Queensryche - Empire
Wäre ich in der Zeit zwischen 1988 und 1990 schon alt genug gewesen, um Musik noch ein bisschen bewusster wahrzunehmen, dann hätte ich damals wohl eine sehr spannende Erfahrung machen können, von der ich mich des Öfteren frage, wie ich sie seinerzeit wahrgenommen hätte. Queensryche schafften nämlich etwas, was es in der Geschichte der Musik nur äußerst selten gab. Dem vermeintlichen Zenit in dem (da müssen wir nicht diskutieren) völlig überragenden „Operation: Mindcrime“ einen Nachfolger hinterherzuschicken, der es tatsächlich schafft, nicht nur kommerziell noch einen draufzusetzen, sondern, und das ist das Entscheidende, von musikalisch ebenso hohem und beeindruckendem Wert zu sein. Meine Begeisterung nach dem gespannten Warten auf „Empire“ wäre wohl kaum zu greifen gewesen, und da zitiere ich mich gerne mal selbst: Zwischen ihrem Debüt und „Empire“ waren Queensryche eine der besten Bands der Welt.
Produzent Peter Collins war nach dem gewaltigen Rumms, den der konzeptionelle Vorgänger auch mit seinem Sound hinterlassen hatte, die logische Wahl für ein weiteres Stück Richtung Bombast-Gipfel. „Empire“ würde ohne diese bis an die Grenze polierten Breitwand-Sound wahrscheinlich anders, nicht so gut funktionieren, vor Allem da die Musik nur stellenweise wirklich als Heavy Metal durchgeht. „Empire“ ist viel eher zum Bersten aufgeblasener Stadion-Art-Rock, strahlt Übergröße und Robustheit aus und wirkt wie ein glänzendes Stück Edelstahl, wie ein auf den Punkt umgesetzter musikalischer Plan. Der Plan beinhaltet eingängige, zugängliche Songs, durchaus mit Potenzial für die Welt außerhalb der Rock- und Metalszene, jedoch auch einen, nunja, progressiven Ansatz, der sich vor Allem in den Arrangements wiederspiegelt, und in dem wiederkehrenden Muster, jede gespielte Note bis zum Perfketionismus auszureizen. Die Stunden, die dafür vergehen mussten, bis Chris DeGarmos völligst überragende Soloparts exakt so klangen, wie sie es letztlich tun, kann ich mir lediglich ausmalen, ich meine aber bei „Empire“ auch herauszuhören, wie viel Kraft und Aufwand das Ergebnis letztlich gekostet haben muss. Vor meinem geistigen Auge sehe ich Diskussionen, Verwerfungen, Rückschläge und Debatten darüber, wie lang genau ein bestimmter Song zu sein hat, ist dieser Part ausschweifend genug, kann man da noch was verbessern, ist dieser Drumbeat nicht vielleicht überflüssig, klingt das auch wirklich so wie es soll oder muss das einen Halbton tiefer? Gut für Queensryche, dass das Ergebnis für mich den Rückschluss zulässt, dass eine ganze Menge richtiger Entscheidungen getroffen wurden.
Geoff Tates großartiger Gesang, der Fokus aus die Gesangsmelodien in den Kompositionen, ist da lediglich eine Stärke von „Empire“. Der kommerzielle Ansatz geht nicht so weit, dass die Band nicht, wie schon auf dem Vorgänger, auch individuelle Klasse beweisen würde. Die Instrumentalisten, auch der meiner Meinung nach ziemlich unterschätzte Schlagzeuer Scott Rockenfield, sind für den Gesamteindruck nicht weniger entscheidend, weil „Empire“ auch davon lebt, dass es herausragend gespielt ist, und dass einzelne Songs auch von anderen Momenten geprägt sind als dem Gesang. „Jet City Woman“, „Della Brown“, „Silent Lucidity“ haben allesamt Soloparts mit Emotion und Charakter, und das Ende von „The Thin Line“ ist ein exemplarisches Beispiel dafür, dass die Band auch das Experimentieren mit Soundästhetik nicht ganz bleiben lassen wollte.
Die mitreißend-eingängigen Rocksongs „Another Rainy Night“, „Hand On Heart“ oder das genannte „Jet City Woman“ bieten ganz offensichtliches Megahit-Potenzial mit emotionalem Songwriting, dessen Tiefgründigkeit vor Allem von Tate geprägt wird, was auch den zugänglichen Ansatz so gut wie nie oberflächlich oder flach erscheinen lässt. Der Titelsong und das an die „Rage For Order“-Ära erinnernde „Resistance“ lassen den Härtegrad kurz anziehen, „Della Brown“ glänzt mit einer blusig-düsteren Note und die Ballade „Silent Lucidity“ erinnert ein wenig an Pink Floyd und war sogar für einen Grammy nominiert. Auch das ist eine Stärke von „Empire“: Vielschichtigkeit und Abwechslung, die dennoch auch ohne durchgehendes Konzept wie eine große Einheit harmonieren. „Anbybody Listening“, am Ende der Scheibe, ist dann tatsächlich auch genau das, was ein sein soll: Ein bewegender, emotionaler Bombast-Ausbruch, der nur am Schluss stehen kann und auch nur da Sinn macht, mit seiner alles einnehmenden Performance aber nicht nur als bester Song des Albums, sondern auch als eine der größten Momente in Queensryches Karriere durchgeht.
„Operation: Mindcrime“ soll und kann hier nicht als das große Magnum Opus der Band in Frage gestellt werden, niemals käme ich auf die Idee. Ich bin mir aber nicht sicher, ob es jemals ein Album gab, das den Spagat zwischen kommerzieller, massentauglicher Stahlkraft und gebliebenem Anspruch für den, der gerne genauer hinhaut besser und beeindruckender hinbekommen hat als „Empire.“ Vor diesem Werk war Rockmusik entweder kommerziell oder progressiv. Seit „Empire“ kann sie vollkommen problemlos auch beides sein, wenn man viel poliert und schleift und über jeder Note diskutiert, dann entsteht dabei vielleicht sogar ein Meisterwerk. Das ist „Empire“ für mich, und steht somit in der Tat auf einer Stufe mit dem Vorgänger.