...and Ziggy played guitar - Der David Bowie-Reviewthread

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MetalEschi
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Re: ...and Ziggy played guitar - Der David Bowie-Reviewthread

Beitrag von MetalEschi »

Da ich selber jetzt auch nicht der größte Fan von Track-by-Tracks bin, werde ich drüber nachdenken, das einfach so beizubehalten.
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costa
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Re: ...and Ziggy played guitar - Der David Bowie-Reviewthread

Beitrag von costa »

Ich bin da auch zwiegespalten. Grade wenn man eine ganze Diskographie reviewt, wird's immer Alben geben, bei denen man nicht zu jedem Song was zu sagen hat. Wenn es dann bei manchen Alben doch so ist, dann umso besser und dann kann man's ja immer noch so machen.
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Apparition
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Re: ...and Ziggy played guitar - Der David Bowie-Reviewthread

Beitrag von Apparition »

Gerne diesen Stil beibehalten, das ist vom Umfang her gut und es kommt trotzdem viel rüber.

Die zwei verlinkten Songs lassen mich erstmal interessiert zurück.
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Porcupine
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Re: ...and Ziggy played guitar - Der David Bowie-Reviewthread

Beitrag von Porcupine »

Thunderforce hat geschrieben:Dass so ein Albumcover mal so ein Aufreger war vor noch nicht derart langer Zeit, ist schon echt bizarr as fuck.
Vor nicht derart langer Zeit? Das ist immerhin schon ein halbes Jahrhundert her. Die Welt war damals tatsächlich noch eine komplett andere als heute.

Zur Musik kann ich nichts beitragen, da unbekannt.
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Re: ...and Ziggy played guitar - Der David Bowie-Reviewthread

Beitrag von Kerstin »

Beim Lesen werde ich daran erinnert, wie ich mich immer gefühlt hatte, wenn ich zum erstenmal mit einem weiteren David Bowie-Album "in die Vergangenheit eingetaucht" bin.
Fast jedesmal kam zuerst die Reaktion - "Danke, das war's...meine Besessenheit ist endlich geheilt."
Und dann wurde ich die Songs doch nicht wieder los...
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MetalEschi
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Re: ...and Ziggy played guitar - Der David Bowie-Reviewthread

Beitrag von MetalEschi »

Hunky Dory (1971)

Tracklist:

Seite 1

Changes
Oh! You Pretty Things
Eight Line Poem
Life on Mars?
Kooks
Quicksand

Seite 2

Fill Your Heart (Biff Rose/Paul Williams)
Andy Warhol
Song for Bob Dylan
Queen Bitch
The Bewlay Brothers

Besetzung

Gesang, Gitarre, Saxophon, Piano: David Bowie

Gitarre, Gesang, Mellotron, Arrangements: Mick Ronson

Piano: Rick Wakeman

Bass, Trompete: Trevor Bolder

Schlagzeug: Mick Woodmansey


„Hunky Dory leitet für mich eine beispiellos triumphale Serie an Alben ein, bei der David Bowie es schafft, sich als Künstler und Performer stets zu verändern und anzupassen, musikalisch innerhalb weniger Jahre so viele verschiedene Richtungen einzuschlagen wie kaum jemand vor und nach ihm, und erstaunlicherweise immer eine gute Figur zu machen. Für mich macht ihn das vielleicht zum wichtigsten Künstler der 70er Jahre, ein einzigartiger Virtuose, der stets für die Kunst an sich gelebt hat und in seiner Darstellung viel mehr gesehen hat als den einfachen Sänger, der ein paar Liedchen trällert. Bowie war ein vollkommener Artist, ein Schauspieler, der jede menschliche Emotion abdeckte und mehr als einmal das Bild, das man von ihm hatte, komplett selbst zerstörte, um seinem Leben als Musiker eine völlig unerwartete Wendung zu geben.

Auf „Hunky Dory“ hat sich zum ersten Mal die Band versammelt, die später als „Spiders From Mars“ noch einen ziemlichen Legendenstatus erhalten sollte. Auch mit an Bord: der große Rock Wakeman, Keyboarder von Yes, der mit seiner Qualität und Einzigartigkeit enorm wichtig ist für das Gesamtbild des Albums. Was Bowie ab „Hunky Dory“ von der Konkurrenz abhebt ist neben seiner künstlerischen Integrität vor Allem das Gefühl der Überzeugung, die in seiner Musik immer durchscheint. Das gilt für das große Ganze, aber es gilt auch im Speziellen für seinen Gesang, in den er so viel authentische Emotionalität und Leidenschaft packt, und am Songwriting, an den großen, erhabenen Kompositionen, von denen „Hunky Dory“ gleich elf aufweist. Dabei schimmert in den etwas leichtfüßigeren Songs schon ein bisschen der Glam durch, wobei ich vor dieser Bezeichnung ein bisschen warnen muss. Glam Rock im Bowie-Kontext steht nicht für die schillernde Gleichgültigkeit von Party-Bands wie Sweet oder ähnlichen Auswüchsen. Es steht vielleicht für die Undurchsichtigkeit der Inhalte, denn auch „Hunky Dory“ ist thematisch so verschroben, dass man die genauen Hintergründe zwar bei einzelnen Songs erahnt, aber nie so ganz greifen kann. Vor Allem aber stehe es für Wagnis.

Wer sich beispielhaft die Jahrhundertnummer „Life On Mars“ anhört, dieses jenseits von gut und böse komponierte Kleinod voller Drama, dessen Refrain sich wie ein Regenbogen über der Bowies Traumwelt ausbreitet, der versteht eigentlich schon ganz gut das wesentliche Element von Bowies Musik in den frühen 70ern. Genau diese Art von emotionaler Hingabe zieht sich durch das gesamte Album, und es darf nicht nur einmal mit Gänsehaut und tiefer Ergriffenheit gerechnet werden, etwa wenn Bowie das relativ beschwingte „Kooks“ seinem Sohn widmet, er in „Quicksand“ wohl Ängste und Panik thematisiert, oder direkt im Opener „Changes“ schon seine Wandelfähighkeit der nächsten Jahre vorweg nimmt.

„Andy Warhol“ und „Song for Bob Dylan“ sind durchdachte Lobpreisungen für einige seiner Vorbilder, bei denen man dennoch nie ganz sicher ist, wie viel Zynismus und Ironie durch die dekadenten Texte hindurchschimmern. „Oh! You Pretty Things“ bildet eine Beziehung zwischen Bowie und seiner damals gerade größer werdenden Fanbase. Er warnt die jugendlichen Freigeister vor den Reaktionen ihrer Eltern ermutigt sie zugleich, weiterzumachen, sich treu zu bleiben, wenige Jahre nach Woodstock war Bowie vielleicht auch der erste Künstler, der als Sprachrohr einer Generation agierte. Die Message war: Du kannst jeder Charakter sein, der du sein willst, ein Ziel gibt es dabei nicht. Es ist ein fortwährender Prozess der Selbstfindung.

Ob „Hunky Dory“ nun das beste Bowie.Album ist oder einer der beiden Nachfolger, lässt sich so einfach nicht beantworten, denn die Albumtrilogie bietet nicht weniger als die vollkommenen Statements für ein Jahrzehnt, in dem musikalischer Mut und künstlerischer Ausdruck vielleicht größer waren als je zuvor und danach. Zum ersten Mal alles in Farbe und scheinbar ohne Grenzen, und im Falle Bowies mit auffällig viel Hingabe und Emotion. Und das erkannten sogar spätere Legenden wie Freddie Mercury. Ja, dessen extrovertierter Bühnenglanz basierte zu einem wesentlichen Teil auf Bowies Theatralik aus den frühen 70ern, und er selbst wäre der erste, der das zugibt.

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Re: ...and Ziggy played guitar - Der David Bowie-Reviewthread

Beitrag von Furor »

Schön, dass es hier weitergeht :)

Für mich beginnt seine Karriere eigentlich erst so richtig mit diesem Album. Auf den Alben davor gab es immer wieder überragende einzelne Songs, aber dieses hohe Niveau wurde hier erstmals durchgehend gehalten. Das heißt nicht, dass ich die Vorgänger-Alben schlecht finde oder gar missen möchte, aber auf Honky Dory zeigte sich dann erstmals sein wirkliches Genie. Gleichzeitig war es dann auch der Auftakt zu einer ganzen Reihe von unsterblichen Klassikern, wie es nur wenige geschafft haben.
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Apparition
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Re: ...and Ziggy played guitar - Der David Bowie-Reviewthread

Beitrag von Apparition »

Nachdem ich neulich die Doku über den frühen Bowie auf ARTE gesehen habe, in de auch einiges an Liveaufnahmen zu sehen war, ist klar, dass ich da mal einsteigen muss. Eigentlich muss das mein Ding sein.
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Kerstin
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Re: ...and Ziggy played guitar - Der David Bowie-Reviewthread

Beitrag von Kerstin »

Ich habe mir erst kürzlich wieder ein paar Videos auf YouTube angeschaut, ich liebe David Bowies Theatralik und Ausdrucksstärke...
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MetalEschi
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Re: ...and Ziggy played guitar - Der David Bowie-Reviewthread

Beitrag von MetalEschi »

Hier gibt es dann aus nachvollziehbaren Zeitgründen auch demnächst wieder was zu lesen.
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costa
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Re: ...and Ziggy played guitar - Der David Bowie-Reviewthread

Beitrag von costa »

Da ich es offenbar nach dem Review vergaß zu schreiben:
"Hunky Dory" ist ein sehr starkes Album (deutlich stärker auch als der IMO leicht überbewertete Nachfolger), aber seine richtig krassen Großtaten kamen meiner Meinung nach etwas später. Aber da es ja hier nun weitergehen soll kommen wir da sicher noch zu. :D
Tolles Review auch.
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Re: ...and Ziggy played guitar - Der David Bowie-Reviewthread

Beitrag von MetalEschi »

Weiter gehts, wobei das Review unglaubliche fünf Tage gedauert hat. Recht schwer, die Empfindungen und Schlussfolgerungen und vor Allem ironischerweise die Musik so darzulegen, dass ihr wisst, was ich meine. Aber, ziehen wirs durch, here we go:

Ziggy Stardust and the Spiders from Mars (1972)

Tracklist:

Seite A

01 Five Years
02 Soul Love
03 Moonage Daydream
04 Starman
05 It Ain't Easy

Seite B:

01 Lady Stardust
02 Star
03 Hang On To Yourself
04 Ziggy Stardust
05 Suffragette City
06 Rock 'n' Roll Suicide

Besetzung:

David Bowie – vocals, acoustic guitar, saxophone, arrangements
Mick Ronson – electric guitar, piano, backing vocals, organ, synthesizer, string arrangements
Trevor Bolder – bass guitar, trumpet
Mick Woodmansey – drums

Die Superlative, mit denen das Album mit dem ausufernden Titel im Laufe der fast 50 Jahre seit seiner Veröffentlichung bedacht wurde, sind kaum noch messbar. Das Konzeptwerk um das gottgleiche Alien, das mit seiner Musik die Welt rettet, gilt gemeinhin als eines der zumindest besten Werke der 70er, vielleicht sogar überhaupt, und die Gründe für diese universelle Anerkennung sind nicht sonderlich schwer zu begreifen: 1972 war David Bowie womöglich der mutigste Künstler den es gab, zumindest von denen, die ein größeres Publikum ansprachen, sein Charakter Ziggy Stardust mit seinen bisexuellen Neigungen und dem zur damaligen Zeit anzüglichen Style haben die Unterhaltungswelt nachhaltig verändert. Es war damals wie heute schwierig die Grenze zu ziehen zwischen reiner Fiktion und Selbstspiegelung des Künstlers, der seinem eigenen Traum als großer Star, der die Welt verändert, durch diese Charakterisierung ein ganzes Stück näher gekommen sein dürfte. Es hat wohl auch den Grundstein gelegt für ein Jahrzehnt, das schillernder und glitzernder daherkam als es die Musikgeschichte in Nachkriegszeiten je zuvor ermöglicht hatte. Und genau deshalb greift auch die für viele abschreckende Einsortierung als Glam Rock zu kurz. Stilistisch mag das einigermaßen stimmen, die Aussagekraft dieses Konzepts ist aber viel tiefgreifender als es das Genre suggeriert. Bowie verarbeitet bewusst auch die Schattenseiten des Ruhms, Ziggy stürzt am Ende der recht lose gestalteten Story ab in eine Welt von Drogen und zweifelt die erlangte Verantwortung für die zahlreichen Teenager ihn, die ihn aufgrund seiner Musik und seiner Heldentaten verehren. Tausendmal hat man solche oder ähnliche Geschichten mittlerweile gehört. Ziggy Stardust war aber die erste.

Der Vorgänger Hunky Dory lebte noch sehr von Rick Wakemans prägnantem Piano, Man of the Match auf dem übergroßen Nachfolger ist sicherlich Gitarrist Mick Ronson, der das Album nicht nur durch seinen dominanten Gitarrensound prägt, sondern auch direkt selbst die Klavier-Parts übernimmt. Abgesehen natürlich vom Meister selbst, dessen leidenschaftlicher und emotionaler Gesang dessen persönliche Verbindung zur Musik sehr deutlich macht. Bowie inszeniert Ziggy Stardust beinahe wie ein hochdramatisches Theaterstück, bleibt dabei aber stets songorientiert und geht das Risiko allzu ausufernder, progressiver Verzweigungen gar nicht erst ein: Vermutlich ist auch das einer der Gründe für die vergleichsweise hohe Popularität des Albums. Und Bowie spielt seine allergrößte Stärke hier überragend aus: Seine Art des Singens hat eine positiv ausschweifende Theatralik, die zum Zuhören zwingt, weil er genau weiß, wie er trotz hochmelodischer Kompositionen emotionale Reizpunkte setzt (diese Eigenschaft teilt er aus meiner Sicht mit Springsteen, auch wenn die beiden dabei völlig verschiedene Ergebnisse erzielen).

„Five Years“ der Opener, musikalisch sicher nicht das Highlight, eher eine Art brodelnder Aufgalopp zu dem, was danach folgt, bewegt mich vor Allem wegen seiner Aussage. „We got five years, that's all we've got“, und schon hier steckt die Genialität eigentlich im Detail, denn aus meiner Sicht sind fünf Jahre tatsächlich eine nachvzollziehbare Zeitspanne für Lebensabschnitte. Manchmal sind es vielleicht nur vier, hin und wieder auch sechs, aber fünf Jahre sind ein ganz guter Schnitt um die Dauer einzugrenzen, die vergeht, bis das Leben wieder eine große Veränderung bereit hält, auf die man sich einzustellen hat. Das ist die Basis des Konzepts: Fünf Jahre, um zu retten, was zu retten ist, durch Musik, durch Hingabe zur Theatralik und persönlicher Bindung zu den Fans. Fünf Jahre, in denen man für seine Anhänger Erlösung und Idol ist, in denen man sich selbst aber immer mehr dem persönlichen Abgrund nähert, weil man mit dieser Verantwortung nicht umgehen kann. Die Geschichte nimmt danach Fahrt auf, und als Ziggy Stardust im Traum einem Alien begegnet, entsendet dieser im positiv rockigen „Starman“ die frohe Botschaft an die Jugend: Ihr werdet gerettet, wenn ihr vorsichtig und behutsam seid, aber nur dann, wenn ihr mitspielt. „He told us not to blow it, cause he knows it's all worthwhile“. Musikalisch wechselt diese A-Seite vom schwelgeerisch-emotionalen Epos „Soul Love“ über das nachdenkliche „Moonage Daydream“ (textlich der Moment, indem Ziggy Stardust seine Rolle in der Geschichte klar wird), hin zum härter rockenden Mittelpunkt des Albums, neben Starman noch das kraftvolle „It Ain't Easy“, das die Schwierigkeiten auf dem Weg zur Spitze beschreibt, der einzige Punkt der Karriere, an dem man wirklich und bedeutend Einfluss außerhalb des Undergrounds haben kann.

Seite zwei eröffnet mit „Lady Stardust“, eines der Albumhighlights, bei dem vor Allem Bowie selbst zu Höchstform aufläuft, eine kunstvolle Darstellung der damals gerade aufkeimenden Glam-Szene und T.Rex-Boss Marc Bolan im Speziellen. Spätestens hier bemerkt man auch die musikalische Bedeutsamkeit des Werks und vor Allem die Wichtigkeit von Ronson, dessen bodenständiges, aber keineswegs eindimensionales Agieren das grundsätzlich sehr Gesangsbetonte Material behutsam zwischen den Intensitätsstufen des Rock steuert. „Star“ und „Hang on tour Yourself“ ziehen das Tempo dann wieder an und vertont konzeptlich das Highlight der Berühmtheitsachterbahn, den großen Ruhm, die Popularität. Der Quasi-Titelsong „Ziggy Stardust“ ist dann der Wendepunkt, an dem der große Star zum ersten Mal beginnt, zu grübeln, bei „Suffragette City“ nochmals die Grenzüberschreitung der Rockwelt thematisiert, und am Ende bei „Rock 'n' Roll Suicide“ der gebrochene, nachdenkliche Rockstar, der mit der Verantwortung und dem Leben auf der Überholspur nicht klar kommt. Immer wieder gibt es Querverweise auf Bowies Idole und Freunde, mit denen er in dieser Zeit zusammenarbeitete, auf die Stones, T.Rex oder Velvet Underground, was dem Album tatsächlich den Charakter einer Zustandsbeschreibung seiner Zeit gepaart mit der Angst vor dem großen Scheitern verleiht. Hier findet man auch den persönlichen Bezug und kann im Ansatz begreifen, welche Bedeutung „Ziggy Stardust“ auch für den Künstler selbst hat: Der Traum vom Berühmtwerden mit der Furcht, dem nicht gewachsen zu sein. Relevanz hat die ganze Thematik trotz seines nicht immer durchschaubaren Konzepts bis heute. „Oh love, you're not alone“ schreit Bowie gegen Ende des letzten Songs verzweifelt seinen Anhängen entgegen, und präsentiert damit zugleich den Hoffnungsschimmer, der nötig ist, um an diesem Punkt weiterzumachen. Was folgt, ist ein völlig ausgeflippter Ziggy auf seiner ersten Reise nach Amerika. „Aladdin Sane“ erscheint ein Jahr später.

Diese Art Glamrock hatte ähnlich wie New Wave ein Jahrzehnt oder Grunge zwei Jahrzehnte später nur wenige Jahre Zeit, für eine Weile der ganz große neue Trend der Musikwelt zu sein (erstaunlich, welche Paralellen es bei Trends immer wieder zu beobachten gibt), und „Ziggy Stardust“ hat musikalisch, das sei abschließend und unabhängig vom Konzept noch festgestellt, jenen gar nicht so kleinen Spagat zwischen Kunst und Expressionismus auf der einen und Zugänglichkeit auf der anderen mit am beeindrickendsten hinbekommen. Immerhin waren die frühen 70er auch die Zeit des Progressive Rock, und David Bowie hatte ein Konzept, anspruchsvolle Hörer auch mit vergleichsweise simpler Musik anzusprechen. Vielleicht ist dies nicht das allerbeste Album Bowies (das ist bei ganz großen Konsensklassikern ja oft so), aber es treibt die völlige Freiheit auf die Spitze, die er knapp zwei Jahre vorher begonnen hatte: Rockmusik durfte jetzt auch autobiographische Züge enthalten und vermehrt Grenzen austesten, sexuelles Verlangen propagieren und die utopische Freude am Starruhm in Frage stellen und dabei gleichzeitig mitreißen und unterhalten. Genau deshalb ist „Ziggy Stardust“ kein Glamrock-Album von Vielen, sondern eines, das alle anderen Vertreter dieses Genres so sehr unter Zugzwang setzte, das ihre Oberflächlichkeit schon wenige Zeit später keine Chance mehr hatte gegen Anspruch und Tiefgang. Vielleicht ist das sein allergrößter Verdienst.

Starman:
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Re: ...and Ziggy played guitar - Der David Bowie-Reviewthread

Beitrag von Porcupine »

Danke für das tolle Review.

Ich hab mir das Album jetzt endlich mal angehört und bin ziemlich begeistert. Beim ersten Song fragt man sich spontan ob Roger Waters David Bowie Fan ist, Five Years klingt wie ene Blaupause zu In The Flesh, nur ohne fette Gitarren. Auch Jon Oliva dürfte das Album kennen, DT Jesus ist offenbar in Wahrheit Ziggy Stardusts Sohn, oder?

Dass ich Starman schon längst kannte, ist mir übrigens erst aufgefallen als ich den Refrain gehört habe. Toller Song.

Sehr abwechslungsreiche, musikalisch vielfältige Scheibe. Die verzweifelte, "urban-verlorene" Stimmung spricht mich total an, was vor allem am überragenden Gesang liegt. Ja, das Album ist sehr songorientiert, sehr auf den Punkt komponiert und als Progfan wünscht man sich eventuell, dass die Songs hier und da etwas ausladender sind. So ist das Album etwas kurz und man vermutet dass da evtl. noch etwas Potential für mehr gewesen wäre. Aber egal. Ich glaub ich kauf das.
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Re: ...and Ziggy played guitar - Der David Bowie-Reviewthread

Beitrag von MetalEschi »

Ich wäre selbst wohl nicht auf den Savatage-Vergleich gekommen, aber ich finde das macht schon sehr viel Sinn, gerade auch die Art von Olivas Theatralik in den epischen Songs der Band. Interessanter Gedanke indeed.

Als Einstieg taugt Ziggy Stardust übrigens gut. Du wirst aber nicht mit jeder Phase des Meisters was anfangen können, das wage ich jetzt einfach mal zu progonstizieren.
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Re: ...and Ziggy played guitar - Der David Bowie-Reviewthread

Beitrag von costa »

Vielleicht ist der Savatage-Vergleich der Grund, wieso ich das Album nicht so toll finde, wie es gerne gemacht wird. :D

Was du über die Bedeutung und Wirkung des Albums schreibst, hat definitiv Hand und ich denke, da steckt viel Wahrheit drin.
Tatsächlich finde ich aber, dass da nicht jeder Song zündet. Es war mein Bowie-Einstieg und dementsprechend fand ich's auch toll, aber je mehr andere Bowie-Alben ich gehört habe, desto uninteressanter wurde "Ziggy..." für mich. Es hat ja schon einige extrem starke Songs. 'Starman', der Titelsong, 'Suffragette City'...'Five Years' und 'Rock'n'Roll Suicide' mag ich auch noch. Aber im Gesamten funktioniert das Album für mich nicht, was bei einem Konzeptwerk ja irgendwie eigentümlich ist. Vielleicht liegt das daran, dass mich das Konzept irgendwie nie so gereizt hat. Andere Alben von ihm, die vielleicht viel weniger den Konzeptgedanken verfolgen, bringen da für mich deutlich mehr Albumgefühl rüber.
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