live at Donington `92

Besser nicht :

The X Factor - 1995
The Final Frontier - 2010
The Book of Souls - 2015
und die anderen Live-Alben
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