Eschis Plattenladen

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Thunderforce
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Re: Eschis Plattenladen

Beitrag von Thunderforce »

Die Platte hatte ich auch mal, oder vllt. habe ich sie sogar noch. Locker schon 10-12 Jahre her, dass ich die gehört habe.
Damals lief sie eher an mir vorbei, aber man wird ja klüger. Sollte ich mir mal wieder anhören.
Denn die musikhistorische Bedeutung von Pet Sounds kann man kaum hoch genug bewerten. Alles richtig, was Du schreibst.
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Master_of_Insanity
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Re: Eschis Plattenladen

Beitrag von Master_of_Insanity »

Yep, gute Idee von Eschi, einen Review-Thread in dieser Art gab es wohl noch nicht hier. Und dass Eschi wirklich ein begnadeter Review-Schreiber ist, dürfte auch schon bekannt sein. Wichtig ist allerdings, nicht wie bei anderen ähnlichen Versuchen, das dann auch durchzuziehen...

PN mt Reviewwunsch folgt
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MetalEschi
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Re: Eschis Plattenladen

Beitrag von MetalEschi »

Master_of_Insanity hat geschrieben:begnadet
Um Gottes Willen. :o
Halbwegs talentiert um Umgang mit Worten, das mag sein, aber mal nicht übertreiben, auch wenn mich das Kompliment natürlich freut.

Texte (Reviews wie andere) sind für mich immer irgendwie auch "Werke". Im Grunde bin ich nie zu hundert Prozent zufrieden, weil mir dieses und jenes Wort dann nicht passt und ich irgendeinen blöden Satz drin hab, der aus meiner Sicht den Leseflow rausnimmt. :D
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hunziobelix
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Re: Eschis Plattenladen

Beitrag von hunziobelix »

MetalEschi hat geschrieben:Ich lass die "Kundschaft" mal anonym, wer möchte kann ja gern ergänzen, dass er Übeltäter war.

Erstes Review gleich ne Herausforderung, weil es mir recht schwer fällt, die Musik aufgrund ihrer Einzigartigkeit zu beschreiben. Versuch macht kluch:

The Beach Boys - Pet Sounds (1966)

Ich behaupte in schöner Regelmäßigkeit, dass „In The Court of The Crimson King“ das erste richtige Progressive Rock-Album gewesen sei und „Tommy“ das erste Konzeptalbum. Diese Aussage ist eigentlich falsch, denn im Grunde trifft beides viel eher auf „Pet Sounds“ von den Beach Boys zu. Brian Wilson warf als kreativer Kopf hinter dem Projekt im Grunde alles über den Haufen, wofür die Kalifornier vorher standen, ging das Album mit solcher Hingabe an, dass andere Bandmitglieder an seinen Ideen verzweifelten und ihm emotional nicht folgen konnten. „Pet Sounds“ integriert zum ersten Mal in der Geschichte der damals noch als primitv bezeichneten und zur puren Unterhaltung dienenden Rockmusik nicht nur stilfremde Instrumente, sondern auch einen völlig neuen kompositorischen Ansatz. Zappa und Jazz-Musiker wie Miles Davis waren womöglich auch schon 1966 Innovatoren auf Augenhöhe mit Wilson, beide haben aber nicht das gleiche geschaffen wie dieses Werk: Unterhaltungsmusik einen neuen Wert und Status zu verleihen. Damals hat es keiner verstanden, heute ist Musik bereits so innovativ und grenzenlos, dass man die Bedeutung von „Pet Sounds“ gerne zu unterschätzen vermag.

„Pet Sounds“ Rock 'n' Roll-Faktor tendiert gen null, bewegt sich bei einem flappsigen Hinhören zwischen überbrodelndem Herzschmerz und zähflüssigem Sixties-Gewaber. Der Eindruck ist falsch, denn neben der kreativen Instrumentalisierung ist das Album zugleich auch eines der ersten, in denen ein Musiker seine emotionalen Höhen und Tiefen auslebt. Es schreckt nicht zurück vor beinahe intimen, zerbrechlichen und depressiven Momenten, dabei stets bedacht auf das musikalische Fundament. Die gegenseitige Beeinflussung der Beatles und der Beach Boys ist eine hier nicht weiterauszuführende Tatsache, Brian Wilson jedenfalls sah im ein Jahr zuvor erschienenen „Rubber Soul“ eine Grundlage für ein ambitioniertes musikalisches Projekt: Ein Album zu schaffen, das nicht von herausragenden Singles lebt, aufgebläht von unwichtigem Füllmaterial, sondern das als Gesamtwerk und künstlerisches Gut wahrgenommen werden kann. Unterstrichen wird dieses Vorhaben vor Allem von den beiden Instrumental-Songs des Albums, dem Titelsong und „Let's Go Away For A While“. Der innovaten Idee, im ersterem leere Cola-Dosen als Schlagzeug einzusetzen, soll hier nicht weiter Raum gegeben werden. Ja, „Pet Sounds“ platzt fast vor instrumentalem Anspruch, einige Songs kommen mit nicht weniger als einem Dutzend Instrumenten aus, von denen ein großer Teil wie Glockenspiel, Fahrradklingeln und diversen Flöten in der Rockmusik vorher völlig undenkbar waren. Aber diese Instrumentierung dient niemals dem Selbstzweck, nicht dem Zur-Schau-Stellen lustiger Ideen und demonstrativem Anderssein. Auf „Pet Sounds“ dienen diese Elemente immer dem Ergebnis, den Songs, was es in gewisser Weise selbst von einigen artverwandten späteren Prog-Alben abhebt.

Neben dem sehr eingängigen umarrangierten Traditional „Sloop John B.“ und dem recht beschwingten Opener „Wouldn't It Be Nice“ zeichnet das Album vor Allem die Wagnis aus, adoleszente Zweifel und Emotionen in einem musikalischen Gewand unterzubringen. „Pet Sounds“ ist vor Allem ein gefühlvoller Ausbruch, zusammengehalten von einem roten Faden, dessen Faszination sich ohne große Anstrengung, aber nur bei genauem Hinhören entfaltet. Es ist nicht wichtig, von welchem Instrument oder Gegenstand dieser und jener Ton erzeugt wurde, auch wenn angesichts der Armada an (vor Allem klassisch ausgebildeten) Gastmusikern die genaue Beschäftigung damit sicherlich nicht völlig abwegig ist. Wichtig ist: Seit „Pet Sounds“ ist alles möglich, alles erlaubt, und Rockmusik nicht länger ausschließlich als primitive Krachmusik für das Proletariat vermarktbar.

„Pet Sounds“ ist aber nicht nur deshalb gut, weil es Grenzen verschoben und die Popwelt verändert hat, es ist in erster Linie auch ein Album, das neben den besseren Alben der Beatles und einigen anderen britischen Vertretern wie The Who oder den frühen Pink Floyd auch wie wenig Anderes die 60er Jahre verkörpert, jene Zeit, in der gerade in Amerika bei der Jugend ein Umdenken stattfindet, der Wunsch nach Freiheit, nach ernsthafter Veränderung. Es steht musikalisch genau zwischen beiden Polen: Der Unbekümmertheit, die die Beach Boys selbst mit ihrem Surf-Sound geprägt haben, und der elegischen Hingabe, die vor Allem von Folk-Künstlern wie Dylan oder Simon & Garfunkel ausging. Es prägte das Bild der Rockmusik über Jahre, hat Art-Rock und Psychedelic ermöglicht, und es hat mit seinen prägnanten, eingängigen und gleichwohl aufwändigen Vocal-Harmonien die Besonderheit bewahrt, die die Band auch vorher schon ausgezeichnet hat. Das ist seine eigentliche Qualität: Es bietet die Möglichkeit, den Sound der Sechziger ohne großen Aufwand zu erfassen, gleichwohl aber auch, sich mit geschlossenen Augen und in Dunkelheit auf das große Ganze einzulassen, ganz so, wie Brian Wilson selbst es einst empfohlen hat: ”When you listen in the light, you look around and you can see things, but in the dark you can hear it all.”

Auch aus dieser Betrachtungsweise bleibt das Album sein eigenes großes Vorbild, von dem sich viele Künstler der Neuzeit, bewusst oder unbewusst, beeinflussen lassen.

Hören kann man hier was:
Brian Wilson ist ein Genie und zwar ein unterschätztes.Danke für das geile Review.Sehr treffend formuliert.
Urban Priol:"Wir müssen alle Kulturen verstehen,auch Die im Joghurt."

Salvador Dali:"Das Schlimmste an der heutigen Jugend ist,dass man nicht mehr dazu gehört."
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costa
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Re: Eschis Plattenladen

Beitrag von costa »

Ich lese es wenn ich mir richtig Zeit dazu nehmen kann und auch das Album laufen lassen kann.
Ich hab das Review nämlich in Auftrag gegeben. *g*
How can I have disbelieved the wrong egg thing?

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Rotorhead
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Re: Eschis Plattenladen

Beitrag von Rotorhead »

Eine seit langem bekannte große Bildungslücke von mir. Ich halte es wie Costa und leg die Platte abends Mal auf. Also streame sie *g*
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Re: Eschis Plattenladen

Beitrag von Rotorhead »

Would 'n' it be nice klingt irgendwie so gar nicht progressiv. Schönes Lied aber :D
Rotorhead
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Re: Eschis Plattenladen

Beitrag von Rotorhead »

OK Don't talk ist dann die erste Nummer die schon ein bisschen wirrer wirkt.

Bisher ist das aber schöne Mitt-60er Beatles Schule mit stark vorhandenem Beach-Feeling.

Und darüber ist Wilson beim Schreiben halb verrückt geworden?
McCartney lacht immer noch :D
Rotorhead
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Re: Eschis Plattenladen

Beitrag von Rotorhead »

Also das ist schon echt sehr geil. Wirklich. Zauberhafte Nummern. Die alle saukurz sind *g* und teilweise wie Filmmusik in nem 60er Jahre Streifen klingen.

Finde es geil, hab aber was ganz anderes erwartet.

Und es ist überall Beach Boys Feeling, an allen Ecken und Enden.

An die wirkliche Progressivität im klassischen Sinne wir sie die Beatles verbrochen haben, reicht das nicht hin.
Zuletzt geändert von Rotorhead am 17.08.2018 18:24, insgesamt 1-mal geändert.
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MetalEschi
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Re: Eschis Plattenladen

Beitrag von MetalEschi »

Da spielt natürlich auch der zeitliche Kontext ne Rolle, und vor Allem die Musik, die die Band vorher gemacht hat. Bapp bapp bapp bapp babarann und so.
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Frank2
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Re: Eschis Plattenladen

Beitrag von Frank2 »

Richtig gutes Review zu einer Band, mit der ich mich bisher
noch nie groß beschäftigt habe.
Sollte ich wohl mal ändern.
Rotorhead
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Re: Eschis Plattenladen

Beitrag von Rotorhead »

MetalEschi hat geschrieben:Da spielt natürlich auch der zeitliche Kontext ne Rolle, und vor Allem die Musik, die die Band vorher gemacht hat. Bapp bapp bapp bapp babarann und so.

Sure. Und da sind echt tolle Nummern drauf. Aber Dude, das ist total klassisch instrumentalisiert, Fahrradklingel hin oder her, die Melodien sind wunderschön aber doch weit weg von "Outer Space" Zeug, was sich nur ein krankes Hirn ausdenken kann.

Dein Review hab ich übrigens noch gar nicht gelesen, das mache ich danach.

Also ich hab mal gelesen, dass Wilson da komplett durchdrehte ob dieses Schaffensprozesses. Frage mich aber nach dem Hören ernsthaft, ob er nicht einfach zu viel Drogen erwischt hat.

Tut mir leid für den Vergleich, aber progressiver als Beatles Help! ist das nicht unbedingt. Und an Rubber Soul oder Revolver reicht das nicht ran.

Größtenteils viel zu zuckersüß dafür.

Grad läuft "I know there's an answer", das wäre halt so eine klassische Mowtown Nummer für mich.

Naja, wie auch immer. Hab ich das auch Mal gehört.
Aus welchem Film kannte ich eigentlich God only knows?
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MetalEschi
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Re: Eschis Plattenladen

Beitrag von MetalEschi »

God Only Knows ist ein schönes Beispiel für die Progressivität:

Sung by Brian’s younger brother Carl Wilson, the Beach Boys' recording was produced and arranged by Brian using an unorthodox selection of instruments, including French horn, accordions, sleigh bell, harpsichord, and a quartet of violas and cellos heard throughout the piece in counterpoint.[2] The musical structure has been variously cited for its harmonic complexity, inspiring tension through its disuse of authentic cadences and a definite key signature. Its closing section features perpetual rounds, a device that was not normally heard in popular music of the era.

Das haben die Beatles in der Form halt einfach nicht gemacht. Und eigentlich sonst auch keiner vorher.
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Re: Eschis Plattenladen

Beitrag von Rotorhead »

Akzeptiert.
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Re: Eschis Plattenladen

Beitrag von MetalEschi »

Bin bei den Beatles allerdings eh nicht so die Experte, Rubber Soul find ich ziemlich gut, und das hatte ja wie erwähnt durchaus seinen Einfluss auf Pet Sounds.
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