Toys in the Attic (1975)
Mit diesem Album sollte die jahrelange Durststrecke von Aerosmith enden. Und ganz ehrlich, wenn sie damit nicht den Durchbruch geschhfft hätten, womit dann?
Toys in the Attic:
BÄMMM! Kein langsamer Beginn, kein Aufbau, einfach direkt mit dem ersten Takt voll in die Fresse. Ganz, ganz leicht fühlt man sich am Led Zeps "Immigrant Song" erinnert, nur dass der im Vergleich klingt wie wenn Omma die Zähne ins Glas fallen lässt. Für sowas haben sich hippe Schreiber vor ein paar Jahren den bescheuerten Begriff "Proto-Metal" einfallen lassen. Im Prinzip harter, schneller Rock'n'Roll ohne Schnörkel, die Akzente kommen mal wieder von der Gesangsmelodie. schneidende Gitarren über Tom Hamiltons ultrafettem Bass, auf so was stehe ich ja total. Das ist ein Sound mit richtig dicken Eiern, kein furztrockenes Geschrammel. Im Grunde nimmt das ein klein wenig schon die dicken Sounds der Achtziger vorweg, klingt aber natürlicher. Oder halt einmal mehr wie eine Liveshow. Unbegreiflich, dass so eine Hymne nicht auf Aerosmith's Greatest Hits war.
Uncle Salty:
Erstmal einen Gang runterschalten. Das ist Bluesrock mit dieser leicht epischen Note, die irgendwie auch ein Markenzeichen von Aerosmith ist, diese Gabe, aus sehr nüchternen Arrangements etwas breitwandiges, großformatiges zu machen. Ende der Achtziger sollte dieses Rezept noch voll ins Schwarze und den Zeitgeist treffen. Der kanonartige Gesang am ende ist groß.
Adam's Apple:
1975 muss genau dieser Ansatz, Blues, Swing und Country zu Hymnen zu formen, etwas völlig neuartiges gewesen sein. Man stellt sich Steven Tyler vor, wie er über die Bühne fegt und gleichzeitig eine Big Band dirigiert. Bläser gibt's auch, und ansatzlos kurze zweistimmige Leads hinterher, die damals auch nicht viele drauf hatten. Wie sich Perry und Whitford da an den Gitarren duellieren, kennt man echt von keiner anderen Band aus der Epoche. Ja, Wishbone Ash sind mir ein Begriff, aber da schlafen einem ja im Vergleich die Füße ein. So locker und selbstverständlich, ein Wahnsinn. eigentlich sind ja Queen die Meinster dieser ausgefeilten Arrangemente, wo sich eine Schicht über die andere Türmt und es am Ende doch wie aus einem Guss klingt, aber zmindest 1975 varen Aerosmith da besser, da lege ich mich jetzt fest.
Walk This Way:
Na, wer dachte noch, dass der Song von 1984 ist? Neune Jahre nach Erstveröffentlichung war der Song immer noch gut genug, um Aerosmith nach längerer Durststrecke zurück ins Rampenlicht zu bringen - natürlich in der Kollaboration mit Run DMC. Passt wie Arsch auf Eimer, auch in der Originalversion. Tylers rasanter Sprechgesang ist für diesen Crossover wie gemacht, und der Beat unten drunter genauso. Natürlich ist das eigentlich Funk, und als Menschen mit Geschmack freuen wir uns natürlich über sowas.
Big Ten Inch Record:
Jetzt ein Ausflug in den Rockabilly? Hoffe, die Zuordnung ist korrekt, mit dem Honky Tonk-Piano und Mundharmonika geht's direkt zurück in die Fünfziger. Selbst der Gesang ist leicht am Elvis angeleht. Macht Laune, ist aber nicht mein Favorit.
Sweet Emotion:
Der andere große Hit, war damals die erste Single, glaube ich. Klingt am Anfang fast orientalisch und darum leicht an Led Zeppelin angelehnt, auch die Riffs sind nicht weit weg von Page. Total faszinierend finde ich den durchgehenden Beat von Joey Kramer, auf dem die Band die Intensität variiert. In den Strophen eine coole Tanznummer, die wie ein Rinnsal dahinfließt, um dann in einer Art instrumentalem Chorus massiv anzuziehen. Schweineheavy für die Zeit, ohne aber für einen Moment den tanzbaren Beat zu verlieren. Auf sowas steh ich total, würde ich gern mal zu tanzen.
No More No More:
Kennt kein Mensch mehr, ist aber IMO auf einem Level mit Sweet Emotion. Nicht so brutal tanzbar, sondern eher ein straighter Beat, sowas könnte auch von leichtfüßgeren AC/DC kommen, Aber dann kommen diese ganz kurzen, sanften, langsamen Einschübe, mit dem "Baby, I'm a Dreamer...", um dann nach Sekunden sofort wieder anzuziehen. Ganz feine Tempokontrolle, da ist nichts abgehackt oder gestückelt, die lassen das einfach fließen. Da hört man leicht drüber weg, aber das ist schon die ganz hohe Schule. Einer meiner Lieblingssongs.
Round and Round:
Doom! Naja nicht ganz, aber als Cover von Trouble oder so könnte ich mir das super vorstellen. Langsam, bedrohlich, bleischwer, ein Song wie durch Honig gezogen, rollend, schwül und sumpfig. Kaum Tempovariation, der saugt einen einfach ein wie Treibsand. Ganz andere Facette, fast schon Sabbath-Territorium, aber irgendwie sexier, mehr Louisiana als Birmingham. Ein Song wie ein Voodooritual. Geil.
You See Me Crying:
Ohne Ballade geht's natürlich nicht. Und die ist jetzt endgültig der Vorgänger von - genau: - "Cryin'" und "Crazy". Getragen von Klavier und Streichern, und Tyler leidet wie ein Hund. Die Übung hat sich noch hundertfach ausgezahlt, und ganz ehrlich, ich finde den hier besser als die großen Schmachtfetzen aus den Neunzigern. Auch dafür waren in den Siebzigern eher Queen zuständig, aber die waren da noch nicht ganz so weit. Warum ist das kein Megahit geworden?
Fazit: Wahnsinnsalbum, ohne "Big Ten Inch Record", das ich nur ganz ok finde, wäre das eine glatte 10. Aber es kommt ja noch was, vielleicht ist die letzte Steigerung ja noch drin. Wer Led Zep bis dahin als Muster an Leichtfüßgkeit gesehen hat, sollte sich das mal anhören. Die waren 1975 bekanntlich schon auf dem Absteigenden Ast, und wurden spätestens hiermit rechts überholt.
Toys (schön abgefuckt, mit ziemlich verstrahltem Tyler):
No More No More:
Sweet Emotion: