Tigerarmys Reise i. d. Vergangenheit (akt. Songspecial: The snake)

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Frank2
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Re: Tigerarmys Reise in die Vergangenheit (1935-1960)

Beitrag von Frank2 »

Gute Idee, zumal ich mich ehrlicherweise
mit dieser Phase "moderner" Musik noch nie bewusst beschäftigt habe.
Bin gespannt
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tigerarmy
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Re: Tigerarmys Reise in die Vergangenheit (1935-1960)

Beitrag von tigerarmy »

oger hat geschrieben:So Prä-1960 gab es doch eh kaum Alben im modernen Sinn oder?

Da kommt man bestimmt mit Best-offen gut zurecht. :-)
das ist richtig, die Bedeutung von Alben stieg eigentlich erst ab Mitte der 60er Jahre deutlich.
Vorher waren es größtenteils Kopplungen von zuvor veröffentlichten Singles mit einigen Resten aus vorherigen Aufnahmesessions.
Der Focus lag bis Ende der 50er Jahre klar auf den Singles (45er Vinyl) bzw. wie korrekt angemerkt wurde da davor natürlich auf den 78er Schellackplatten. Und da war die Spielzeit eben auch sehr begrenzt.

Best of Kopplungen gibt es aufgrund der oftmals nicht klaren Verwertungsrechte gerade bei den alten Aufnahmen wie Sand am Meer, z.T. sind da aber deutliche Qualitätsunterschiede in puncto Aufmachung, aber auch der enthaltenen Musik festzustellen.
Aber auch hier werde ich versuchen (so weit mir das möglich ist), den ein oder anderen Tip zu geben.
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tigerarmy
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Re: Tigerarmys Reise in die Vergangenheit (1935-1960)

Beitrag von tigerarmy »

So, bevor es dann demnächst hier richtig los geht, mit den ersten Künstler-Vorstellungen, sozusagen zum Eingrooven ein paar einleitende Worte zum Thema Rock'nRoll.
Heutzutage ist ja schrecklicherweise alles und jeder Rock'n'Roll, aber hier soll es tatsächlich nur um den Ursprung allen Übels gehen... viel Spaß :prost:


RnR: Die Revolution der populären Musik
Der Rock'n'Roll entstand in der Mitte der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts in den USA. Für viele gilt die Aufnahme von „That's alright mama“ von Elvis Presley als Startschuss, wieder andere sehen die Veröffentlichung von Bill Haleys „Rock around the clock“ als erstes entscheidendes Ereignis an (bzw. die Verwendung des Songs im Film „Blackboard jungle / Die Saat der Gewalt“). Viele Aufnahmen von vornehmlich schwarzen Künstlern haben allerdings bereits in den Jahren zuvor teilweise schon alle Merkmale, die später dem Rock'n'Roll zugesprochen werden. Somit ist es auch im Rock'n'Roll wie bei vielen anderen Musikstilen (Heavy Metal/Punk) auch: die Geburtsstunde des Genre lässt sich nicht auf ein Datum oder Ereignis festlegen, sondern ist eine Entwicklung, die aber spätestens im Jahr 1955 die kompletten USA erfasst hat und immer mehr (vor allem jungendliche) Anhänger findet.

Rock'n'Roll wird oftmals auch als Sammelbegriff für die diversen Spielarten wie z. Bsp. Rockabilly, Doo Wop, Boogie Woogie etc. genutzt. Der Rockabilly ist dabei eine relativ puristische Unterform des RnR, der in der Regel nur mit Gitarre/Kontrabass/Gesang und eventuell Drums auskommt und einen deutlicheren Einfluß aus dem Hillbilly der weißen Country-Sänger aufweist.
Im Rock'n'Roll können zusätzlich zur Grundinstrumentierung auch noch Piano, sowie Blechbläser wie Saxophon oder Trompete hinzukommen; statt des Kontrabass kommt oftmals eine Bassgitarre zum Einsatz. Der Einfluß der schwarzen Musikstile Rhythm&Blues/Jump Blues und Boogie Woogie ist beim Rock'n'Roll größer als der Einfluß des Hillbilly Country.

Eine weitere Spielart des Rock'n'Roll ist der Doo Wop. Die Ursprünge des Doo-Wop reichen dabei zwar eigentlich deutlich weiter zurück, aber erst im Zuge der Rock'n'Roll-Explosion Mitte/Ende der 50er Jahre wird der Doo-Wop massentauglich und erreicht auch weiße Käufer- und Hörerschichten bzw. wird auch von weißen Künstlern/Bands gespielt. Die Ursrpünge hat der Doo-Wop im Gospel und im Acappella Gesang von schwarzen Gesangsgruppen. Im Doo Wop steht fast ausnahmslos der Sänger/die Gesangsgruppe im Vordergrund (die Musiker der Begleitbands sind meistens nicht mal bekannt).

Den sogenannten Teenage-RnR werde ich im Rahmen dieses Threads nur spärlich behandeln; die Gründe liegen auf der Hand. Beim Teenage-Rnr handelt es sich um eine bereits sehr glattgebügelte Version des Rock'n'Roll die Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre vor allem die ganz jungen Hörer bzw. vor allem die weibliche Hörerschaft ansprechen sollte. Vornehmlich weiße Sänger/innen mit entsprechenden Songs, die oftmals in ihren üppigen Arrangements mit Streichern etc. fast ersoffen, kämpften um die Gunst der weißen Mittelklasse-Schicht. Dem wilden und rohen des RnR wurde der Zahn komplett gezogen. Auch äußerlich hatten diese Künstler mehr mit Sonntag-Nachmittags-Tanztee gemeinsam, als mit dem rebellischem Auftreten eines James Dean.

Neben den musikalischen Gründen für den Erfolg des RnR sind die folgenden Gründe sicherlich nicht zu unterschätzen:
Erstmals konnte sich eine Jugendbewegung auf die wirtschaftliche Kaufkraft der US-Teenager stützen, die in den 50er Jahren erstmals über eigene finanzielle Möglichkeit verfügten, und somit durch Plattenkäufe und Konzertbesuche ihre Idole förderten. Nahezu zeitgleich zum Aufkeimen des RnR kam auch eine technische Weiterentwicklung in der Schallplattenindustrie auf. Anstatt der alten Schellack-Platten die mit 78U/min liefen, sehr empfindlich und teuer waren, kam mit den ersten 45er Vinyl-Singles eine Neuerung auf, die es den Teenagern ermöglichte, ihre Musik für deutlich weniger Geld zu erstehen und die, die heftigsten RnR Tanzabende unbeschadet überstehen sollten. (Langspielplatten spielen im Übrigen erst ab den 60er Jahren eine wichtige Rolle.). Die 78er existierten zwar noch eine Weile parallel zu den Vinyl 45ern, ihr Ende war aber absehbar.

Allerdings kamen in der Folge auch die Kritiker der neuen, wilden Musiker immer stärker auf, die bereits den Untergang des Abendlandes voraussahen. Wie groß die Hysterie unter den reaktionären Politikern und Medienschaffenden zu dieser Zeit war, lässt sich aus heutiger Sicht kaum noch nachvollziehen. Angeblich gab es auch Warnungen/Untersuchungen des FBI zur Jugendbewegung, die manch älteren Mitmenschen sicherlich durch die teilweise ausser Kontrolle geratenden Liveauftritte Angst machten. Bei Rechtskonservativen (vor allem im Süden der USA) kam zudem die Angst vor einem Erstarken der schwarzen Kultur auf. Mit der einhergehenden Bürgerrechtsbewegung würde das Selbstbewusstsein der schwarzen Bevölkerung weiter steigen. Zudem traten nun immer öfter gemischtrassige Bands auf: Zuvor war das nur bei einigen Swing-Bands der Fall. Bis heute halten sich die Gerüchte, dass das FBI in den Absturz des Flugzeugs verwickelt ist, in dem die Rock'n'Roll Stars Buddy Holly, Ritchie Valens und Big Bopper ums Leben kamen. (Don McLeans Song „American Pie“ handelt übrigens von diesem Unglück, und dem Unfalltod von Buddy Holly.)

Interessant ist sicherlich noch, dass es früher üblich war, Cover-Versionen von erfolgreichen Songs mit seinen eigenen Künstlern zu veröffentlichen, um so den erfolgreichen Versionen das Wasser abzugraben. Für kleine Labels war dies oftmals eine erfolgreiche Strategie im näheren Einzugsgebiet ihres Vetriebsnetzes den Top-Acts der Major Firmen Kunden abzujagen; landesweite Vertriebsnetze waren auch bei den Majors damals nicht immer imstande jeden Titel an jeden Ort zu jeder Zeit zu liefern. Hier sprangen die lokalen Labels mit ihren Versionen ein. Oftmals wurde auch eine Cover-Version eines neuen Titels eines bekannten Künstlers durch einen lokalen Künstler oder Newcomer aufgenommen und umgehend veröffentlicht, um noch vor der eigentlichen VÖ des Originaltitels einen möglichen Hit zu landen. „Leaking“ mal auf eine ganz andere Art.
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costa
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Re: Tigerarmys Reise in die Vergangenheit (1935-1960)

Beitrag von costa »

Das liest sich auf jeden Fall schon mal extrem fundiert und informiert. Ich glaube, das wird spannend hier. :)
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Re: Tigerarmys Reise in die Vergangenheit (1935-1960)

Beitrag von Chris777 »

Dito!
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costa
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Re: Tigerarmys Reise in die Vergangenheit (1935-1960)

Beitrag von costa »

Jedes Mal wenn ich "A Bronx Tale" schaue, denke ich, ich sollte mich mit Doo-Wop beschäftigen. *g* (Wobei es da eher minder rock'n'rollig zugeht.)
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oger
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Re: Tigerarmys Reise in die Vergangenheit (1935-1960)

Beitrag von oger »

Ah, es geht schon los. :-)

Und du beginnst jetzt mit den RnR-Vorläufern oder direkt mit den 50ern?
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tigerarmy
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Re: Tigerarmys Reise in die Vergangenheit (1935-1960)

Beitrag von tigerarmy »

oger hat geschrieben:Ah, es geht schon los. :-)

Und du beginnst jetzt mit den RnR-Vorläufern oder direkt mit den 50ern?
natürlich wäre es schöner, das ganze chronologisch anzugehen, dass trau ich mir dann aber nicht wirklich zu, da ich gerade im Zeitraum 1935-1950 doch auch noch nicht so bewandert bin, wie im folgenden Jahrzehnt. Der frühe Zeitraum wird von daher eher grob gestreift (das ein oder andere Interessante habe ich aber hoffentlich dennoch im Köcher).
Zumal ich mich gerade auch verstärkt mit dieser Phase beschäftige wird da in nächster Zeit noch das ein oder andere dazu kommen.

D.h. es wird munter zwischen den Jahrzehnten hin- und hergesprungen :D
Wobei es sich zu Beginn verstärkt (und vermutlich auch insgesamt am häufigsten) um die 50er Jahre drehen wird.
Ich gehe davon aus, dass das auch den meisten musikalisch am ehesten zusagen dürfte, das soll aber nicht der Hauptgrund sein.
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tigerarmy
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Re: Tigerarmys Reise in die Vergangenheit (1935-1960)

Beitrag von tigerarmy »

noch ein paar abschließende Bemerkungen zum Thema Rock'n'Roll bevor es dann (hoffentlich) in Kürze hier richtig losgehen wird.


RnR im Fernsehen und Kino
Bereits vor der Geburt des RnR schufen Filme wie „The wild one“ (1953, mit Marlon Brando) und natürlich „Rebel without a cause“ (dt. Titel: ...denn sie wissen nicht was sie tun“, 1955) mit James Dean ein neues Bild der amerikanischen Jugend.
Während der Hochzeit des RnR kamen sogenannte „Rock'n'Roll Flicks“ in Mode. Die billig abgedrehten Filme hatten in der Regel eine eher überschaubare Handlung; viel wichtiger war dem jungen Kinopublikum die (Cameo-) Auftritte der div. Rock'n'Roll-Künstler. Nahezu jeder namhafte Sänger hatte im Laufe seiner Karriere mindestens eine Filmrolle. Der King of Rock'n'Roll baute in den 60er Jahren nahezu komplett auf seine Filmkarriere.

Mit dem Aufkommen des Fernsehen (und entsprechenden Sendungen) spielte auch plötzliche das Aussehen eines Künstlers eine gewisse Rolle, die vielen RnR-Künstlern dabei half, ihre Popularität weiter zu steigern. Große Bekanntheit erlangte in den 50er die TV-Sendung „American Bandstand“ in der Moderator Dick Clark die aktuellsten Künstler vorstellte. Daneben spielte das „Louisianna Hayride“ noch eine wichtige Rolle, auch wenn die Sendung ihre Ursprünge in der Country-Musik hatte, so verweigerten sich die Macher der neuen Strömung nicht; im Gegensatz zur weitaus konservativeren Grand Ole Opry. Dort waren bis in die 60er Jahre noch nicht einmal Drums erlaubt. Elvis Presley feierte seine ersten überregionalen Erfolge bei der Hayride. Sein Auftritt in der etwas konservativeren Ed Sullivan Show brachte ihm dann den nationalen Durchbruch.


RnR: Einfluß auf andere Musik-Genres
Nach dem kometenhaften Aufstieg von Elvis sehen sich viele Country-Sänger dazu gezwungen, die „neue“ Musik zu adaptieren. In den späten 50er/frühen 60er Jahren entstehen somit auch viele Aufnahmen, im Spannungsfeld zwischen Rock'n'Roll und Country. Den meisten Country-Sängern ist es aber vermutlich nur recht, dass der Rock'n'Roll bereits ein paar Jahre später bereits wieder an Popularität einbüßt und sie wieder zu „ihrer“ Musik zurückkehren können (die in der Zwischenzeit oftmals aber deutlich weichgespülter ist, als vor der RnR-Explosion). Allerdings entstehen auch von diesen Künstlern mitunter wirklich interessante Aufnahmen (Marty Robbins, Johnny Horton etc.).

Ein Musikstil der oftmals zwar dem RnR zugerechnet wird, seine größten Erfolge aber erst nach dessen Hochzeit erzielte, ist die Surfmusik. Vorrangig Instrumentals mit viel Soundeffekten auf der Gitarre bestimmten das Genre. Dick Dale, der Meister der Surfgitarre dürfte vom Pulp Fiction Soundtrack her bekannt sein. Gesangsgruppen im Surf waren eher die Ausnahme, auch wenn die bekannteste und weltweit erfolgreichste Gruppe keine Instrumentalgruppe war, sondern vor allem durch ihre Songs mit den perfekten Gesangharmonien bekannt wurde: die Beach Boys.

Wohl den größten Einfluß hatte der RnR auf den Beat der 60er. Man denke nur an die unzähligen Cover-Versionen von Rock'n'Roll-Songs, die allein die Beatles auf ihren frühen Alben und Singles veröffentlicht haben. Auch deutsche Beat-Bands hatten neben den neuesten Hits der englischen Vorbilder immer den ein oder anderen Rock'n'Roll Song im Repertoire.


RnR in Deutschland und nach 1960
In Deutschland spielte das Thema Rock'n'Roll lange nicht so eine große Rolle wie im Mutterland oder in England. Es gab zwar auch in Nachkriegs-Deutschland Fans der neuen Musik (sog. Halbstarke), von einer Jugendbewegung im eigentlichen Sinne kann man aber sicher noch nicht sprechen. Dies sollte erst Mitte der 60er Jahre mit der Beat-Musik und der politischen Entwicklung (68er Bewegung, Studentenunruhen etc.) erfolgen.
Die bekanntesten deutschen Rock'n'Roll Künstler der damaligen Zeit waren Peter Kraus und Ted Herold. Wobei Peter Kraus eher für die softeren Sachen bekannt war, während Ted Herold eher als der wilde Rocker galt. Allerdings sind die meisten seiner Aufnahmen im Vergleich zu den amerikanischen Kollegen oftmals deutlich näher am Schlager als am Rock'n'Roll oder Rockabilly. Sicherlich sind die deutschen Texte, sowie die Instrumentierung bzw. die Arrangements seiner Aufnahmen nicht eben gerade hilfreich dabei, sich deutlich Schlager zu distanzieren. Oftmals handelte es sich um eingedeutschte Versionen großer US-Hits.
Einer der wenigen US-Künstler, die in den 50er Jahren bereits in Europa bzw. Deutschland tourten war Bill Haley. Durch die im Vorfeld nicht gerade neutrale Berichterstattung ggü. Haley und seiner Musik (und damit auch seiner Fans), kam es bei nahezu allen Terminen der Tour zu Ausschreitungen. Legendär ist vor allem der Auftritt im Berliner Sportpalast. Während des Auftritts von Haley kam es zur Saalschlacht, die Band musste von der Bühne flüchten und das Konzert abbrechen. Natürlich ein gefundenes Fressen für die konservative Presse (die es ja schon vorher wusste, was bei solchen Konzerten alles passiert und die besorgten Eltern davor gewarnt hatte).

Mit dem Beginn der 60er Jahre war das Thema Rock'n'Roll eigentlich auch schon wieder beendet, auch wenn natürlich noch hin und wieder Songs von ehemaligen RnR-Künstlern oder RnR-beeinflusste Songs in den Charts auftauchten. Die British Invasion Mitte der 60er Jahre durch Bands wie die Beatles und die Rolling Stones war der endgültige Sargnagel.
Mitte/Ende der 70er Jahre erfuhr der RnR plötzlich ein Revival, vor allem in England, Schweden und Frankreich. Auch in Deutschland bildete sich ab den 80er Jahren wieder eine RnR-Szene. Neben alten Künstlern, die oftmals das erste Mal in ihrer Karriere ausserhalb der USA Konzerte gaben, kamen auch viele neue Bands auf, die den RnR/Rockabilly teilweise nicht nur stur nachspielten sondern auch neue Facetten hinzufügten. Neben dem Neo-Rockabilly (Stray Cats, Polecats etc.) entwickelte sich in der Zeit auch der Psychobilly, der die neuen Einflüsse des Punk aufnahm und eine oftmals deutlich aggressivere und/oder härtereVersion des klassischen RnR/Rockabilly bildete. (Diese Bands werde ich vermutlich wie bereits angekündigt zu einem späteren Zeitpunkt in einem separaten Thread behandeln).
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tigerarmy
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Re: Tigerarmys Reise in die Vergangenheit (1935-1960)

Beitrag von tigerarmy »

und um Euch etwas einzustimmen auf das, was Euch hier so erwartet, gibt's schon mal eine erste kurze Zeitreise...


Künstler: Don Johnston (Rockabilly)
Im Gegensatz zu Elvis, Eddie Cochran, Gene Vincent und Co. dürfte Don Johnston niemals die süßen Früchte des Erfolgs kosten. Er war weniger als ein „One Hit Wonder“, da sein bekanntester Song vielleicht lokal ein wenig Staub aufwirbelte, in den nationalen US-Charts allerdings völlig sang- und klanglos unterging. Wiedermal ein Beleg dafür, dass musikalische Qualität nicht gleichbedeutend mit kommerziellem Erfolg ist.

„Born to love one woman“ (veröffentlicht 1956 auf Mercury Records) ist trotz des wenig rebellischen Titels in meinen Augen einer der besten Rockabilly Tracks ever. Er hat alles was Rockabilly definiert: Angefangen über die Instrumentierung (achtet vor allem auf den Kontrabass), den Beat (wer da nicht mindestens mit den Füssen zuckt wird in diesem Thread wahrscheinlich nicht allzu viel interessantes finden) und den Gesang. Leider war das auch schon fast so ziemlich alles, was Don Johnston als Künstler selbst aufnahm; lediglich eine handvoll weiterer Songs erschien wohl noch auf Kleinstlabels.

Mehr Erfolg hatte er als Songschreiber für andere Künstler, darunter Mac Curtis und Patti Page. Später schrieb er zusammen mit seiner Frau Songs u.a. auch für Elvis. Ende der 60er Jahre wurde er Chef des Columbia Records Büros in Nashville und produziert u.a. Alben von Johnny Cash, Marty Robbins und Carl Perkins (zu den beiden Letztgenannten werden wir noch kommen).

Don Johnston – Born to love one woman
Spoiler:

Künstler: Marty „Jerry“ Lott aka The Phantom (Rockabilly)
Eine der obskursten und gleichzeitig wildesten Rockabilly-Aufnahmen stammt von Marty Lott aus dem Jahr 1958. Ursprünglich ein Country-Künstler wurde er ebenfalls von dem Urknall namens Elvis bekehrt. Angeblich bastelte er ein halbes Jahr bereits an dem Track „Whisper your love“ herum (der später auf der B-Seite landen sollte), als er zu der Überzeugung kam, einen Rockabilly-Song im Stil von Elvis aufzunehmen. Dabei entstand das völlig unkonventionelle „Love me“. Zuerst auf einem Winz-Label veröffentlicht kümmerte sich ausgerechnet „Weichspüler“ Pat Boone, darum, dass Dot Records den Song 1960 herausbrachten; angeblich stammt auch die Idee zum für die damaligen Zeiten sehr ungewöhnlichen Pseudonym von Boone.
In knapp 1:30 Minuten reist der Song alles nieder, was sich ihm in den Weg stellt. Ich möchte nicht wissen, wie besorgte Eltern 1958 reagiert haben, als sie diesen Song aus dem Zimmer ihrer Kinder dröhnen gehört haben. Es existiert übrigens noch ein Alternate Take, der allerdings etwas gemäßigter daherkommt.
Auch wenn dem Song der große Durchbruch verwährt blieb, gilt er in der Zwischenzeit als ein extrem großer Einfluß für die Entwicklung des Psychobillys; u.a. wurde der Song auch von der US-Band The Cramps gecovert.

The Phantom – Love me
Spoiler:
Zu finden sind beide Songs inzwischen auf div. Rockabilly-Compilations, tlw. auch für schmales Geld. Wer allerdings auch hier, neben der Musik gerne noch ein paar Infos über den/die Künstler erfahren will, sollte besser zur Compilation-Reihe „That'll flat...git it!“ von Bear Family Records greifen. Diese generell sehr gelunge Sampler-Reihe beschäftigt sich thematisch pro Ausgabe mit den besten Rock'n'Roll/Rockabilly Aufnahmen eines bestimmten Labels. Auf Vol. 11 (Mercury Records) ist der Beitrag von Don Johnston zu finden, während The Phantom seinen Auftritt auf Vol. 5 feiert (Dot Records).

„Love me“ ist auch auf der ebenfalls sehr empfehlenswerten Compilation „The roots of Psychobilly“ zu finden. Darauf sind noch weitere, größtenteils sehr obskure Titel aus den Jahren 1955-1960.[/color]
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Re: Tigerarmys Reise in die Vergangenheit (1935-1960)

Beitrag von Dimebag666 »

Deine Vorbemerkungen sind ziemlich interessant und die ersten vorgestellten Künstler ebenalls. The Phantom erscheint für die Zeit schonmal ziemlich positiv kaputt. *g*
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oger
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Re: Tigerarmys Reise in die Vergangenheit (1935-1960)

Beitrag von oger »

Yeah. Beides sehr coole Song-Beispiele, die sich deutlich abseits des verschlagerten RnR bewegen. Da zuckt das Tanzbein.

Der zweite klingt tatsächlich fast schon etwas kaputt.
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Re: Tigerarmys Reise in die Vergangenheit (1935-1960)

Beitrag von David Lee Hasselhoff »

Hui! Sehr interessant! Vor allem der zweite Track. Hätte nie geglaubt, dass Psychobilly wirklich so weit zurück geht. Ich dachte immer, den hätten die 80er exklusiv gehabt.
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tigerarmy
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Re: Tigerarmys Reise in die Vergangenheit (1935-1960)

Beitrag von tigerarmy »

David Lee Hasselhoff hat geschrieben:Hui! Sehr interessant! Vor allem der zweite Track. Hätte nie geglaubt, dass Psychobilly wirklich so weit zurück geht. Ich dachte immer, den hätten die 80er exklusiv gehabt.
das was man heutezutage unter dem Begriff versteht, hat seine Anfänge tatsächlich zu Beginn der 80er Jahre.
Nur wie so oft gibt es halt bereits viel früher hin und wieder Aufnahmen, die bereits die entsprechenden Merkmale aufweisen und als großer Einfluß gesehen werden können.
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Apparition
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Re: Tigerarmys Reise in die Vergangenheit (1935-1960)

Beitrag von Apparition »

Sehr geil! Liest sich alles sehr gut, und den Unterschied von Rockabilly zu R'n'R kenne ich jetzt auch endlich.

Den Don Johnston-Track meine ich zu kennen - aber das kann auch daran liegen, dass man dieses Grundmuster bei vielen Rockabilly-Songs findet, oder? "Love Me" kracht für die damalige Zeit sehr ordentlich, Hall ist alles. :D Kann ich mir gut vorstellen, dass man das damals als ziemlich krass empfunden hat.
That is delightful news for someone who cares.
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