Die Vielseitigkeit des britischen Ausnahmetalents zeigt sich ganz besonders an einer Tatsache: Selbst wer fünf oder sechs Alben des Künstlers kennt, der hat nicht in Ansätzen einen Überblick über sein Gesamtschaffen. Seine künstlerische Vision war wandelbar und oft kontrovers, und wirkte bei aller Faszination für seine Konsequenz und Einzigartigkeit oft auch ein wenig unentschlossen. Dieses Verlangen nach ständiger Veränderung und der Wunsch nach neuen Herausforderungen kommt für einen Studenten von Kunst, Musik und Design sicherlich nicht von ungefähr. Die Zahl seiner selbst kreierten Alter-Egos ist bemerkenswert, und die Liste der Musikstile, an denen er sich im Laufe seiner Karriere versucht hat, ist beinahe lückenlos: David Bowie machte Rock n‘ Roll, Hardrock, Folk, Heavy Metal, RnB, Disco, New Wave, Jazz, 80er Pop, Dance, Techno, Industrial, HipHop und ungefähr alles, was dazwischen liegt. Wahrscheinlich ist es unmöglich, all seine Werke gleichermaßen zu schätzen, und dennoch ist die Zahl der wirklichen Ausfälle erstaunlich gering. Bis auf eine Durststrecke in der zweiten Hälfte der 80er (das Debüt mal ausgeklammert) sind im Grunde alle Alben zumindest hörenswert und bieten kompositorisch stets hohe Qualität. Und das muss man auch für die Alben attestieren, denen man sich stilistisch womöglich nicht ganz so nahe fühlt.
Natürlich wäre es vermessen zu behaupten, Bowie habe alles alleine gemacht. Er hatte das Glück, dass auf seine Weggefährten von großem und kleinem Namen immer Verlass war, allen voran auf seinen treuen Weggefährten Tony Visconti, den gleichfalls visionären Amerikaner, der Bowie nicht ausnahmslos immer, aber doch zu einem großen Teil seiner Karriere und buchstäblich bis zum letzten Tag als Produzent und auch Musiker zur Seite stand. Seine Alben sind von seinem eigenen Kunstverständnis, Songwriting und Gesang genauso geprägt wie von dem seiner Musiker. Das gilt für seine Band aus der Glam Rock-Phase (die Spiders from Mars, mit denen wir uns noch beschäftigen werden), aber sicherlich auch für Gitarristen wie Robert Fripp von King Crimson und Pete Townshend, die ich mal als Beispiele im Raum stehen lassen will.
Eine ausführliche Werkschau macht gerade bei einem so vielseiteigen Künstler sicherlich Sinn, und alle persönlichen Urteile und Meinungen unterliegen selbstverständlich dem Diskussionsrecht. Besonders gerne bediene ich aber hier das Publikum, dem es im Moment aufgrund des Umfangs seiner langen Discographie noch schwer fällt, einen Überblick über sein Schaffen zu gewinnen. Vermutlich ist David Bowie tatsächlich der vielseitigste Einzelkünstler, den ich kenne, und ich bin mir sehr sicher, dass beinahe jeder in diesem Forum hier etwas finden kann, was seinen Ansprüchen und Vorstellungen genügt. Gehen wirs also an.
David Bowie (1967)
"There is a rubber band that plays songs out of tune"
Cover
Tracklist:
Seite A:
01 Uncle Arthur
02 Sell Me A Coat
03 Rubber Band
04 Love You Till Thursday
05 There Is A Happy Land
06 We Are Hungry Men
07 When I Live My Dream
Seite B:
01 Little Bombardier
02 Silly Boy Blue
03 Come And Buy My Toys
04 Join The Gang
05 She's Got Medals
06 Maid Of Bond Street
07 Please Mr. Gravedigger
Besetzung:
David Bowie (Gesang, Gitarre, Saxophon, Arrangements)
Derek Boyes (Orgel)
Dek Fearnley (Bass, Orchester-Arrangements)
John Eager (Schlagzeug)
Ich möchte gerne bei Bowies Debütalbum aus dem Jahr 1967 eine Ausnahme machen, da sich ein Track-by-Track-Review hier nicht anbietet (im Gegensatz zu seinen anderen Werken, wo sie schon beinahe Pflicht sind). Das Album habe ich im Grunde nur der Vollständigkeit wegen aufgeführt, denn es dürfte keinen Menschen geben, der dieses Werk in irgendeiner Form für essentiell hält, noch nicht mal Bowie selbst. Ich behaupte sogar, dass man das noch nicht mal dann wirklich braucht, wenn man nach Komplettierung strebt.
David Bowies selbstbetiteltes Debüt erscheint nach ersten Gehversuchen mit mäßig erfolgreichen Singles von mäßig erfolgreichen Bands, in denen er noch danach strebte, „ein zweiter Mick Jagger zu werden“, eine Idee, die er Gott sei Dank schon wenig später wieder aufgab, auch wenn der Einfluss der Rolling Stones auf einigen seiner Rock-Alben sicherlich schwer zu überhören ist (dazu später mehr). Sein erstes Album lockte kein Schwein hinter dem Ofen hervor und war im Grunde so belanglos, dass sich Bowie danach erstmal zwei Jahre um seine künstlerische Vision Gedanken machte.
Wer das Debüt von Pink Floyd und dort besonders Syd Barrets „psychedelische Kinderlieder“ kennt, der kann sich in etwa den Ansatz vorstellen, der auf Bowies erstem Album verarbeitet wird, allerdings in einer weit weniger übergeschnappten und zugedrogten Version. Die Songs sind im Grunde nette kleine, schlagerhafte Lieder, die mit ein paar lieblichen Melodien versehen sind und (durchaus gut durchdachte) kleine Geschichten erzählen. Viele der Songs sind sparsam instrumentierte Liebeslieder, die mit billigstem Getröte und ein bisschen Orgel vor sich hin plätschern, und immerhin textlich gibt es einige ganz nette Metaphern. Etwa in „Rubber Band“, das den Abschied zweier Geliebter behandelt, weil der Liebhaber als Soldat im Ersten Weltkrieg ran muss, nur um bei seiner Rückkehr festzustellen, dass sein Schwarm den Bandleader einer Kapelle geheiratet hat, die sie sich in zweisamen Stunden gemeinsam angesehen hatten. „There Is A Happy Land“ behandelt die Vorstellung von einer Parallelwelt, in der Kinder das sagen haben, und die natürlich viel friedlicher und harmonischer ist, als unsere. Typische Themen für die 60er Jahre, die Bowie in einem beißend-ironischen Stil fast schon übertrieben positiv runterleiert. „Little Bombardier“ (ein trauriges Lied, das fast schon so etwas wie einen, naja, „Höhepunkt“ darstellt) und „“Maid Of Bond Street“ sind in einem Walzer-Takt gehalten und wie die anderen Songs des Albums mit einer völlig indiskutablen Brass-Instrumentierung versehen.
Die geringe Bedeutung, die das Album auch für Bowie selbst hat, spiegelt sich auch darin wieder, dass auf so gut wie keiner offiziellen Best Of auch nur ein Song von diesem Album zu finden ist, geschweige denn irgendwas davon Zeit seines Lebens in den Live-Sets aufgetaucht ist. Dazu ist auffällig, dass sein zweites Album ursprünglich ebenfalls selbstbetitelt war, was meiner Ansicht nach deutlich auf einen betonten Neustart hindeutet. Macht euch keine Mühe, diesen ersten Gehversuch von Bowie verstehen zu wollen. Macht es wie der Künstler selbst: Tut so, als gäbe es dieses Teil gar nicht und fangt bei Album Nummer zwei an. Denn ab hier beginnen die Dinge, richtig spannend zu werden.
Reinhören dürft ihr trotzdem kurz: